35. Widergespiegelt

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Ich verspürte ein leichtes Kribbeln in meiner Nase. Die Sonne schien auf meinen Körper, welcher entspannt im Gras lag, und wärmte meine Muskeln. Meine Augen starrten ins Licht und ließen mich kleine Zacken sehen.
"Lina....." flüsterte ich und fragte mich, warum ich grade jetzt von ihr geträumt hatte. Ihre Umarmung - sie hatte so gut getan. Doch nun lag ich hier und wusste nicht, ob ich diese Berührung jemals wieder spüren würde. Der Schmerz an meiner Hand riss mich aus meinen Gedanken und erinnerte mich an den Kampf gegen Kenny. Ich setzte mich auf, prüfte den aus meinen Handschuhen gebundenen Verband und blickte verdutzt neben mir. Dort - direkt neben meinem Körper - lag ein kleines Holzkästchen mit goldenen Scharnieren im Gras. Es war leicht blutverschmiert und klebrig, doch trotzdem konnte ich sein hochwertiges Holz erkennen. Ich griff danach und öffnete es unsicher. In rotem Samt eingebettet präsentierte sich mir eine Spritze mit einer gelblichen Flüssigkeit. Ich starrte sie angewidert an. Es war einer dieser Spritzen, die Menschen zu Titanen verwandeln konnten. Kenny musste sie hier zurückgelassen haben. Aber warum? Und warum hatte er mich verschont? Selbst meinen Dolch hatte er zurück in sein Täschchen gesteckt. "Was für ein komischer Typ...." dachte ich und wusste nicht so recht, was ich von ihm halten sollte. Ich erinnerte mich an diesen einen Blick - dieses Bedauern in seinen Augen. Dieses Gefühl war nicht gespielt gewesen. Er empfand es wirklich. Vielleicht hatte er damals seinen Neffen als Last empfunden und erkannte heute, was er dabei getan hatte. Er hatte ein Kind im Stich gelassen. Mein Herz wurde schwer. Kein Kind dieser Welt verdiente solch ein Schicksal. Ohne Liebe und ohne Geborgenheit aufwachsen zu müssen - was machte es aus einem Menschen? Ich seufzte. Darauf wusste ich keine Antwort. Ich konnte diesen Schmerz nicht nachempfinden. Doch ich konnte ihn in Levis Augen sehen - Tag für Tag. Ein weiteres Seufzen entglitt meinem Körper. Langsam stand ich auf und blickte über die Ebene, die vor mir lag. Ich war am Rande des Waldes und konnte einen Graben entdecken, welcher das Land durchzog. Er war eigenartig und endete in einer Art Ruchwolke. Was war das, was da hinten so qualmte? So sehr ich mich anstrengte, ich konnte es nicht erkennen, doch ich wusste, dass es sich auf die Mauer zubewegte. Nervös rannte ich los und folgte dem Graben. Egal was es war, etwas Gutes konnte ich nicht erwarten.

Ich rannte immer weiter und immer schneller, in der Hoffnung das Vieh einzuholen. Die Mauer war bereits in Sichtweite, als ich das Wesen, was dort vorsichhinkroch, als eine Art Wurm ausmachte. War das ein Titan? Er wirkte so unglaublich groß und gleichzeitig schwerfällig. Immer weiter zog er sich vorwärts mit diesen dünnen Gliedern und ebnete dabei das Land. Er war langsam - mein Glück. Ich erreichte die Stadt vor ihm. Schon leicht aus der Puste lief ich an ihm vorbei, sah zum Rand der Mauer hinauf und katapultierte mich auf sie.
Es war Erwin, der mich als Erster entdeckte.
"-dN-, ihr habt also überlebt...." begrüßte er mich. Sein Ausdruck war kalt, aber etwas anderes hatte ich auch nicht erwartet. Ich nickte und sah nach rechts. Einige Soldaten, darunter auch Sasha, kippten einen Eimer Wasser über sich.
"Was ist hier los?" fragte ich den Kommandanten.
"Wir werden dieses Monster bekämpfen." Sein Blick war starr auf den Titan gerichtet. Seine Augen glänzten. Ich entdeckte es. In diesem Moment sah er seinen Gegner so an, wie ich es ebenfalls immer öfter tat. Ohne Mitleid und schon fast erfreut. Es widerte mich an, doch gleichzeitig offenbarte es mir mein Inneres. Ich wandte mich ab. So wie er wollte ich nicht werden und dennoch schien es in mir wie Unkraut aufzublühen.

"-dN-...." Levis Stimme war leise, fast schon zögerlich. Ich sah kurz auf. In seinen Augen waren Wut und Erleichterung zugleich. Er bleib vor mir stehen und schwieg. Seine Aura war beinah erdrückend. Ich blickte auf den Boden und fummelte an dem Verband meiner Hand. Wie sollte ich bloß anfangen? "Wo warst du?" fragte er eindringlich. Meine Augen blickten nervös hin und her, bis ich die Tropfen in seinem Haar entdeckte, die sich langsam auf ihren Weg Richtung Freiheit machten. Sie spiegelten mich wider. Ich sah eine Frau mit roten Wangen und ängstlichem Blick. Wie offensichtlich meine Angezogenheit zu ihm war, wurde mir erst jetzt bewusst. Sah ich ihn schon immer so an? Plötzlich strich Levi mit seiner Hand über meinen Kopf. Ich hielt inne. Sein Blick entspannte sich. Die Welt schien um uns herum zu wuseln. Die Soldaten schrieen, rannten und trugen Fässer von einem Ort zum anderen. Es war ein koordiniertes Chaos, indem alles das, was ich sagen wollte, keinen Platz finden würde.
"Lass uns hiernach reden, Levi. Ich habe Informationen für dich." meinte ich. Seine Augen weiteten sich. Wahrscheinlich konnte er erahnen, von wem ich dieses Wissen erhalten hatte. Er nickte und blickte auf meine Hand.
"Wenn du so weiter machst, bleibt von dir nichts übrig." Ich schüttelte den Kopf und zog meine Waffen. Es war beschwerlich, das linke Schwert zu halten. Doch es blieb mir nichts anderes übrig, als es zu versuchen. Das war ich meinem Trupp schuldig.
"Das mit der Hand wird ganz schön scheiße aussehen...." stöhnte ich als uns der Dampf des Monsters entgegenflog.
"Als würde mich das interessieren." erwiderte Levi. Er führte seine Hand an meine Stirn. "Übertreib es wieder nicht." fügte er hinzu und blickte mit mir dem Titan entgegen.



Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt