6. Storykonzepte 3/3: Malang

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Ihr habt ja schon viel gelernt, hoffe ich. Nicht nur beim Schreiben und Lesen anderer Leute Texte, sondern könnt jetzt auch bei euch auf die Textstellen zeigen, die man verbessern muss... und sogar schon sagen was, oder? Zugegeben, dieses Kapitel sollte erst später kommen, aber ich wollte die Konzepte nacheinander gruppiert wissen, denn... ihr könnt hier in etwas Gutes reinschauen und später sehen, wie man es eben NICHT machen sollte. Oder ihr kommt nach späteren "Text"-Kapiteln nochmal hierher zurück und der Unterschied wird noch auffälliger. Eine Geschichte als Show, Musikvideo oder Film ist natürlich ein bisschen anders aufzuziehen als ein Text, weil man nicht alles beschreiben muss, sondern der Zuschauer wortwörtlich SIEHT... dennoch liegt auch einem visuellen Medium ein Text zugrunde. Ein Plan oder Drehbuch, manchmal auch ein Storyboard, in dem die einzelnen Szenen als Bild dargestellt werden. (Bei Action- oder Kampfszenen hält man so z.B. die Abläufe der Choreographie fest und wie sie gefilmt werden müssen ^^)

Seht euch jetzt mal oben "Malang" aus dem Bollywood-Kracher "Dhoom 3" an: Welche Geschichte wird hier erzählt? WIE wird sie erzählt? Es wird über Liebe gesungen... aber man SIEHT es auch, selbst ohne den Text verstehen zu können, nicht wahr? Der Held, dem wie Orpheus die Liebste Eurydike geraubt wird und die er aus den Klauen des Bösen erretten muss.

Wenn ihr soweit seid und darüber nachgedacht habt, wird es noch ein Stück rafinierter: "Reborn" heißt dieser vietnamesische Kurzfilm.

Hier habt ihr ein Beispiel für Subtext, denn euch allen wird sicher nicht entgehen, dass der Liedtext (Untertitel einschalten) nicht die Geschichte erzählt. Aber was erzählt er dann? Ist er einfach nur so da?

Nö, so simpel sind die beiden Macher - König der Visuals DENIS ĐẶNG und sein kurz "einspringender" Schwertschwinger-Sänger/Komponist NGUYỄN TRẦN TRUNG QUÂN - nicht. Der Text beschreibt ein Gefühl und daraus resultierende Gedanken. Das Verhalten der Charaktere zeigt sehr deutlich, was in ihnen vorgeht. (DENIS ĐẶNG ist der weißhaarige Herrscher, NGUYỄN TRẦN TRUNG QUÂN ist der Kämpfer mit dem Stirnband, der mit ihm die Zombies bekämpft.)
So ist übrigens auch "Show, don't tell" gemeint: Gefühle lösen Handlungen aus, und DIE werden beschrieben. Einfach zu behaupten, eine Figur hätte Angst, reicht nicht. Vielleicht ist sie ja ein unzuverlässiger Erzähler oder redet sich was ein? Was eine Figur oder der Autor SAGEN, muss nicht unbedingt stimmen - dass ICH (wenigstens zu sich selber) ehrliche Figuren mag, ist meine persönliche Präferenz.

An meine Beschreibungsfetischisten: So etwas wie "Reborn" funktioniert auch auf einer Bühne, auf der nichts steht. Alles was eine Figur sagt oder tut, dient der Geschichte und das MUSS in euren Text. Was es nicht tut, fliegt raus. Das gilt auch für Beschreibungen. "Avatar - Aufbruch nach Pandora" ist kein besonders guter Film. Er besticht nicht durch die Geschichte oder die Figuren, denn die Geschichte ist ein oft erzähltes Thema: Mann aus hochtechnologisierter Zivilisation findet in einem fremden Land eine wunderschöne, naturverbundene "Wilde Prinzessin" und verliebt sich in sie. Er besticht auch nicht durch die Figuren, denn die Figuren sind flach, reduziert auf ihre Rolle in der Geschichte. Gut und Böse sind klar verteilt, Love Interest, Mentor und Rivale ebenso.
Es ist also scheißegal, ob ihr König DENIS ĐẶNG schön oder seinen Bauch sexy findet oder ob er lange weiße Haare hat oder ihr die Konkubine nicht hübsch findet: Wichtig ist die Lüge, die er aufbaut, um seine ehemalige Favoritin - an der ihm offensichtlich wirklich etwas liegt, selbst nachdem er einen anderen bevorzugt - zu schützen. Und wie er die Gefühle ehrt, die sie für ihn hat. Ein paar Fans haben diesen Film erklärt - inklusive Blumensprache, aber das Sinnbild habt ihr sicher auch so verstanden - und meinten, dass der Herrscher VERANTWORTUNG übernimmt, indem er den Tod der Konkubine vortäuscht, damit sie nicht weiter in Lebensgefahr durch die Eifersucht des Soldaten ausgesetzt ist.
Und wer ist so gefühlskalt, dass er NICHT erkennt, dass der Schnee die erkalteten Gefühle / die verschwundene Liebe symbolisiert, mit der sich die Konkubine konfrontiert sieht, nachdem der Soldat ihren Platz einnimmt? Was ist eine Metapher? Ein bildlicher Vergleich. (Und hier mal eine anderer, als Liebeskummer, der vom obligatorisch klischeehaften und damit langweilig nichtssagenden Regen untermalt ist...)

Auch sowas muss in ein Konzept, denn Gefühle sind das, was eure Figuren handeln lässt - genauso wie ihr oft auf Grund eurer Gefühlen handelt. Gefühle entscheiden auch, was für Handlungsmotive sie haben, denn selbst Ehrgeiz ist ein Gefühl.
Wenn dem Leser eure Figuren egal sind, weil er ihre Gefühle nicht versteht, dann folgt er ihnen nicht in die Geschichte. Deswegen sind Konzepte - selbst wenn es nur grobe Notizen sind - so wichtig, denn sie sind wie eine Stimmungskurve. Ihr müsst darauf achten, dass die Gefühle eurer Figuren (auch die der Nebenfiguren) mit dem Konzept der Geschichte übereinstimmen, damit die Figuren zum richtigen Zeitpunkt das richtige fühlen und das Gefühl muss aus dem Kontext der Handlung kommen: Wäre Aamit Khan in "Malang" seine Göttin Katrina Kaif egal gewesen, wäre er niemals losgezogen, um sie zu retten. Wäre nicht noch ein Funken Zuneigung im Herrscher von "Reborn" für seine Ex-Konkubine gewesen und sie ihm so egal wie ihre Vorgängerin... hätte er niemals eine so ausgefeilte Lüge gesponnen, um sie vor dem Soldaten zu schützen.

Kunst generell löst Gefühle aus, sei es ein Bild, ein Lied, ein Musikstück oder ein Text. Es ist eure Aufgabe als Schöpfer dieser Kunst - wir hier als Autoren z.B. - dem gerecht zu werden. Und das macht man nicht einfach so, oder drauflos. Vielleicht haben wir nicht von Anfang an ein Konzept, vielleicht seid ihr wie ich und es entwickelt sich während des Erschaffungsprozesses... aber ein Konzept sorgt dafür, dass jedes Puzzleteil an die richtige Stelle kommt, damit in unserem Publikum das Gefühl ausgelöst wird, was wir beabsichtigen. Das mindeste ist Interesse, das höchste? Begeisterung für unser Werk und vielleicht auch... für uns und unser Können.

Schlefix... Nicht noch so ein blödes Failbuch!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt