6. Kapitel

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Gedämpfte Stimmen ertönten durch die geschlossene Tür des Cockpits, doch May versuchte, sie auszublenden. Sie musste vorsichtig sein bei solchen Flügen. Normalerweise suchte sie sich eine niedrige Flughöhe, um anderen Flugzeugen nicht in die Quere zu kommen aber gleichzeitig genug Abstand zu Helikoptern oder sonstigen Gefahren in der Luft zu haben. Keine Aufmerksamkeit während des Starts und der Landung auf sich zu ziehen war nahezu unmöglich, aber bisher war immer alles gut gegangen und sie vertraute weiterhin auf ihr Glück.

Noch während May konzentriert einige Knöpfe betätigte, klingelte ihr Handy.

„Ja?", knurrte sie in den Hörer und klemmte sich das Handy zwischen ihre Schulter und ihr Ohr.

„Meine Lieferung ist nicht angekommen", erklang eine Stimme von der anderen Seite mit Rauschen im Hintergrund.

May seufzte.

„Ich bin ziemlich überzeugt, dass ich sie wie immer am Mülleimer abgelegt habe."

Sie schwebten nun knapp unter den Wolken und der Windwiderstand zwang sie, das Tempo etwas zu senken.

„Es ist nicht da. Vielleicht wurde der Mülleimer inzwischen geleert...?"

Tropfen bedeckten die Scheiben, dicker, nasser Regen klatschte gegen das Glas.

„Die haben den Mülleimer noch nie zu den Zeiten geleert."

Langsam steuerte sie das Flugzeug höher, durch die Wolkendecke. Weiß umgab sie, der Flieger erzitterte unter dem Druck. Für einen Moment schien die Zeit stillzustehen, bis sie durch die Wolken brachen. Sonnenstrahlen fächerten sich über dem blauen Himmel auf und blendeten May.

„Ich kümmere mich darum, wenn ich Zeit habe", knurrte sie und drückte den Anruf weg.

Das Geschäft lief nicht gut, gar nicht gut. Auf Nauru war es in letzter Zeit deutlich kälter, ihr Cannabis schaffte es oft nicht einmal zu reifen. Ihre Kunden stiegen auch immer öfter ab und May fragte sich schon, ob sie einen neuen Dealer gefunden hatten. Und nun die verschwundenen Lieferungen. Sie machten ihr mehr Sorgen, als sie zugeben wollte.

„May?", Alejandra blinzelte sie durch die Tür zum Cockpit an. „Ich muss mal aufs Klo. Wo gibt es denn hier eine Toilette?"

May zuckte mit den Schultern. „Gar nicht. Du kannst entweder aus dem Fenster pissen oder warten bis wir da sind."

Alejandra starrte sie ungläubig an. „Aus dem Fenster pissen?"

„Ja", seufzte May. „Also Nein. Warte einfach bis wir da sind."

„Und wie lange dauert das noch?"

Sie sah auf ihre digitale Uhr, dessen Zeiger sich langsam im Kreis drehten.
„Fünfzehn Minuten. Wir setzen jetzt zum Landen an."

Mit gerunzelter Stirn betrachtete Alejandra, wie May sämtliche Knöpfe betätigte und Schalter umlegte.

„Pilotin an Passagiere", sprach May eindringlich in ihr kleines Mikrophon, als sich ihre Kollegin nicht vom Fleck rührte. „Bitte begeben Sie sich wieder auf ihre Plätze und legen Sie den Sicherheitsgurt an. Wir starten die Landung."

Mit einem Knistern setzte sie ihr Headset wieder ab, als Alejandra die Tür öffnete und ein Schwall Rauch in das Cockpit eindrang.

„Maribel! Hör auf zu rauchen!", schrie May nach hinten. „Wie oft soll ich es dir noch sagen?!"

„Siehst du", jammerte Alejandra, „deshalb bin ich hier nach vorne gekommen. Dahinten kann man nicht mehr atmen."

„Man kann wohl atmen", ertönte Maribels Stimme von hinten.

„Wenn man an Lungenkrebs sterben will, vielleicht", rief May zurück.

„Sagst du!", grinste Maribel und ihr Gesicht erschien in der Tür. „Bevor ich an Lungenkrebs verrecke bist du schon high mit deinem kleinen Baby abgestürzt."

„Ich bin nicht high", trotze May und kniff die Augenbrauen zusammen.

„Heute vielleicht nicht."

„Auch wenn ich gut was brauchen könnte", fügte sie noch murmelnd hinzu und Alejandra griff mit strahlenden Augen in ihre Tasche.

„Ich hab was Ähnliches. Fast wie Drogen."

Maribel kreischte auf und May trat einen Schritt zurück. „Bleib mir bloß weg mit deinem Edamer."

In einer durchsichtigen Tüte baumelte vor ihr ein kleines gelbes Stück Käse, vom dem - verglichen mit seiner Größe - ein übernormal starker Geruch ausging. Tropfen glänzten an dem Plastik, als ob der Käse selbst Schweiß ausströmen würde.

„Der ist ja schon verschimmelt", bemerkte May angewidert.

„Richtig", strahlte Alejandra stolz. „Und das ist kein Edamer. Das ist Bleu de Wolvega."

„Alles dasselbe, Käse ist Käse. Und der ist in meinem Flieger nicht geduldet. Und jetzt verschwindet bevor ich euch noch abmurkse."

SIGNEDWhere stories live. Discover now