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Einige Zeit war vergangen. Der erste Schnee war gefallen und das hieß, dass sehr bald schon Weihnachten sein würde. Ein Fest, was ich eigentlich mochte, wenn es nicht am Ende das Tages in einen unnötigen Familienstreit endete. Doch war es dieses Jahr eben ein bisschen anders, denn es war das erste Mal, dass Rachel nicht hier wohnte. Sie quartierte sich in ihrem Zimmer ein, aber irgendwie war es dennoch nicht das Gleiche. Es waren gerade einmal wenige Tage seitdem sie ausgezogen war, denn wirklich einfach hatte sie es nicht, eine Wohnung zu finden und die Einrichtungsgegenstände mussten ja auch bezahlt werden. Einen gewissen Teil hatten unsere Eltern schon beigesteuert, was eben essenziell war. Sie wollte sogar so weit gehen, dass sie ein extra Zimmer für mich hatte, aber das hatte ich ihr auch genauso schnell zum Glück wieder ausreden können. Wenn ich bei ihr schlief, dann konnte ich das auch auf der Couch tun, anstatt in einem extra Zimmer. Aber sie hatte mich leider in die Wohnungswahl mit einbezogen und mich gefragt, ob es okay war oder sie sich nicht doch eine andere Wohnung aussuchen sollte. Dabei war es eben ihre eigene Wahl, ihre eigene Entscheidung, weil sie dort lebte und nicht ich.

Doch ich war glücklich, dass sie bald wieder da war. Jedenfalls für drei Tage an Weihnachten.

Unsicher betrachtete ich mich im Spiegel und musterte das Outfit, welches ich damals mit Hyunjin gekauft hatte. Bis heute hatte ich es kein einziges Mal angezogen, was mir total leidtat und es in meinem Schrank nur einstaubte, wenn ich es nicht bald trug. Eigentlich wusste niemand, dass ich sowas besaß und wahrscheinlich würden alle erst einmal dämlich gucken, wenn sie mich in den Sachen sehen würden. Schließlich waren sie nur Hoodies in denselben Farben oder weite Shirts gewohnt. Enganliegende Sachen hatte ich wohl seitdem ich vierzehn war nicht mehr getragen und deswegen hatte ich auch extreme Angst, wie die Reaktion sein würde. Und ob man sah, dass es eigentlich nicht aus der Jungsabteilung war. Hyunjin hatte mir damals zig mal beteuert, dass es keinem auffallen würde, wenn man nicht explizit darauf hinwies.

Seufzend ließ ich also von meinem Spiegelbild ab und hörte sofort, wie jemand an meine Tür klopfte. Als ich den Kopf meiner älteren Schwester erkannte, war ich umso verwirrter, weil ich nichts davon wusste, dass sie vorbeikam. Denn heute wollte ich mich das letzte Mal vor Weihnachten mit Chan treffen und erst zu Silvester würden wir uns wiedersehen. Es war keine lange Zeit, die wir voneinander getrennt waren, aber wenn man sich täglich in der Schule sah, war es doch etwas befremdlich, sich eine gewisse Zeit nicht zu sehen.

„Ich wollte nur fragen, ob ich-" Sofort brach Rachel ab, als sie sah, was ich trug und irgendwie kam es mir so vor, als wäre ich auf frischer Tat ertappt worden. Ich schluckte schwer, spürte wie meine Wangen immer wärmer wurden und meine Bewegung regelrecht einfror. Auch sie wusste zunächst nicht, wie sie darauf reagieren sollte. Sie wusste, wie erwähnt, nichts davon. Und ich hatte ihr auch nie gesagt, dass ich vorhatte so etwas zu tragen. Zumal ich mit ihrer Anwesenheit gar nicht gerechnet hatte.

Sofort schloss sie die Tür hinter sich und musterte mich ausgiebig, besser gesagt war es mein Outfit, welches sie genaustens inspizierte, als wäre ich eine Schaufensterpuppe. Dabei wurde mir allerdings nur noch wärmer und unwohler dabei.

„Das steht dir voll! Warst du mit Chan shoppen?", wollte sie sofort wissen. Aber mir blieben die Worte aus. Wenn ich die Wahrheit erzählte, würde sie wohl denken, dass ich Dinge vor ihr verheimlichte, was ich natürlich nicht wollte. Der Tag war damals ein unschöner gewesen und recht schnell hatte ich vergessen, dass die zwei Kleidungsstücke in meinem Schrank existierten. Besser gesagt, hatte ich es verdrängt, weil ich keinerlei Lust auf genau diese Situation hatte.

„Mit H-Hyunjin..."
„Der, der Haare und Make-up mag?" Ich nickte sofort und sie tat es mir gleich. Daraufhin entstand eine etwas unangenehmere Stille, der ich am liebsten ausweichen wollte. Aber irgendwie erschien es mir so, als würde ich das nicht können.

„Triffst du dich mit Chan?" Wieder nickte ich und eigentlich war ich schon drauf und dran gewesen, mich wieder umzuziehen, damit ich mir nicht total auffällig vorkam. Ich mochte diese Aufmerksamkeit doch nicht und dabei war es der erste Tag meiner Ferien gewesen, den ich eigentlich genießen und mich erneut aus meiner Komfortzone heraustrauen wollte.

„Wenn das so ist, wirst du dich auch bestimmt schminken... Was hältst du davon, wenn du einen Teil meiner Schminke bekommst und du dich damit fertig machst?" Natürlich schlug mein Herz dabei höher. Absichtlich hatte sie noch den Großteil ihrer Sachen hiergelassen. Nur für mich. Aber mittlerweile bestanden unsere Eltern darauf, dass sie auch den letzten Rest ausmistete oder mitnahm, weil Olivia das Zimmer bekommen sollte. Es war schließlich das Größte unter uns Geschwistern und das Lustige war, dass ich das Kleinste hatte. Manchmal hasste ich, auf gewisse Art und Weise benachteiligt zu werden.

„Ich hab außerdem Glitzer gefunden, als ich aufgeräumt hatte und den Kleber hab ich auch noch. Wenn du magst, kannst du dich damit auch ausprobieren. Bisher hab ich das nie benutzt und weiß nicht mal, wieso ich es habe..." Kichernd strich sie sich Strähnen hinter das Ohr und musterte mich noch einmal von oben bis unten. „Du würdest bestimmt wie eine Elfe aussehen~" Natürlich konnte ich mir das Angebot nicht einfach so ausschlagen lassen. Ich hatte schon seit einigen Wochen mit mir gehadert, ob ich mir Glitzer holen sollte, nachdem ich mal bei Hyunjin war, mir seine Schminksammlung zu einem Teil angesehen und mich an dieser ebenso ausprobiert hatte. Das war auch das erste Mal, dass ich jemanden mit Glitzer geschminkt hatte, worin ich definitiv noch einiges an Übung brauchte.

„Kann ich das wirklich haben?"

𝗦𝗲𝗺𝗶𝗰𝗼𝗹𝗼𝗻 ✧ CHANLIXWhere stories live. Discover now