Evelyn:
Fröhlich pfeifend warte ich heute morgen auf den Bus. Keine Spur von Müdigkeit oder der morgendlichen Schlaftablette, die ich sonst immer bin. Ich freue mich auf den heutigen Tag und kann es gar nicht erwarten bis ich Samu wiedersehe.
Da hält ein schwarzes Auto neben mir. Automatisch muss ich grinsen.
"Na schöne Lady! Soll ich dich bis zur Schule fahren?"
"Ich hätte nicht's dagegen."Lächelnd steige ich ein und stelle meine Tasche vor mir auf dem Boden.
"Kein Begrüßungskuss?"
Einen Blick hat er drauf.. Bettelnd wie ein kleiner Hund.
Ich seufze. "Du weißt, dass das nicht geht.. Wenn uns hier jemand sieht, sind wir dran."
"Du hast ja Recht." Doch statt sich wieder der Straße zuzuwenden fährt Samu mit einer Hand die Innenseite meines Oberschenkels entlang. Wie das kribbelt! Mir wird ganz warm. Überall.. Doch trotzdem.. Nicht hier und vor allem nicht jetzt!
Schließlich stoppe ich seine Hand, indem ich sie sanft aber bestimmt wegschiebe.
"Konzentrier dich auf die Straße Haber und nicht auf meinen Körper!", knurre ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ein kleines Lächeln kann ich jedoch nicht unterdrücken.
Samu lacht sein unwiederstehliches Lachen, dass mich total fuchsig macht.
Viel zu schnell sind wir an der Schule angekommen. Wieder drückt Samu nur kurz meine Hand und raunt neben mein Ohr:
"Wir sehen uns nachher in Musik. Bis bald Angel!" Er wirft mir noch einen Handkuss zu, bevor er im Schulgebäude verschwindet. Ängstlich sehe ich mich um. Hoffentlich hat das niemand gesehen!
Da kommt auch schon Olivia auf mich zu.
"Brauch ich ne Brille oder hat dich Herr Haber schon wieder zur Schule gefahren?" Mir bricht automatisch der Schweiß aus, meine Gedanken fahren Achterbahn. Auch wenn Olivia meine Freundin ist.. Sie ist eine Tratschtante und würde es höchstwahrscheinlich nicht lange geheim halten können. Fragend und mit hochgezogener Augenbraue sieht sie mich an.
"Joa, sieht so aus als bräuchtest du keine Brille. Herr Haber hat mich zur Schule gefahren, aber auch nur weil er bei mir in der Nähe wohnt und es so auf seinem Weg liegt."
"Aha." Auch sie glaubt mir scheinbar wieder nicht. Da ertönt die für mich erlösende Klingel.
"Lass uns rein gehen der Unterricht fängt an." Mit einem Blick der wohl soviel heißt wie, wir sprechen uns später noch, gehen wir in die Klasse.
Nachdem ich zwei nervenauftreibende Mathestunden hinter mich gebracht habe ist Pause und ich muss mich den vielen Fragen meiner Mitschüler stellen.
"Kannst du echt singen? Gehört habe ich das nicht, aber du hast so eine tolle Austrahlung, dass man dir alles abnehmen könnte.."
Schleimer. Ausgerechnet Niilo der mich da gerade so in den höchsten Tönen lobt. Auf seine Meinung pfeife ich!
"Na.. wenn du soo gut bist kannst du uns sicher was vorsingen." Emma baut sich vor mir auf und sieht mich schnippisch an. Ihr gefällt es gar nicht, dass ich so in den Vordergrund gedrängt werde. Aber damit wird sie wohl in Zukunft leben müssen, da ich jetzt schon wie ein Star in der Schule gefeiert und von allen unterschiedlichen Klassen darauf angesprochen werde. Scheint ja wirklich was großes auf mich zu zukommen. Aber irgendwie freu ich mich drauf! Doch zurück in die Gegenwart..
"Ähm.. singen? Na ja.. ich weiß nicht." Ich muss echt noch lernen vernünftige Sätze auf finnisch zustande zu bringen. Besonders wenn ich aufgeregt bin, versagen meine Sprachkünste komplett. Als die anderen dann auch noch meinen Namen rufen um mich anzufeuern, fühle ich mich wie in einer Zwickmühle. Ich bin noch nicht soweit meine Stimme vor all den anderen zu präsentieren. Bin schon froh wenn ich vor Samu etwas anständiges hervorbringe.. Das singen vor 'großem' Publikum muss ich wirklich noch üben... Gerade als ich den Mund öffnen will um genau das zu sagen rauscht Samu in unsere Klasse und sofort spüre ich diese positive Energie die er ausstrahlt. Ein zurückhaltenes hochziehen meiner Mundwinkel hat das zur Folge. Olivia bemerkt es sofort und sieht mich wieder so an. Ich glaube bei ihr hat es bereits 'Klick' gemacht. Wir müssen unsere Gefühle wirklich besser im Griff haben. Hinterher weiß bald unsere ganze Klasse was bei uns läuft.
"Darf ich kurz mal stören..Ich würde gern.. Oh." Als er mich sieht, umringt von meiner ganzen Klasse sowie noch ein paar anderen Jugendlichen aus anderen Jahrgangstufen kann er sich ein lachen nur leicht verkneifen. Blödmann! Ich muss wohl leicht hilflos in dieser ganzen Horde wirken, sodass er mich endlich erlöst und sagt: "Ich müsste euch Evelyn kurz entführen.. Ich hoffe ihr habt nicht's dagegen.." Ein leises Murren ist zu hören, doch wiederwillig geben sie endlich den Weg frei. Erleichterung breitet sich in mir aus. Ich bin noch einmal drum rum gekommen.
"Danke, dass du mich vor denen gerettet hast, ich wäre fast gestorben. Die wollten unbedingt, dass ich was singe, aber ich konnte nicht. Meine Kehle war wie ausgetrocknet."
"Du wirst lernen müssen vor größeren Menschenmassen zu singen. Die paar Leute.. lächerlich. Auf dem Schulfest werden wir das 12- fache von denen erwarten."
"Danke. Das baut mich echt auf."
"Immer wieder gerne."
"Und warum hast du mich jetzt 'entführt'?
Ich schaue fragend zu ihm hoch.
"Deswegen." Er vergewissert sich ob uns jemand sieht, bevor er meine Hand nimmt und mich weiterzieht. Sie umschließt perfekt meine kleinen zierlichen Finger und ich schaue wieder bewundernd zu ihm hoch. Samu ist mehr als mein Freund. Er ist mein Beschützer.
"Du weißt schon, dass es ziemlich leichtsinnig ist, was du tust."
"Ja.. aber ich kann es nicht mehr länger aushalten."
Kurz darauf stehen wir vor dem Musikraum, den Samu mit einer schnellen Handbewegung auf- und genau so schnell wieder zuschließt, bevor er mich sanft gegen die Wand drückt.
"Hier sind wir ungestört.."
Seine Finger fahren mein Gesicht entlang. Ich sehe in seine Augen die viel dunkler, viel wärmer wirken als sonst, gleichzeitig aber auch so begierig.
Ich versenke meine Hände in seinen Haaren, wuschele hindurch bevor ich sie hinter seinem Nacken verschränke.
Samu zieht mich näher zu sich heran. Ich spüre sein Herz schlagen, ich spüre mein eigenes Herz, dass genau wie Samu's unnatürlich schnell schlägt. Sein Kuss ist voller Leidenschaft, er presst mich noch weiter an die Wand, sodass ich seine Erregung an meinem Oberschenkel spüren kann. Seine warmen Lippen liegen auf meinen, während er mit seiner Zunge sanft gegen meine Zähne stößt. Ich gewähre ihm Einlass und als unsere Zungen sich gegenseitig erkunden, hebt Samu mich ruckartig hoch und trägt mich zum Tisch, ohne seine Lippen von meinem Mund zu nehmen. Währenddessen öffne ich seine Jacke. Gerade will ich im das T-Shirt über den Kopf ziehen und seinen heißen Oberkörper bestaunen..
Da klopft es plötzlich an der Tür.
"Hallo.. Ist hier wer? Herr Haber?"
"Komisch." Ich höre gedämpfte Stimmen hinter der Tür. Einige Satzfetzen dringen an mein Ohr..
"Die Stunde hat schon längst angefangen.. er kommt doch sonst nie zu spät.. wo ist überhaupt Evelyn?"
Erschrocken sehe ich Samu an. "Scheiße. Was machen wir denn jetzt", wispere ich mit angehaltenem Atem. Weg ist die leidenschaftliche Stimmung, Angst macht sich in mir breit. "Folg mir!" Samu's Hand umschließt wieder die meine. Er öffnet das Fenster und springt hinaus. Zum Glück befinden wir uns im Erdgeschoss, sodass es kein Problem ist abzuhauen. Wenn ich mir ausmale wir wären im 1. oder 2. Stock gewesen.. Bloß nicht dran denken...
"Du siehst unmöglich aus Samu!" Trotz dieser absurden Situation muss ich lachen.
"Man könnte meinen du hättest sonst was gemacht."
"Haben wir ja auch fast. Evelyn, das können wir nicht mehr tun. Wenn ich dich sehe, kann ich mich nicht kontrollieren, vergesse Raum und Zeit. Selbst die Klingel haben wir überhört."
Enttäuscht sehe ich ihn an.
"Gewisse Dinge sollten wir lieber bei mir tun, als hier in der Schule."
"Wir brauchen nicht's zu überstürzen."
"Sehe ich genauso." Vor dem Lehrerzimmer bleiben wir stehen.
"Geht es so einigermaßen?"
"Also.. ich finde dich so megaheiß.. Aber.. Vielleicht solltest du dir die Haare kämmen und die Lippenstift-reste abwaschen. Kommt sonst, glaub ich ein bisschen komisch rüber." Ich zwinkere ihm zu bevor ich mich auf den Weg zum Musikraum mache.
Sex in der Schule.. Wenn ich so drüber nachdenke, muss ich selbst den Kopf schütteln. Gut, dass wir nicht soweit gekommen sind..
"Ich hab mir ja soo Sorgen um dich gemacht! Wo warst du?" Stürmisch bekomme ich eine Umarmung von Olivia.
"Ich habe mich kurz mit Herr Haber über den Auftritt unterhalten. Irgendwie hab ich mich dann verlaufen. Das Schulgebäude ist wirklich verdammt groß.."
"Ein Glück dass du da bist."
"Weißt du vielleicht wo Herr Haber abgeblieben ist?"
"Nee, den habe ich überhaupt nicht mehr gesehen."
Ausnahmsweise lüge ich mal ohne, dass sich meine Wangen rot verfärben. Ich lerne dazu!
Kurz darauf kommt auch Samu wieder, mit der Ausrede er hätte einen wichtigen Anruf bekommen, bei dem er sich leider etwas verquatscht hätte.
Der Musikunterricht verläuft ohne weitere Vorkommnisse. Samu schaut mich nicht an, ich schaue ihn nicht an. Wir haben unsere Lektion gelernt.
Wahre in der Öffentlichkeit die Distanz.
Auch wenn es verdammt schwer fällt.