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Nicht wirklich begeistert starrte ich die Person gegenüber von mir an, die mir auf einmal noch so fremd vorkam. Ein entfernter Verwandter, der sich vielleicht alle zwei Jahre bei dir und deiner Familie blicken ließ, der sich aber nie mit dir unterhalten hatte und sobald er verschwand, hast du bereits wieder vergessen, wie er überhaupt aussah. Als war er nur ein Geist gewesen, der dich heimgesucht hatte. Jedoch wurde dir gesagt, dass du nun einige Wochen mit dieser Person zusammenleben müsstest und dir keine andere Wahl blieb, als dies zuzulassen. Hierbei handelte es sich leider nicht um irgendjemanden, der auf irgendeine Art und Weise mit dir verwandt war. Es warst du, du sahst in den Spiegel und erkanntest dich nicht einmal mehr wieder. Ein falsches Bild von dir, welches du so nie wiedersehen wolltest. Doch nun musste ich mich damit anfreunden, mit diesem fremden Ich zusammenzuleben für die nächsten Wochen. Dabei waren es nur Haare, hatte ich mir heute von meinen Eltern wieder anhören können, als ich mich versuchte mit Worten dagegen zu sträuben. Allerdings hieß es, wenn Rachel sich die Haare wieder kürzer schnitt, dass die armen Haare ja nicht hätten abkommen müssen. Es war eine Art Doppelmoral, die ich bis zum heutigen Tag nicht verstehen wollte und konnte.

Somit stülpte ich mir meine Kapuze über und wandte mich vom Spiegel ab, weil ich meinen Anblick nicht mehr ertragen konnte.

„Willst du vielleicht noch Kuchen?", fragte mich Olivia, die sich ein Stück des Kuchens, welches in zig Einzelteile zerfallen war, auf ihren Teller getan hatte. Auch wenn es mein Lieblingskuchen war, den man für mich gebacken hatte, bekam ich kein Stück mehr runter. Meine kleine Typveränderung hatte mir jeglichen Appetit für heute vermiest. Da konnte auch kein Erdbeerkuchen mehr helfen.

„Mom hat den extra für dich gebacken und nur weil du dir deine Haare schneiden musstest, kannst du nicht auf Essen verzichten! Hab dich nicht so!", redete sie weiter und hatte nun auch noch die Aufmerksamkeit unserer Eltern auf mich und mein Handeln gelernt. Würde ich nun offen und ehrlich sagen, dass es mir egal war, was ihre Meinung war, konnte ich schon meine Eltern sagen hören, dass ich so nicht mit Olivia umgehen sollte. Wie es leider immer irgendwie der Fall war, waren die Nesthäkchen diejenigen, welche beschützt wurden und tun und machen durften, was sie wollten. Es kotzte mich an.

Mit einem genervten Stöhnen nahm ich mir also einen Teller und nahm ihr den Tortenheber aus der Hand. Sofort spürte ich, wie wenig sie für meinen Verhalten übrighatte, genauso wenig wie ich es für ihres hatte.

„Du zerrupfst mir meinen Kuchen.", war ich ehrlich und tat nur widerwillig ein Stück auf den Teller. Doch wurde ich das Gefühl eben nicht los, dass zumindest unsere Mutter ein Auge auf mich und meine Taten geworfen hatte. Mit Kuchengabel bewaffnet, tapste ich ohne ein weiteres Wort hoch in mein Zimmer, um endlich dieser unangenehmen Situation zu entgehen.

Mein Geburtstag schien nur bei Chan ganz angenehm zu sein. Ich hatte mich nicht verstellen müssen, konnte die Person sein, welche ich sein wollte. Sobald ich aber hier die Türschwelle betreten hatte, musste ich meine Maske aufsetzen, die jeden Moment wieder zu bröckeln anfing. Und dass man mir an meinem Geburtstag auch noch die Haare schneiden musste, gab mir jeglichen Grund mich schlecht fühlen zu lassen.

Ein leises Klopfen hörte ich, weswegen ich mich umdrehte und meine große Schwester breit lächelnd auf mich zukommen sah. Doch ihr Lächeln verschwand genauso schnell, als sie realisiert hatte, dass ich meine Kapuze trug, die ich nur dann auf meinen Kopf hatte, sobald meine Haare kurz waren. Dabei waren sie nie wirklich lang, dass ich damit hätte einen Zopf binden können oder irgendwelche Frisuren an sich, die etwas Übung brauchten. Sie überdeckten meine Ohren, waren hinten etwas länger als an den Seiten, sodass sie mir in den Nacken gingen und die Strähnen, die mir ins Gesicht gingen, waren beinahe so lang gewesen, dass sie meine Lippen berührten. Länger waren sie nie, weil es meine Eltern nicht zu ließen. Dafür hatte ich nun kurze Haare: meine Ohren waren frei und mein Pony ging mir bis zu den Augenbrauen. Es würde bis zu einem halben Jahr dauern, ehe ich überhaupt wieder meine alte Haarlänge wieder hatte.

„Oh Nein..."
„Oh doch", bestätigte ich und war schon wieder den Tränen nahe. Und dieses Mal ließ ich es auch zu und unterdrückte meine Gefühle nicht, die ich zu diesem Zeitpunkt sowieso hätte nicht zurückhalten können. Sorgsam legte Rachel ihre Arme um mich, strich kaum merklich meinen Rücken auf und ab. Jedoch spürte ich jede kleinste Bewegung, die sie tat.

„Manchmal hinterfrage ich mich wirklich, wieso sie dich wie ein kleines Kind behandeln und dich mit siebzehn zum Friseur schleppen."

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXWo Geschichten leben. Entdecke jetzt