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Es fiel mir schwer über meinen Schatten springen. Noch immer fühlte ich mich ziemlich gekränkt, aber ich sollte die ganze Sache klären. Es war besser für mein Gewissen, anstatt mich ständig stur zu stellen und der Konfrontation mit meiner Schwester gezielt aus dem Weg zu gehen. Es war ihr gegenüber nicht fair, noch würde ich daraufhin eher Schaden nehmen als irgendetwas anders. Nur war es eben kein Leichtes, wie so vieles im Leben.

Also hatte ich sie nachdem Essen gebeten, dass wir miteinander reden sollten. Natürlich wurden da unsere Eltern hellhörig und auch Olivia schien ein gewisses Interesse für meine Worte zu haben. Als ich aber darauf bestand, dass wir in eines unserer Zimmer gingen, schienen sie alle nicht ganz so zufrieden zu sein. Ich wusste nicht, was sich meine Familie von mir erhoffte zu diesem Zeitpunkt, aber ich war eben noch längst nicht bereit, dass sie mich hassten, wie ich war. Auch wenn Olivia von all dem bereits wusste, aber keinerlei Interesse dafür hegte, war ich mir ziemlich sicher, wenn ich unseren Eltern davon erzählt, spürte sie, wie ernst ich die ganze Sache meinte und vielleicht würde sie ihren Groll auf mich herunterfahren. Man durfte jedenfalls darüber träumen dürfen, dass das ewige, sinnlose Kriegsbeil dahingehend dann endlich begraben sein würde.

„Wieso willst du ausziehen?", fiel ich mit der Tür ins Haus, als ich die Tür hinter mir geschlossen hatte und wir uns in meinem Zimmer befanden. Ich sprach leiser als sonst und weil ich so paranoid war, dass irgendjemand einfach so reinplatzen würde, drehte ich den Schlüssel im Schloss herum und schloss zu. Mir war nicht wohl dabei, noch einmal das Thema aufrollen zu wollen, obwohl ich wusste, dass mir nichts anderes übrigblieb. Offen und ehrlich hatte ich auch mit Chan reden können, der mich dazu ermutigt hatte mit Rachel zu reden und mir die ersten Ängste abnehmen konnte. Nur konnte er mir eben nicht alles abnehmen.

„Ich sagte bereits, ich sehe, wie du leidest und du dich schon ewig unwohl fühlst, auch wenn du es versuchst alles herunterzuspielen. Ständig wirst du mit Dingen konfrontiert, gegen die du dich nicht wehren kannst. Ich möchte nicht vor den Streitereien unserer Familie flüchten, weil ich keine Lust mehr habe. Ich möchte für dich flüchten, weil du einen Ort brauchst, an dem du sicher bist. An dem du dich entfalten kannst ohne Angst haben zu müssen, dass dich jemand erwischt und du dich schämen musst, nur weil du so sein möchtest, wie du es dir wünschst..."

Es herrschte eine Stille. So ganz wusste ich nicht, was ich antworten sollte. Eigentlich hatte sie genau das versucht mir schon einmal zu erklären, wenn ich nicht jedes Mal abblockte und es auf mich selbst projizierte, dass es meine Schuld war. Dabei tat sie es für mich. Sie tat Dinge schon immer für mich und nicht gegen mich. Es war einfach nur lächerlich, was sich in meinem Kopf abspielte, dass ich beinahe schon weinen wollte, weil ich mich so schuldig fühlte, ihr etwas vollkommen Falsches zu unterstellen, was sie niemals in Erwägung ziehen würde.

„Aber was machen ich, wenn es dann noch schlimmer wird? Du bist nicht mehr da, wenn mich jemand in die Ecke drängt und ständig zu dir und zu Chan zu flüchten, ist doch auch lächerlich... Ich bin kein kleines Kind mehr, was sich gegen nichts wehren kann..."  Ja, ich hatte vollkommene Angst vor der Zukunft. Immerhin konnte es nur noch schlimmer werden, wenn ich hier allein war. Rachel konnte mich nicht davor beschützen, wenn Olivia mich wieder erpressen wollte oder meine Sachen nahm. Noch konnte sie besänftigend auf unsere Mutter einreden, wenn es ihr nicht passte, dass ich schweigsam war und nicht redete. Natürlich konnte ich es einfach ignorieren, aber das würde auch nicht von heute auf morgen passieren, dass ich diese Eigenschaft einfach so beherrschte. Ganz zu schweigen von den schlaflosen Nächten, die vorprogrammiert waren, wenn sie ausgezogen war.

„Du weißt, du kannst jederzeit zu uns kommen. Wichtig ist es, dass es dir gut geht und wenn du eben eine Zeit lang bei mir schläfst, dann ist es ein Denkzettel für unsere Eltern. Sie können ihre Kinder nicht unterschiedlich behandeln. Am Ende verlieren sie so eines davon. Also... Fühl dich immer frei zu mir zu kommen. Außerdem dauert es noch ein bisschen bis ich wirklich etwas gefunden habe, okay? Bis dahin werden wir uns auf alles einstellen können, damit es nicht ganz so schlimm für dich wird."

Nervös biss ich mir auf die Lippe und vertraute einfach auf ihre Worte. Etwas anderes blieb mir schließlich nicht übrig. Sie war alt genug und ihr verbieten, dass sie auszog, konnte ich am Ende auch nicht. Nur hasste ich eben Veränderungen wie die Pest und am liebsten wollte ich, dass sich niemals etwas ändert. Auch wenn sie etwas vollkommen Positives mit sich bringen konnten.

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXWo Geschichten leben. Entdecke jetzt