Kapitel 11

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Hatte ich mir das gut überlegt?
Nein, verdammt.
Nein, nein, und nochmal nein.
Und trotz allem stand ich jetzt hier - mitten im Nirgendwo - auf einer alten Straße in einem eigentlich menschenleeren Gebiet. Bloß, dass heute eine ganze Masse hier versammelt war. Eine Masse aus möchte-gern-Motorradfahrern und deren möchte-gern-Freundinnen-eines-Motorradfahrers. Armselig? Ein wenig, ja. Genauso armselig, wie der Fakt, dass ich gerade tatsächlich hier war. Zusammen mit meinem älteren Bruder, dem das Gehirn irgendwann auf dem Heimweg mal aus dem Kopf gefallen sein musste. Eine plausiblere Erklärung fiel mir schlichtweg nicht ein.
Obwohl... Vielleicht war es aber auch dieses Mädchen, das ihn nicht an sich ran ließ. Ob das ein Akt der Verzweiflung aufgrund von Liebeskummer war?

Als nächstes kommt das Gift in der Limonade, dachte ich.

Bei Gott, nein. Immerhin war das keine von Schillers Tragödien und Zayn glich bei Weitem keinem Romeo von Shakespeare. Also hoffentlich.

"Und mit wem hast du jetzt gewettet?", fragte ich, als Zayn ein paar seiner Kumpels begrüßt hatte und ich endlich! auch Caleb unter ihnen gefunden hatte, welcher nun neben mir stand und mir Blicke zuwarf die eigentlich genau meinen Gesichtsaudruck spiegelten, welcher ganz klar und deutlich sagen sollte: ich will nach Hause.

Zayn kratzte sich am Hinterkopf. "Das wird dir nicht gefallen."

Ich breitete meine Arme aus. "Mir gefällt das alles hier nicht, Zayn. Dieser Ort, diese Leute, der Gedanke, dass du bei diesem Mist mitmachst... Also sag mir einfach, mit wem du gewettet hast."

Er seufzte und nahm mir seinen Helm ab, den ich zusätzlich zu meinem eigenen auch noch in der Hand hielt.

"Dylan und... Aidan.", erwiderte er schließlich so vorsichtig, als fürchtete er, ich wäre ein Vulkan, der jeden Moment hochgehen könnte.
Also bitte. Er kannte mich viel zu schlecht. Ich würde auf alle Fälle hochgehen.

"Dylan? Dylan Jones? Und Negro? Oh Zayn, ist das dein Ernst?"

"Ich sagte doch, es wird dir nicht gefallen."

"Und wieso tust du es dann?"

Er sah mich an, bevor er den Helm wieder aufsetzte und sich auf seine Maschine setzte. "Du verstehst das nicht, Eli."

"Hast du schon gesagt" Ich rückte meine Brille zurecht und klopfte ihm dann mit der Faust auf den Helm, was er mit einem Lachen quittierte.

Caleb, der sich bisher eher im Hintergrund gehalten hatte, verschränkte die Arme vor der Brust. "Was ist eigentlich der Einsatz?", fragte er.

Zayn zwinkerte. "Der Gewinner bekommt einen neuen Helm vom Verlierer.", erklärte er stolz und man konnte förmlich sehen, wie seine Brust anschwoll.

Noch nicht, dachte ich leicht amüsiert, noch hast du nicht gewonnen, also sei dir deiner Sache nicht so sicher, Bruderherz.

Er streckte die Arme nach mir aus und ich drückte ihn fest an mich. Ob er mit Quetschungen auch fahren konnte? Ich fing an, ernsthaft darüber nachzudenken... Ich meine - wieso eigentlich nicht? Immer noch besser, als ihn mitfahren zu lassen. Aber Zayn war schon groß. Er konnte auf sich selbst aufpassen. Hoffentlich.

"Pass auf dich auf, du Idiot. Und komm heil wieder zurück.", sagte ich schnell, als ich Aidan aus dem Augenwinkel bemerkte, der direkt zu uns sah.

Seine dunklen Augen schienen sich - wie auch immer um Himmels Willen das möglich war - in meine Seele zu bohren. Dann setzte er den Helm auf und klappte das Visier herunter. Und die Art, wie er sich auf sein Motorrad schwang, ließ mich ihn einen viel zu langen Augenblick lang anstarren. Ich beobachtete allzu genau, wie er sich die Handschuhe über die Hände zog und wie er schließlich auf die Straße blickte.

"Eli?"

Ich erwachte aus meiner sehr merkwürdigen Trance und sah in Calebs verständnisloses und verwirrtes Gesicht.

"Mhm? Was ist denn?"
Okay, wie lange hatte ich Negro angestarrt?!
Hilfe.

"Das Rennen geht gleich los... Und äh... Wir sollten von der Straße."

Ein letztes Mal sah ich noch zu Aidan, dann wünschte ich meinem Bruder Glück und schon wurde ich von Caleb von der Straße gezogen.
Eine halbnackte Frau stellte sich auf die Straße vor die Fahrer und hob eine Flagge in die Luft. Definitiv ein wenig viel zu viel Fast & Furious...
Zayn ließ den Motor aufheulen und ein paar der anderen Teilnehmer taten es ihm gleich - Aidan mit eingeschlossen.

"Und loooosss!", rief die Frau, riss die Flagge im selben Moment herunter und stellte sich ganz in die Mitte, um nicht überfahren zu werden.

Die Motorradfahrer rasten alle wie vom Blitz getroffen los, zwei von ihnen von Anfang an an der Spitze.

"Zayn und Aidan", sprach Caleb meinen Gedanken aus.

Wir standen hinter dieser verfluchten Absperrung und sahen nur noch, wie sie alle davon düsten. Und das in einem unglaublich schnellen Tempo. In einem halsbrecherisch schnellen Tempo.

"Hey, wartet auf mich! Hey!"

Irritiert sah ich auf die Straße. Irgendein Gestörter war über die Absperrung gehüpft und fuchtelte wie wild mit den Händen herum.

Caleb sah mich an. Seine grünen Augen strahlten eine Verwirrtheit aus, die mich zum Schmunzeln brachte. "Wer...?"

"Maison.", erwiderte ich. "Maison Jones."

Jetzt verengten diese eben noch so verwirrten Augen sich zu Schlitzen. "Ah, der Typ, der zu meiner Geburtstagsparty erschienen ist, und eine ganze Horde mitgebracht hat?"

"Jup, genau der. Dylans Cousin."

"Ich glaube, er hat das Rennen verpasst.", flüsterte Caleb neben mir und deutete mit dem Kinn auf Maison, der den Rennfahrern verzweifelt hinterher sah.

Ich lachte leise. "Das glaube ich auch"

Maison fluchte, dann ging er zurück und ließ sein Motorrad einfach auf der Straße stehen. Und ich sah zwischen die Bäume, wohin die Motorräder - und somit auch Zayn - verschwunden waren. Nur noch ein wenig waren die heulenden Motoren der Maschinen irgendwo zu hören. Es war bloß der Abglanz von Geräuschen aus der Ferne.
Es waren kaum zwei Minuten vergangen, als ich ein hässliches Quietschen hörte. Darauf folgte ein Krachen und schließlich ein merkwürdiges Geräusch, das sich anhörte, als wäre etwas Großes zu Boden gegangen. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als ich Zayns Maschine sich überschlagen sah, nachdem eine andere über den nassen Asphalt geschlittert war.
Ich ignorierte alle Rufe, Calebs Versuche, mich aufzuhalten - ich hörte nur noch meinen schnellen Atem und das viel zu schnell schlagende Herz, als ich über die Absperrung gesprungen war und über die Straße zum Unfallort rannte.

Zerschmettert Where stories live. Discover now