Kapitel 1

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"Eli!"
Augenrollend klappte ich das Buch zu - natürlich genau dann, wenn es am spannendsten war - und legte es auf meinen Nachttisch, bevor ich die Decke meines Bettes glatt strich.

"Eli!"
"Ich komme doch schon!", rief ich und trennte noch mein Handy vom Ladekabel. Neunundneunzig Prozent zeigte es an. Endlich... Ich vergaß immer, mein Handy aufzuladen und dann war ich quasi dazu gezwungen, das meines Bruders zu benutzen.

"Eliii!"

"Mein Gott, Zayn! Warte doch mal eine Minute!" Dieser Trottel von einem großen Bruder hatte überhaupt keine Geduld. Ich würde ich gleich killen, wenn er mich noch einmal rufen würde.

Genervt sprintete ich die Treppen runter, nachdem ich meiner besten Freundin auf ihre Nachricht geantwortet hatte und blieb für einen kurzen Moment stehen, als sie mir eine Sprachnachricht schickte.

"Was lernst du für Mathe? Ich habe gestern angefangen aber dann habe ich doch nichts gelernt...", erklärte Lydia mir in dieser hysterisch. Ich musste lächeln.

'Antworte später, Zayn nervt', tippte ich kurzerhand und steckte das Handy wieder weg, als sich ein großer Schatten vor mir aufbaute.

Seufzend blickte ich hoch.
"Was ist?", fragte ich meinen Bruder, der mich böse ansah. "Was habe ich dir schon wieder getan?"

Ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus und seine blauen Augen musterten mich. "Nichts. Aber du musst kochen."

Ich hob eine Augenbraue - na gut, ich versuchte es... Und nein, ich bekam es nicht hin. In Büchern war es immer so selbstverständlich und scheinbar das Einfachste der Welt: 'Er hob eine Augenbraue' Aber in echt... Ha, ha, Reinfall.

"Können wir nicht Pizza bestellen oder so?"

Er schüttelte den Kopf und zupfte an einer meiner roten Haarsträhnen herum. Blöde Angewohnheit von ihm. Aber ganz gleich, wie oft ich ihn darauf ansprach; nach zwei Minuten war es wieder vergessen und er betatschte meine Haare erneut.

"Ich habe kein Geld und Mum sagte, wir sollen nicht immer Fast Food essen."

Ich seufzte frustriert auf. War das sein ernst? Seit wann hörte er darauf, was unsere Mutter sagte?
"Und wieso kochst du nicht einfach?"

"Ach komm schon, Eli..."
Ich ging an ihn vorbei und setzte mich im Wohnzimmer auf die Couch.
Einen kurzen Augenblick später saß Zayn schon wieder neben mir und sah mich mit einem Blick an, den er den Mädchen in der Schule garantiert nicht zeigte. Er sah gerade aus wie ein Dackel mit Schmollmund. Irgendwie süß.

"Ich mache gleich ein Foto von dir und poste es, wenn du nicht sofort damit aufhörst, mich so anzuschauen."

Zayn gab nicht auf. "Bitte, Eli. Ich kann nicht kochen."

"Dann ist es höchste Zeit, es zu lernen.", grinste ich.

"Eliiiii" Ich glaube, er mochte es, meinen Namen so in die Länge zu ziehen. "Ich habe Hunger und Mum kommt heute erst spät nach Hause."

Ich lächelte. "Na gut, aber nur unter einer Bedingung." Sollte ich ihn weiter zappeln lassen? Ach was... Ich hatte selbst einen Bärenhunger und das Gefühl, ich könnte jetzt alles verschlingen.
Zayn strahlte mich an.
"Du hilfst"

Und sofort war seine gute Laune die Kanalisation runtergespült worden.
Ich stand mit Schwung auf und hielt ihm meine Hand hin, während er etwas Unverständliches vor sich hingrummelte. Dann ließ er sich jedoch widerwillig von mir hochziehen und folgte mir mit hängenden Schultern in die Küche.

"Hol bitte die Paprika raus und Karotten. Ach und die Zwiebeln."

Während er tat, was ich ihm gesagt hatte, kramte ich mein Handy aus dem weiten Kapuzenpulli hervor, der eigentlich Zayn gehörte, und begann damit, eine Sprachnachricht für Lydia aufzunehmen.

"Ich habe ehrlich gesagt noch gar nichts gelernt... Werde es eh nie verstehen... - Zayn sieh mich nicht so an - und ja keine Ahnung, schaue gleich nochmal drüber und melde mich später wieder bei dir."

Mein großer Bruder sah mich an, als würde er mich gleich zerfleischen wollen.

Ich hob die Hände beschwichtigend in die Luft. "Aus welcher Anstalt wurdest du denn entlassen?", lachte ich.

"Du sagtest, wir kochen zusammen.", meinte er.

"Tun wir doch?"

"Nein, du bist am Handy."

"Zayn, benimm dich nicht wie ein kleiner Junge und schneide die Paprika in Streifen.", sagte ich und verkniff mir ein Lächeln. Er benahm sich wie ein kleiner Junge, der zu wenig Aufmerksamkeit von seinen Eltern bekam.

Ich ging kopfschüttelnd zum Kühlschrank und holte eine Packung Hackfleisch hervor. Wenn wir schon zusammen kochten und ich jemanden für die Drecksarbeit hatte, konnte es auch mal ein ausgefallenes Rezept sein.

Ich schloss mein Handy per Bluetooth an eine Box an und stellte die Lautstärke auf maximum. Sofort merkte ich, wie Zayns Laune sich besserte und er stieß mich lachend mit dem Ellbogen an, während er das Lied laut mitsang. Ich lachte und begann damit, die Zwiebeln zu schneiden und was fehlte? Natürlich! Meine Augen fingen an zu tränen.

Zayn zeigte mit dem Finger auf mich und begann zu lachen, während ich ihm finster entgegenstarrte und ihm dann amüsiert dabei zusah, wie er ungeschickt mit den Messer hantierte.

Anders als die Mädchen an unserer Schule nämlich glaubten, konnte mein ehrenwerter Bruder längst nicht alles. Rein theoretisch könnte ich ihn voll krass blamieren. Nein, sowas würde ich nie tun. Zayn war mein - ausgesprochen nerviger - großer und liebenswürdiger Bruder und ich war froh, ihn an meiner Seite zu haben.

Zerschmettert Where stories live. Discover now