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Hyunjin kam mich sofort nach der Schule abholen, denn er wollte Seungmin auch kurz sehen, der jedoch für heute verhindert war und irgendwelche Dinge zu tun hatte, die ich aber nicht hinterfragen wollte. Ich war viel eher angespannt von dem Fakt, dass ich mich mit dem Blonden traf und Chan wusste zudem auch nichts darüber, weil es ziemlich spontan war, dass ich mich hierfür entschieden hatte. Irgendwie fühlte es sich seltsam an, wenn ich meinem besten Freund sagte, dass ich mich mit Hyunjin traf, auch wenn er mir ebenso Mut gemacht hatte, wie Rachel es tat.

Ich hatte ihn schon aus dem Fenster sehen können, als ich die Treppen herunterlief und mein Herz schlug derartig stark, während meine Schritte immer wackliger wurden. Keinerlei Fehler wollte ich machen, denn ich wusste, dass ich es versauen konnte. Ich wollte natürlich sein, aber auch nicht so aufgedreht. Zu schüchtern wollte ich auch nicht sein, weil ich dann langweilig wirkte. Also hatte ich eine Liste in meinem Kopf, wie ich mir selbst vorschrieb zu sein, die viel zu lang war, dass ich irgendetwas davon überhaupt umsetzen konnte.

Ehe ich mir also zu Ende ausmalen konnte, wie ich mir vorstellte sein zu müssen, spürte ich schon, wie ich der kalte Wind in mein Gesicht peitschte. Es war windiger, als die letzten Tage, aber das Wetter schien wenigstens für heute mitspielen zu wollen. Kein Regen, aber eben auch nicht der schönste Sonnenschein. Ein eher typisches Novemberwetter, welches kälter war, als die letzten Tage.

„Felix~" Sofort drehte ich mich um und wollte die Person ausfindig machen, die mich so nannte. Aber ehe ich überhaupt realisieren konnte, dass es nur einer meiner bescheuerten Mitschüler war, spürte ich schon den knallharten und schmerzhaften Aufprall auf den Steinboden. Es war demütigend und das, obwohl ich mir eigentlich festvorgenommen hatte, dass ich nicht allzu dämlich herüberkommen wollte. „Du brauchst doch nicht sofort auf die Knie gehen, nur weil ich dich so nenne." Sofort hörte ich Gelächter von den anderen Jungen aus meiner Klasse, die alle seelenruhig mir auswichen. Hätte nur noch gefehlt, dass sie mich als ihren persönlichen Schuhabtreter benutzten. Nicht, dass sowas schon vorgekommen wäre, aber dass sie mich schubsten oder mir ein Bein stellten, war jetzt nichts, was der Seltenheit angehört. Jedoch taten sie es nur dann, wenn sie sich sicher waren, dass niemand, der mich kannte, in meiner Nähe war.

„Steh auf", hörte ich und sah, wie jemand mir seine Hand entgegenhielt. Als ich peinlich berührt kurz aufsah, erkannte ich, wie es Seungmin war. Mein Herz wurde schwer und irgendwie wollte ich einfach nur noch weg. Ich wollte mich nicht mehr mit Hyunjin treffen, noch irgendjemand sehen. Für heute hatte ich wirklich genug und ich hatte eigentlich das Gefühl, dass der Tag nicht ganz so schlimm sein würde. Aber ich wurde mal wieder eines besseren belehrt.

„Vielleicht sollten wir reingehen und ins Krankenzimmer gehen, damit deine Hände und Knie verarztet werden." Dabei machte er mich besonders auf meine Hose aufmerksam, die an den Knien Risse hatte und somit in Mitleidenschaft gezogen wurde. Tatsächlich war es eine der Hosen, die meine Eltern mich immer zwangen zu tragen. Sie war genau meine Größe, enganliegender als man es von mir gewohnt war. Und eigentlich sollte ich froh sein, dass es gerade diese erwischt hatte. Aber ich hatte wirklich den heutigen Morgen eine halbe Stunde vor dem Kleiderschrank gestanden und überlegt, was ich anziehen konnte. Etwas, was ich sonst nie tat. Mir war Mode egal. Hauptsache, ich versteckte mein Körper so gut es ging. Glücklicherweise war aber mein Hoodie nicht davon betroffen, denn da wäre ich wirklich in Tränen ausgebrochen. Auch wenn es nur ein schlichter, schwarzer Pullover war, der nichts besonderes hatte. Aber ich lebte quasi in diesem.

„Entschuldige dich! Was denkst du, wer du bist, du dummer Vollidiot!", nahm ich Hyunjins Stimme wahr und konnte schon von dem Jungen, der mir das Bein gestellt hatte, den Protest hören. „Du bist totaler Abschaum. Ich hoffe, dass dir sowas auch widerfährt, damit du merkst, was für ein schlechter Mensch du bist." Und somit standen die beiden auch vor uns. Dabei wollte ich nicht einmal eine Entschuldigung bekommen. Immerhin würde sich dadurch auch nichts bessern und wenn, würde ich niemals etwas von ihnen annehmen wollen. Das ganze Trauerspiel zog sich über Jahre und es war auch einer der Gründe, weshalb ich nicht so selbstbewusst war, wie ich es vielleicht wäre ohne das ganze Drum und Dran. Immerzu erniedrigt zu werden, war keinesfalls eines meiner Lieblingstätigkeiten.

„Hyunjin, lass gut sein.", meinte Seungmin, "Es bringt eh nichts... Die machen das schon seit Jahren und Chan hat auch schon oft versucht, dass sie nicht auf ihn losgehen. Sie gehen dann auf ihn los, wenn er allein ist, obwohl er auch nur ein Junge ist, wie jeder andere auch." Ich versuchte das Wort Junge einfach so herunterzuschlucken. Doch fühlte es sich so schwer an, dass ich es nicht konnte und daran erstickte. Wieder darin erinnert zu werden, in was für einen Körper zu stecken, fühlte sich falsch an und war beinahe noch mehr peinigend als die Sticheleien meiner Klassenkameraden.

„Dann müssen wir wohl den Abschaum gehen lassen. So leid es mir tut." Somit ließ Hyunjin den Typen los, schubste ihn sogar, damit er Leine zog, der von selbst schnellen Schrittes zurück zu seinen Freunden ging. Noch immer fehlte mir jegliche Luft zum Atmen und veranlasste, dass ich wieder ins Gebäudeinnere ging. In der Hoffnung, dass ich irgendwie flüchten konnte und als einzigen Ort, der mir eben einfiel, war es die Toilette, wo ich mich mit einem lauten Schlag der Kabinentür einschloss und in dieser versuchte meine ganzen, aufkommenden Emotionen zu unterdrücken.

Und das alles nur wegen einem dummen Wort, welches mich derartig angriff, ohne dass es andere wirklich bemerkten, wenn sie mich nicht kannten.

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXWhere stories live. Discover now