4. Kapitel

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Ihr dritter Cappuccino war längst kalt, als Valerie noch immer müde blinzelnd auf ihre Tastatur einhämmerte, in der Hoffnung, dadurch zu einer Erkenntnis zu kommen. Sie kippte den letzten Rest ihre Kehle runter, verzerrte ihr Gesicht und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. Es war still, das Café hatte sich beachtlich geleert und auf den Straßen war es längst dunkel. Sie hätte damit rechnen müssen, hier noch bis spät in die Nacht zu sitzen. Aber Uni ging vor Schlaf, die altbekannte Regel. Besser eine gute Hausarbeit und dafür keine Ruhe, als andersherum. Wobei man von einem regelmäßigen Schlafrythmus sowieso schon lange nicht mehr sprechen konnte. Sobald sie die Augen schloss, kamen die Alpträume, verzerrte Bilder und vergessene Gesichter. Da lag sie länger wach, als sich tatsächlich ausruhen zu können.

Müde rieb sie sich die Augen. Wann hatte sie das letzte Mal durchgeschlafen?

Blasse Erinnerungen an vergangene Nächte im Café holten sie ein, flimmernde Bildschirme, leere Kaffeetassen und all diese Wörter, so viele Wörter. Einfach schreiben, immer weiter schreiben, bis nichts mehr übrig war. Solange ihr Kopf mit Dingen aus der Uni gefüllt war, Projekte, Arbeiten, Vorträge, so lange konnte nichts anderes diesen Platz einnehmen.

"Valerie?"

Sie war nicht überrascht davon, dass Kaden ihren Namen kannte. Vielmehr davon, wie er ihn sagte. Es klang komisch, so vertraut und doch so fremd. Zwar dutzte er jeden im Café, doch das änderte nichts an Überrumplung auf Valeries Gesicht. Er schien es auch zu bemerken, zumindest erstarrte er einen Moment und sammelte sich dann wieder.

"Zeitdruck wegen der Uni?", fragte Kaden schließlich und nickte in Richtung ihres Laptops, auf dem sie noch das Dokument zu ihrer Hausarbeit geöffnet hatte. Wie beiläufig griff er nach ihrer leeren Tasse und stellte sie auf das schwarze Tablett, das er auf seinem Arm balancierte.

"Naja", gab Valerie zu, "Zeitdruck kann man verschieden definieren. Aber je schneller fertig, desto besser."
Sie scrollte im Dokument etwas runter, denn aus irgendeinem Grund war es ihr unangenehm, wenn Kaden ihren Text las.

"Moment mal", bemerkte er und verschränkte seine Arme, "Du zwingst mich zu Überstunden, damit du eine Arbeit schreiben kannst, für die du noch ewig Zeit hast?"

Valerie öffnete ihren Mund und schloss ihn dann wieder.
"Ja."

Wenn man es so sah, war es tatsächlich nicht sehr einfühlsam, um 23 Uhr noch hier zu sitzen und Kaden zu quälen. Vermutlich hatte er noch einen Schlafrythmus und sie war drauf und dran, ihn zu zerstören.

"Verdammt es tut mir leid", murmelte sie, klappte ihren Laptop mit einer schnellen Handbewegung zu und stand auf. Sie nahm den Kassenzettel aus Kadens Hand, schob ihn in ihre Hosentasche ohne einen Blick darauf zu werfen und legte ein paar Scheine auf den Tisch.

"Stimmt so und sorry. Wir sehen uns morgen."

Kadens grimmiger Blick verfolgte sie bis zur Tür, als sie bemerkte, dass Coffee noch immer im hinteren Teil des Cafés hockte. In einem Versuch, das Ganze nicht so peinlich aussehen zu lassen, beeilte sie sich ihren Kater zu holen und nickte Kaden noch einmal mit einem betont glücklichen Lächeln zu.

"Morgen nur bis Neun", schallte ihr seine Stimme unter dem Bimmeln der Ladenglocke nach, als sie die Tür erneut öffnete und einen Schritt nach draußen trat. Im Licht der Straßenlaterne überquerte sie die Straße und warf nur noch einmal einen Blick nach hinten. Kaden machte gerade das Licht aus und verdrehte die Augen, als ihre Blicke aufeinander trafen. Dann wandte er sich schnell wieder ab und auch Valerie beschleunigte ihre Schritte.
Es hatte aufgehört zu regnen, zum Glück, doch dafür war auch die Temperatur um einiges gesunken.

Zuhause angekommen zog sie mit ihren halb eingefrorenen Fingern den Schlüssel aus ihrer Tasche, schloss die Wohnungstür auf und setzte Coffee ab. Kaum hatte sie ihren Mantel an die Garderobe gehangen und ihre Schuhe in die Ecke geworfen, blinkte ihr Handybildschirm hell auf.

Hast du May angerufen?, schrieb Maribel.

In einem überraschend überwältigten Anflug von Wut warf Valerie ihr Handy aufs Sofa, von wo es langsam herunterrutschte und mit einem lauten Geräusch auf dem Boden aufkam.
Konnte man hier nie alleine sein?

Wütend fuhr sie sich einmal durch ihre Haare und warf ihren Laptop gleich hinterher. Eine ziemlich dumme Idee, im Angesicht der Bedeutung ihres Laptops und ihrer Zielsicherheit. Doch vielleicht hoffte sie sogar irgendwie darauf, er würde genau wie ihr Handy auf den Boden treffen und in tausend Einzelstücke zerbrechen. Leider landete er perfekt auf der Couch und blieb auch dort liegen. Sein Wille zu überleben übertraf anscheinend fast schon ihren eigenen.

Während Valerie langsam wieder ihr Handy vom Boden aufhob und es sich seufzend in die Hosentasche schob, redete sie sich zu, dass es nur dieser eine Tag war. Nur ein Tag, den sie überstehen musste, nur noch eine Stunde, dann war es endlich vorbei. Wie konnte es sie noch immer so aufwühlen?

Ihr Blick verfolgte wie hypnotisiert die Zeiger der Uhr an ihrer Wand, wie sie sich kontinuierlich bewegten.
23:11 Uhr.

„Komm her Geburtstagskind."
Sein Lächeln.
„Du weißt, ich liebe dich."
Seine Stimme.
„Bis nachher, Val."
Seine letzte Umarmung.
Dann war er fort.

23:12 Uhr.
Das Aufleuchten ihres Handys riss sie aus ihrer Starre.

Nvm, sie ist da. A+

Die Luft wich langsam aus Valeries Lungen, ihr Atem wurde regelmäßiger und ihr Herzschlag beruhigte sich.

Nachdem sie einige Minuten auf die Nachricht gestarrt hatte, öffnete sie ihren Laptop wieder, las den gesamten Text noch einmal und löschte dann alles.

Vielleicht sollte sie noch einmal neu anfangen.

Erst als sie ein paar Stunden später, nachdem sie die Kartons endlich in die hinterste Ecke ihrer Abstellkammer verfrachtet hatte, schlafen ging, sah sie sich den Kassenbon noch einmal an.
Zahlen war dort mit einem schwarzen Kugelschreiber über die Bestellung gekritzelt, in einer hastigen Handschrift. Darunter standen ein paar Worte und sie waberten immer noch in Valeries Kopf herum, als sie lächelnd in einen traumlosen Schlaf fiel.

happy b-day <3

SIGNEDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt