Kapitel 17

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Komplett durchgefroren klingelte ich, nachdem ich endlich vor unserem Haus angekommen war. Zwar hatte ich es nicht wirklich weit zu laufen, jedoch hatte der Busfahrer mich dieses Mal erst eine Haltestelle später herausgelassen, da er scheinbar nicht bemerkt hatte, dass jemand raus wollte. Natürlich war es wieder mir passiert. Und dann war ich fünf Minuten länger - die Hände tief in den Taschen vergraben - nach Hause getapst. Okay, diese fünf Minuten waren nicht die Welt. Aber es waren fünf Minuten, in denen ich mich dafür verflucht hatte, dass ich Chucks und keine Boots angezogen hatte. Es war so schnell so kalt geworden... Vor kurzem waren Zayn und ich noch Motorrad gefahren und hatten den kühlen Fahrtwind dabei genossen. Und jetzt hatte ich das Gefühl, die nächste Eiszeit würde auf uns zukommen.
Mum war heute wieder zu Hause. Seit Zayns Unfall durfte sie fürs Erste teilzeit arbeiten und war somit sogar vor mir zu Hause, da ich immer Nachmittagsunterricht hatte. Leider Gottes. Wer hatte sich das überhaupt ausgedacht? Sicher Menschen, die am liebsten in die Schule ziehen und dort für immer im Klassenzimmer leben würden.

"Hi Mum", nuschelte ich, als sie die Tür öffnete und mich, direkt nachdem ich im Haus war, mit einer Umarmung begrüßte.

Ich stellte meinen Rucksack ab und schlüpfte aus den Chucks, bevor ich auch den Mantel abzog und ihn in den Schrank hängte, der im Flur stand. Zayn ließ immer die Schranktür offen und Mum lief ihm dann wütend hinterher und verlangte, dass er sie schließen solle.

"Elina, deine Füße werden in diesen Schuhen kalt. Ab morgen bitte nicht mehr diese Stoffschuhe."

Ich unterdrückte den Drang, mit den Augen zu rollen, und nickte stattdessen einfach nur leicht. "Jaah."

"Nicht jaah", versuchte sie meine Stimme zu imitieren, "du ziehst dich morgen wärmer an, bevor du dich wieder erkältet."

Ich nickte und ging ins Bad, um mir die Hände zu waschen.

"Ich will doch nur das Beste für dich, Süße.", meinte sie und als ich nach links blickte, sah ich sie im Türrahmen stehen. Sie sah so müde aus. Ihr Haar war zu einem Vogelnest-artigen Dutt hochgesteckt, obwohl sie mir immer sagte, - Achtung, Zitat meiner Mutter - ich würde aussehen wie ein Penner, wenn ich mir diese Art Messy bun machte.

Sofort überkam mich ein schlechtes Gewissen und ich küsste ihre Wange, bevor ich die Küche aufsuchte und mir einen Keks in den Mund schob. "Das weiß ich doch", meinte ich mit vollem Mund und schob mir daraufhin wieder einen Keks in den Mund, was sie mit einem Kopfschütteln quittierte.

"Geh dich umziehen und dann komm essen. Ich habe gekocht. Spaghetti Carbonara."
Wie als würde mein Körper einfach selbst sprechen wollen - besser gesagt mein Bauch - grummelte es plötzlich in meinem Bauch und Mum schmunzelte.

Was denn? Sie machte die besten Spaghetti Carbonara, die ich je gegessen hatte und irgendwann einmal essen würde.

Also beeilte ich mich, in mein Zimmer zu kommen, sprintete die Treppenstufen hoch und stürmte regelrecht in mein mit Büchern vollgestopftes Zimmer. Ich ging zum Kleiderschrank und kramte eine Jogginghose aus der hintersten Ecke hervor und dazu einen Pulli von Zayn.
Apropos Zayn... -
Als ich mich umdrehte, bekam ich erst einmal einen halben Herzinfarkt und schrie laut auf. Dort - auf meinem Bett - saß in aller Ruhe mein ehrenwerter rothaariger Bruder mit diesem frechen Grinsen im Gesicht. Sein Arm und sein Bein steckten in einem nicht sehr bequem aussehenden Gips und am anderen Arm sah ich blaue Flecken und einige Kratzer.

"Zayn...!" Am liebsten wäre ich ihm um den Hals gefallen, setzte mich jedoch fürs Erste neben ihn auf mein - vorher noch ordentlich gemachtes - Bett.
Er hatte noch nicht aufgehört zu lächeln.

"Hey."

"Seit wann...?" Ich brachte vor Freude keine geraden Sätze zu Stande, in denen die Grammatik einen Sinn ergab und kein Wort fehlte, das den Satz eigentlich vervollständigen sollte.

"Sie haben heute morgen angerufen, dass ich ihn abholen kann. Und dann hat er sich geweigert, in sein Zimmer zu gehen oder unten auf die Couch. Er wollte dich überraschen.", sagte unsere Mutter plötzlich, die irgendwie unbemerkt in mein Zimmer gekommen war. Fast so leichtfüßig und leise wie Legolas aus Herr der Ringe, nur dass sie keine Elbe war.

Ich schmunzelte. "Das sieht ihm ähnlich."

Mein Bruder zog eine - eine!! - Augenbraue hoch und musterte mich kurz, bevor er fragte: "Ist das so?"

Beinahe sofort fing ich zu lachen an, doch dieses verging mir relativ schnell, als ich die Krücken bemerkte, die am Bett lehnten.

Er hatte meinen Blick scheinbar bemerkt, denn er zuckte nur mit den Schultern. "Das sieht schlimmer aus, als es ist. Ich kann damit ganz hervorragend laufen."

"Trotz-"

Er seufzte und unterbrach mich. "Ja, trotz des gebrochenen Arms."

*

Zayn und ich saßen in meinem Zimmer auf dem Bett und sahen uns gerade Maze Runner - die Auserwählten im Labyrinth an. Er hatte das gebrochene Bein hochgelegt und beschwerte sich gelegentlich darüber, wie ungemütlich es doch war, einen Gips zu haben.

Ich war so kurz davor, ihm an den Kopf zu werfen, dass das alles gar nicht passiert wäre, wenn er auf mich gehört hätte und nicht unbedingt auf dieses bescheuerte - und auch noch illegale - Rennen hätte gehen müssen. Und doch tat ich es nicht. Er hatte wirklich mehr als genug Sorgen in seinem Zustand. Zur Schule würde er fürs Erste nicht können, doch sobald wenigstens das Bein wieder halbwegs in Ordnung sein würde, würde das schon gehen.

"Dylan O'Brien", las ich die Namen aus dem Abspann laut vor.

Zayn setzte das Spiel, das wir als Kinder immer gespielt hatten, fort: "Thomas Brodie-Sangster"

"Will Poulter", warf ich zurück.

Na ja... An sich war es kein Spiel. Aber irgendwann hatten wir uns angewöhnt beinahe jeden Namen nach dem Film im Abspann laut vorzulesen. Dad hatte uns dabei einmal auf Video aufgenommen. Die Kamera müsste noch in der Kiste mit seinen alten Sachen sein. Niemand hatte diese Kiste nach seinem Tod richtig angefasst.

Zayn zog eine Grimasse beim nächsten Namen. "Ki Hong Lee?"

Ich lachte über seine Aussprache des Namens. "Das ist der, der Minho spielt."

"Das weiß ich."

Ich zwinkerte. "Ja klar"

"Ich meine es ernst. Ich weiß, dass er Minho spielt.", diskutierte er weiter und sah mich mit Augen, die beinahe ganz zu Schlitzen verengt waren, an.

"Mein Gott, lass mich dich doch ein bisschen aufziehen", lachte ich und schaltete den Fernseher aus.

In dem Moment vibrierte mein Handy.
Ah. Nein. Nicht meins.
Es war Zayns Handy und als ich sah, von wem die Nachricht war, sah ich ihn geschockt an.

"Du... Negro will mit dir zocken?", fragte ich entgeistert und starrte auf den Bildschirm. Im Hintergrund war dasselbe peinliche Selfie von Zayn und mir zu erkennen, das er auch als Profilbild hatte.

Zayn nickte vorsichtig, als wüsste er nicht, was sonst zu tun war und sah mich abwartend schweigend an.

"Dieser Typ ist der Grund dafür, dass du im Krankenhaus gelandet bist! Und du willst mit ihm zocken?!"

Mein Bruder seufzte und fuhr sich durch das rötliche Haar. "Es war ein Unfall, Eli. Nichts weiter."

"Nur ein Unfall? Mach die Augen auf, Zayn. Negro ist so ein-"

Okay, jetzt war es definitiv mein Handy.

Aidan Negro
Sprachanruf

Mir fiel die Kinnlade fast auf den Boden, und doch fing ich mich relativ schnell wieder.

Irgendwann wische ich dir alles aus, was du jemals getan hast.

"Ja?", fragte ich, nachdem ich den Anruf angenommen hatte.

Zerschmettert Where stories live. Discover now