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Die ganze Zeit hatte ich gedacht, dass die Stimmung bei mir Zuhause nicht mehr schlimmer werden konnte, seitdem Rachel ausgezogen war. Aber selbst nach einer Woche schien es so, dass meine Eltern immer noch nicht sonderlich zufrieden mit mir waren. Besonders mein Vater hasste die neue Haarfarbe an mir und das zeigte er mir mit seinen Blicken, als auch mit seinen Sticheleien besonders. Ich hörte nicht darauf. Das hatte mir Rachel schon lange angeraten, was natürlich nicht besonders einfach war und man sich wirklich hinterfragte, was dieses Kindergartentheater sollte. Aber ich nahm es hin, ließ es über mich ergehen, weil mir etwas anderes am Ende nicht übrigblieb.

Ich müsste nicht mehr für ewig hier wohnen müssen und dank meiner Schwester konnte ich einfach aus dem Nichts sagen, dass ich zu ihr ging, wenn es mir zu viel wurde. Aber auch das hielt sich bisher im Rahmen, weil es mir unerwarteter Weise ziemlich gut ging und mich die ganzen, abwertenden Kommentare kalt ließ. Woher diese Art auf einmal kam, konnte ich mir auch nicht erklären, aber ich hatte keinerlei Problem damit und begrüßte es sehr.

Seitdem meine Haare orangen waren, wurde das Verhalten meiner Klasse gegen mich schlimmer. Und irgendwie hatte ich den Wunsch, dass es mich genauso kalt ließ, wie es Zuhause der Fall war. Gott sei Dank hatte ich neben Chan nun auch Seungmin, der mir sogar den Vorschlag gemacht hatte, ob ich nicht die Klasse versuchen wechseln zu wollen. Einen Grund hatte ich ja, nur müsste ich dafür auch meine Eltern einweihen. Und die würden wohl dann davon ausgehen, dass ich mich vor ihnen derartig verschloss, weil ich gemobbt wurde. Aber das war eben nicht der ausschlaggebende Punkt und dementsprechend haderte ich mit mir, ob ich es meinen Eltern erzählen sollte. Nur konnte ich schon meinen Vater sagen hören, dass dies nur geschah wegen meiner neuen Haarfarbe. Hätte ich sie mir nicht gefärbt, würde ich niemanden eine Grundlage für irgendetwas bieten. Das wollte ich mir absolut nicht antun und hielt Schweigen für die weitaus effektivere Variante.

„Manchmal kommt es mir so vor, als wäre der Junge schwul!", konnte ich meinen Vater aus der Küche sagen hören, während ich seelenruhig mit Chan schrieb und mir soweit nichts schlimmes gedacht hatte. Jedenfalls war es bisher der Fall gewesen, solang er nicht seine Stimme erhoben hatte.

Wie von automatisch griff ich nach der Kette, welche ich noch nie abgenommen hatte und hielt das kleine Semikolon zwischen meinen Fingern. In mir kam ein ungutes Gefühl auf, dass gleich etwas passieren würde mit dem ich nicht gerechnet hatte. Umso hoffnungsvoller war ich, dass mir Chans Geschenk irgendwie dabei helfen konnte. Mir kam zwar auch in den Sinn, dass ich eine Audio an Chan hätte machen können, um ihm zu zeigen, was hier wieder los ist, aber ich entschied mich dagegen. Es war feige, wenn ich im geheimen die Worte meines Vaters aufnahm. Dadurch konnte mir auch nicht geholfen werden.

„Felix hat neuerdings Schminke! Olivia hat mir gezeigt, dass es nicht nur ein bisschen ist. Es sind schon einige Sachen zusammengekommen und ein Teil soll ihr Rachel geschenkt haben. Willst du das wirklich einfach so tolerieren, dass dein Sohn deswegen gehasst wird?" Es war ruhig geworden. Allem Anschein nach schien meine Mutter zu überlegen, was sie als Antwort geben würde, damit er seine Ruhe geben würde. Ein Nachteil, was mein Vater anging, war, dass er ein ziemlich großer Sturkopf war und er würde jeden solang zu reden bis er das zuhören bekam, was er hören wollte und in Kombination, dass meine Mutter so sensibel war, konnte er sie mit seinen Worten ziemlich schnell um seinen Finger wickeln. So war es bisher immer gewesen und ich wartete eigentlich nur auf Zustimmung ihrerseits.

„Er ist siebzehn. In der Zeit findet man sich selbst und ich sehe kein Problem darin, dass auch Jungs sich schminken können. Außerdem hast du keine Beweise, dass er sich wirklich schminken tut. Vielleicht hat er auch einfach nur das Make-up bei sich im Zimmer, weil Rachels Zimmer komplett leergeräumt ist und er ihr Stauraum angeboten hat."

Es war zwar nicht genau das, was ich mir innerlich hoffte zu hören, aber es war wesentlich besser, als dass meine Eltern gegen das Schminken waren. Natürlich tat es nach wie vor weh ständig Vorurteile zu hören, dass Jungen gewisse Dinge nicht durften, weil es für Mädchen war. Aber ich war dennoch glücklich, dass es nicht vollkommen aus den Fugen geriet.

„Aber stell dir vor, er fängt damit an und wird dann in der Schule gemobbt! Willst du das wirklich riskieren? Felix redet doch jetzt schon nicht mit uns und was ist, wenn er sich noch mehr verschließt und wir ihn am Ende endgültig verlieren?"
„Vielleicht ist unser Problem eher, dass wir zu überfürsorglich sind, weil er sich verschließt und wir die Sache dadurch noch schlimmer machen? Lass ihm seine Freiheiten. Einschränkungen bringen nichts und jetzt lass mich in Ruhe mit dem Thema!"

Ich hörte Fußschritte, die in meine Richtung kamen und weil ich die ganze Zeit meinen Kopf in Richtung Küche hatte, versuchte ich schnell meinen Blick wieder auf mein Handy zu richten, als hätte ich nie etwas anderes getan. Mein Lächeln konnte ich mir dennoch nicht unterdrücken. Mir fiel ein Stein vom Herzen und ich war total glücklich diese Worte von meiner Mutter zu hören, weil sie eigentlich immer das Gegenteil getan hatte von dem, was sie gerade sagte. Unbewusst kam mir der Gedanke, dass Rachel damit zu tun haben könnte, ihr endlich ins Gewissen reden konnte. Nur konnte mir dies egal sein. Wichtig war, dass sie endlich umdachte.

„Mama?" Schüchtern sah ich zu ihr und erkannte, wie sie mich etwas verwundert, zugleich schockiert ansah, als hätte sie nicht damit gerechnet, dass ich hier saß. „Ich hab dich lieb."

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXМесто, где живут истории. Откройте их для себя