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Nach dem heutigen Schultag war ich wirklich fertig. Auch wenn ich heute Geburtstag hatte, nahmen sich einige Jungen mal wieder heraus, dass sie mich aufzogen, wegen Dingen, die sie als lustig erachteten. Besonders bei Sport tat ich alles, damit ich mich allein umziehen konnte, am besten wo kein Spiegel war, weil ich mich unwohl fühlte mich in diesem zu betrachten. Zu meinem Bedauern hatten sie davon schon früher mitbekommen, dass ich mich ungern unter ihnen umzog und lieber für mich allein bleiben wollte. Seither hielten sie mich mit jeder weiteren Sportstunde davon ab in eine Toilettenkabine zu gehen, betitelten mich als Schwuchtel, aufgrund meines Verhaltens. Ihren Aussagen nach waren wir alle Jungen und wir sollten nicht solche Probleme zwischeneinander haben. Und genau das war der Punkt, den ich über alles verabscheute. Wie könnte ich mich als schwul oder homosexuell outen, wenn ich mich doch gar nicht als männlich oder weiblich, noch sonst irgendetwas ansah? Bis heute war es mir ein Rätsel, wie Menschen anhand von äußerlichen und charakterlichen Merkmalen und Verhaltensweisen davon ausgehen konnten, welche Sexualität andere hatten.

Einmal hatten wir mit der zwölften Klassenstufe, besser gesagt war es mit Chans Klasse, Sport und wie immer hatten die Jungen aus meiner Klasse es verhindern wollen, dass ich in die Kabine ging. Nur leider waren sie solche Art von Menschen, die wegen allem herumschreien mussten und somit erweckten sie auch die Aufmerksamkeit der anderen Klasse, weswegen mein bester Freund auch einer derjenigen war, die zur Toilette gingen und die Jungen von mir wegstieß. Ich war ihm dankbar dafür, mehr als das und auch wenn wir nur Völkerball in der Vertretungsstunde gespielt hatten, ich immer einer der ersten Schüler war, der draußen war, weil ich jegliche Arten von Ballsport über alles hasste, hatte Chan als Rache jeden einzelnen von den Idioten abgeworfen, wodurch sie auch nicht mehr im eigentlichen Spielfeld waren.

In dieser Hinsicht war er sehr beschützend und Bedacht darauf, dass mir niemand etwas Falsches tat, wenn ich in seinem Umfeld war. Leider hatte die ganze Situation auch seine Schattenseite und brachte mit sich, dass sie Chan und mich für ein Paar hielten, was mir unglaublich leid für ihn tat, denn er wollte mir nur helfen. Nie hatte er aber gesagt, dass ihn solche Worte störten oder er sauer auf mich war, weil ich mich wegen so etwas anstellte.

Seufzend lief ich neben dem Blonden her, der mich bedrückt musterte. Ich wusste, dass er das tat. Schließlich brauchte ich nur einmal falsch Luft holen und schon stellte er die Frage, ob alles gut war. Es erinnert mich teilweise an meinen Vater, der genau dasselbe tat, wobei ich mir nicht sicher war, ob dieser es wirklich ernst meinte oder ob er einfach nur nach einem Gesprächsthema suchen wollte, weil er das dringende Bedürfnis hatte, mit mir reden zu müssen. Aber bei Chan war es nicht so.

„Meine Eltern zwingen mich heute Abend zum Friseur. Sie meinten, ich muss unbedingt meine Haare schneiden, weil ein Junge wie ich, nicht mit so langen Haaren herumlaufen sollte. Man könnte mich am Ende für ein Mädchen halten.", informierte ich Chan über meine ungewollte Typveränderung. Schon immer hatte ich es gehasst, wenn meine Eltern mir vorschrieben, was ich zu tun und zu lassen hatte. Oft betitelten sie mich als jemand, der sich gehenlassen würde, wenn sie mich nicht regelmäßig dazu zwingen würden, zum Friseur zu gehen. Dabei waren meine Haare zu einem gewissen Teil das Ausschlaggebende, womit ich mich und mein Geschlecht ausdrücken konnte. Ich wollte Menschen verwirren, damit sie sich nicht sicher waren, ob ich ein Junge oder ein Mädchen war, denn ich identifizierte mich immerhin als keines von beidem. Und jedes Mal, wenn mich Menschen zweimal ansahen, weil man deutlich ihre Verwirrung in ihren Augen erkennen konnte, schien es für mich wie ein kleiner Triumph zu sein.

Sobald meine Haare aber wieder kurz waren, würde ich vollkommen wie ein Junge aussehen, der ich nicht sein wollte. Jedoch würde ich mich bei jedem Protest, den ich gegen meine Eltern tat, erklären müssen und das war mein Hauptproblem. Bestimmt würden sie nicht einmal ein derartig großes Problem damit haben. Nur würde für sie eben ein Teil ihrer heilen Welt zusammenbrechen. Sie hatten schließlich drei Kinder, zwei Mädchen und einen vermeintlichen Jungen, die sie keinesfalls verlieren wollten. Das Problem war einfach darin, dass ich es meinen Eltern nicht antun wollte, ihren Sohn in diesem Sinne zu verlieren, weil sie nur einen Einzigen hatten. Besonders meine Mutter hatte immer davon geschwärmt, dass sie so einen lieben und herzlichen Sohn hatte. Immerhin gab es ganz andere Jungen in meinem Alter, die nur Probleme machten. Mir war aber auch bewusst, dass es nicht weniger schlimm war, wenn Rachel oder Olivia in meiner Haut stecken würden, doch hätten sie noch immer ein weiteres Mädchen in der Familie, was die ganze Sache vielleicht auf den ersten Blick nicht ganz so schlimm wirken ließ.

Ich wusste, dass es ein absurder Gedanke war, aber ich hatte eben auch von vielen Outings diesbezüglich gelesen. Der Großteil war zum Glück positiv, jedoch hatten viele ein ähnliches Problem wie ich. Die Eltern würden vorerst ein kleines Problem damit bekommen, zu akzeptieren, dass ihr Kind, welches sie ihr ganzes Leben lang für das biologisch geborene Geschlecht gehalten hatten, nicht so sein wollte, wie man es diesem vorgab. Die Zeit des Verdauens konnte unterschiedlich sein. Für einige war es nach wenigen Tagen langsam in Ordnung und andere Eltern hatten Monate damit zu knabbern oder würden ihr Kind weiterhin in eine falsche Rolle zwängen und konnten die Gefühle und Wünsche ihres Kindes nicht akzeptieren. Dabei gab es eben Probleme auf beiden Seiten. Besonders die Angst vor Inakzeptanz und die Umgewöhnung, dass plötzlich einige Dinge anders waren, spielten eine Rolle.

Und ich wollte einfach nicht, dass sie das durchmachen mussten. Genauso wenig wollte ich mich für ewig verstecken und meine wahres Ich verbergen, denn ich wollte mich auch kennenlernen, wissen, wie ich wirklich war und nicht, wie ich zu sein hatte, weil man mir es so vorgab.

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXWhere stories live. Discover now