Die letzte Nevanam

由 MorganKingsman

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Was haben die Mutter eines Straßengauners, eine Heilerin und eine ausländische Prinzessin gemeinsam? In Esla... 更多

Rotes Gift
Maraden Lösung
Kaseia Paste Portion 1
Kaseia Paste Portion 2
Colorissaft Glas 1
Kosotus-Kerne
Kosotus-Kerne Teil 2
Kosotus-Kerne Teil 3
Nachtkresse Bündel 1
Nachtkresse Büschel 2
1 Boschus Busch Kern
2 Boschus Busch Kerne
Kaspian Sträucher 1
Kaspian Sträucher 2
Kaspian Sträucher Teil 3
Ein Trauerweiden Sätzling
Zwei Trauerweiden Sätzlinge
Drei Trauerweiden Sätzlinge
Qell Kristall
Senieren-Beeren
Adraneda Beeren
Ein Popplet-Kraut
Zwei Popplet-Kraut
✧Bonus ✧
Wolfskraut
Sailhalb Blatt Nr. 1
Sailhalb Blatt Nr. 2
Sailhalb Blatt Nr. 3
The End
Also gut, Epilog.

Colorissaft Glas 2

647 84 86
由 MorganKingsman

●▬▬▬▬๑۩۩๑▬▬▬▬▬●
Colorissaft;
gehört zu den morphinen 
Mitteln. Er betäubt Schmerzen. Überdosiert 
stört er Gleichgewicht und Wahrnehmung.
●▬▬▬▬๑۩۩๑▬▬▬▬▬●

✧ 

          Dafür, dass Monsieur Roussex sich moralisch so weit es eben ging vom regierenden König distanzierte, waren ihre Häuser beinahe benachbart.

Und ähnlich groß. Die Villa hatte sogar einen kleinen Turm mit Zwiebeldach, das golden im Licht der Mittagssonne glitzerte.

Ein Diener mit schmalen Lippen und dem Ausdruck, als hätten wir ihm faulige Zitronen serviert, begleitete uns durch die zweistöckigen Hallen zum Arbeitszimmer des Hausherrn.
Dicke Teppiche verschluckten unsere Schritte, während die Augen eines riesigen Hunde-Porträts am Ende des Flurs uns verfolgten. Jemand hatte sich außerdem große Mühe gemacht, ausgefallene Pflanzen in ausladende Blumentöpfe zu quetschen.

Jac raunte mir beim Eintreten den Namen des Dieners zu, doch ich meine eigenen Erinnerungen lenkten mich ab. Stuhlreihen und flüsternde Adelige im dämpfigen Schatten von Pfeifenrauch. Der schwere Vorhang hinter der Bühne. Und das Gefühl zu ersticken.
Der Ring meines Bruders drückte schmerzhaft in meine Handfläche. Ich hatte nicht bemerkt, wie ich ihn in der Rocktasche umklammert hielt. All das lag lange hinter mir.

Vor einer Feuerstelle, die vermutlich noch nie in ihrer Existenz benutzt worden war, lag die Inspiration des Hallenkunstwerks und hob interessiert den Kopf. Es war ein grauer Jagdhund, schlank und agil, mit blauen Augen und neugierig gespitzten Ohren.

Henric sah sich ebenfalls ungemütlich um. Man hatte ihn gezwungen, am Eingang alle Waffen abzulegen, selbst die eingenähten in seinem Gürtel. Nun vermutete er einen Hinterhalt, der in unserer Geiselnahme oder Hundefutter enden würde.

„Ich dachte, ich hätte alles erlebt, als der Palast beschloss, Bettler zu krönen. Doch nie hätte ich mir träumen lassen, dass Jac Deraux noch einmal in meinem Haus stehen würde. Der Held unseres Landes bittet um eine Audienz bei dem Wagenkönig", begrüßte uns Roussex hinter einem Schreibtisch hervor.
Er war ein dicklicher Mann in viel zu aufwendiger Kleidung, die am Ende doch nicht von seiner Glatze und den wässrigen Augen ablenken konnte. Wenigstens passte seine Erscheinung zur Einrichtung.

Jac versteifte sich neben mir.

„Und er hat seine bezaubernde Schwester mitgebracht. Das Grün der Nevanam steht dir, Kaliee, oder ist es eine baldige Vermählung, die dich so strahlen lässt?", erhob sich unser Gastgeber von dem Stuhl und bedeutete uns, ihm gegenüber Platz zu nehmen.

Da mein Bruder seine Zunge verschluckt hatte und wir uns darauf geeinigt hatten, dass Henric nicht sprechen, sondern lediglich beobachten würde, sah ich mich in der fremden Rolle das Wort zu ergreifen. Und bei Kaar, darauf hatte ich nur so gewartet.
„Spar dir deine Komplimente, Willard. Keiner von uns freut sich, dich zu sehen."

Gespielt getroffen, fasste der Wagenkönig sich ans Herz, doch sein grimmiges Lächeln blieb bestehen. „Dann frage ich mich doch, warum ihr überhaupt hier seid."

Mit den zwei Männern im Schlepptau setzte ich mich in den mittleren der drei Sessel ihm gegenüber. Henric blieb wie meine persönliche Leibgarde hinter mir stehen und erwiderte Roussex vielsagenden Blick, ohne zu blinzeln. Auch wenn er nicht eingreifen würde, seine Anwesenheit stärkte mein Selbstvertrauen ungemein.

Jac brauchte dies nicht. Auch wenn seine Anspannung förmlich von ihm abstrahlte, er hatte sie genug im Griff, dass sie ihn nicht lähmte.
Mit beachtlicher Geschwindigkeit fand er in sein altes Leben zurück und lehnte sich auf dem Stuhl nach vorne: „Wir brauchen Informationen."

„Das wird euch kosten", erwiderte Roussex sachlich und verschränkte die fleischigen Arme hinter seinem Kopf. Mit einem kleinen Nicken bedeutete er dem bereitstehenden Diener, Erfrischungen zu bringen.

Jac ignorierte, wie der Mann einzigartige Porzellantassen vor uns auf dem Tisch verteilte. Sein Fokus lag allein auf seinem ehemaligen Auftraggeber. Er kannte die Spielchen und die ungeschriebenen Regeln dahinter.
„Es ist ein Tauschhandel", konkretisierte er, „Du sagst uns, was wir wissen wollen und wir liefern dir den Mörder deiner Mutter."

Der Diener zuckte zusammen und verschüttete den Tee. Um einer heißen Dusche zu entgehen, sprang unser Gastgeber auf und stieß dabei fast den schweren Stuhl um.
Wütend entriss er seinem Mann ein weißes Taschentuch und tupfte energisch auf dem Tisch herum.

Ich musste all meine Selbstbeherrschung zusammennehmen, um mich nicht nervös zu Henric umzudrehen. Diese Männer ähnelten den Reitern aus Bannafal. Sie waren darauf abgerichtet Angst auszunutzen. Und ich wollte ihnen keine Angriffsfläche bieten. Aber Willard Roussex war noch nie einer meiner Lieblingspersonen gewesen.

„Du hast meine Aufmerksamkeit", knurrte er nach einer gefühlten Ewigkeit, in der er sein besticktes Wams nach möglichen Flecken untersucht hatte.
Bedächtig ließ er sich auf den Sitzplatz zurücksinken, doch seine zuckenden Finger betrogen ihn. Die vielen ausschweifenden Feiern und der Überfluss an berauschenden Mitteln hatten ihre Spuren hinterlassen. Ihm mangelte es an Flüssigkeit. Vermutlich die Folge von zu großem Alkoholkonsum.
Die gelbliche Aderung seiner freien Unterarme wiesen auf Bellirium hin. Das war ein Pulver, das einen für ganze Wochen wachhalten konnte, wenn man kein Interesse an einer funktionierenden Niere hatte.
Und die Tatsache, dass ich ihm schon vier Mal vors Schienbein getreten hatte, er jedoch nicht einmal mit der Wimper zuckte, bestätigte auch meine letzte Annahme: Colorissaft und den in rauen Mengen.

Zu spät bemerkte ich, dass er mich beobachtete.
„Weihe uns ein, Nevanam. An was werde ich sterben?", spottete er mit einem abfälligen Schnauben.

Der Satz traf mich schmerzhafter, als er ahnen konnte. Moira hatte vor so etwas immer gewarnt. Doch ich würde seinen Fehler nicht korrigieren. Vielleicht nahm er mich ernster, wenn er dachte, dass ich tatsächlich zu einer von Kaars Dienerinnen aufgestiegen war.
Ich ließ ein kleines wissendes Lächeln zu. Theoretische Diagnosen? Mein Steckenpferd!
„Vermutlich dein schlechter Reitstil. Sind die Rippen gebrochen?"

Der Wagenkönig brach in bellendes Gelächter aus, das seinen Hund neuerlich weckte.
Zu neugierig, um auf dem Teppich vor dem Kamin auszuharren, erhob er sich und tapste zu unserer Gesellschaft herüber, nur um seinen schweren Kopf in meinen Schoß zu legen.

Ich erstarrte und hinter mir trat Henric einen Schritt näher. Er ließ Roussex nicht aus den Augen, doch ich wusste, dass er in jedem Moment reagieren könnte, sollte der Hund einen Befehl bekommen.

Der Atem stockte kurz in meiner Brust, als ich das volle Gewicht auf den Oberschenkeln spürte und mir bewusst wurde, wie wenig der dünne Stoff meiner Kleidung gegen die langen Reißzähne entgegenzusetzen hatte. Dann hatte ich mich wieder im Griff.
Vorsichtig schielte ich nach unten.

Treuselige Augen starrten mich an und ich konnte kaum anders als zurückzulächeln. Wie schaffte so ein Gauner, einen so freundlich aussehenden Gefährten großzuziehen?
Vorsichtig strich ich einmal über den grauen Kopf des Tiers und erntete ein ermutigendes Wedeln. Aufdringlich robbte der Hund ein Stückchen näher.

Roussex beobachtete alles mit verschlossener Miene und verschränkten Armen.
„Seid ihr hier, um tatsächlich einen Tausch auszuhandeln, oder nur um meine Jagdhunde weich zu kochen?", knurrte er mich an, doch ich beschloss die Worte zu ignorieren.
Ich wusste aus eigener Erfahrung, dass seine Hunde keine Kuscheltiere waren. Aber wer konnte einem solchen grauhaarigen Charmeur schon widerstehen?

„Deine Mutter wurde ermordet", schritt mein Bruder dazwischen, die Brauen verdichtet.

Roussex neigte zustimmend den Kopf, sagte jedoch nichts weiter.

„Hast du einen Verdacht von wem?"

Der Wagenkönig schnitt eine Grimasse und ließ sich in seinem Sessel zurückfallen. „Wenn ich einen gehabt hätte, wäre derjenige bereits in einem flachen Grab im Sakella Wald oder wo auch immer sich die alten Götter dieser Tage herumtreiben. Meine Mutter war die Hebamme von Königen. Hat kein einziges Kind verloren! Sie hat Geld an die Waisenhäuser gestiftet und Hunde von der Straße gerettet. Jeden Abend brachte sie anderes verhungertes Pack in unsere Küche mit. Und irgendjemand hat sie gefoltert."

Hinter mir legte Henric seine Hand auf meine Rückenlehne und verstärkte den Griff darum.
Er war anderer Meinung, was das hohe Loblied der Frau anbelangte, so viel hatte ich erwartet.
Madame Acó hatte mir ebenfalls von ihr erzählt. Sie war erst vor einem Jahr in unsere Stadt zurückgekehrt, nachdem der König selbst sie des Landes verwiesen hatte.

"Könnte es sein, dass jemand Informationen von ihr wollte?", schaltete ich mich ein, wurde jedoch sofort wieder kleiner, als der Blick des Wagenkönigs mich traf. 

"Informationen über mich. Informationen über eine der hundert reichen Familien, die sie betreut hat. Ich habe in alle Richtungen geforscht. Meine Männer haben jeden befragt, den sie in die Finger bekommen haben. Nichts kam dabei heraus." 

Ich konnte mir lebhaft ausmalen, wie diese Befragungen ausgesehen haben mussten. Unbewusst unterdrückte ich ein Schaudern. Die Vorstellung, das sie vielleicht nicht für Informationen gefoltert worden war, wollte ich dagegen gar nicht zulassen. 

„Hatte sie jemals was mit Giften zu tun?", fragte mein Bruder weiter.

Etwas Gefährliches flackerte im Blick des Wagenkönigs. „Hast du mir nicht zugehört, Bursche? Sie war eine anständige Frau. Ehrenhafter als deine Schwester."

Henric zuckte hinter mir zusammen. Mich traf der Seitenhieb dagegen nicht. Im Gegenteil. Die Welt wäre so viel einfacher, wenn mein Ruf ruiniert genug wäre, dass niemand mehr Boten mit grässlichen Geldgeboten für meine Hand an den Palast schicken würde.
Doch Henric LeClair verband eine tiefere Geschichte mit dem herrschenden Haushalt und er ließ zu, dass man ihm dies aus dem Gesicht las.

Willard Roussex fiel dies ebenfalls auf. „Natürlich schmerzt ihr Verlust mich umso mehr, da ich sie kaum zu Gesicht bekommen konnte. Es erschüttert das Vertrauen in die Führung unseres Landes, so eine Ungerechtigkeit mit ansehen zu müssen." Seine letzten Worte waren unmissverständlich an den Anführer der herrschaftlichen Leibgarde gerichtet, der beinahe das Holz von der Rückenpolsterung abriss.

Stumm betete ich zu Kaar, dass Henric momentan ertaubt wäre. Doch nach meinen letzten Eskapaden hatte ich die Gunst unserer Gottheit vorübergehend verloren.

„Sie hätte da sein sollen, als Prinzessin Isabelle geboren wurde", presste er zwischen seinen Zähnen hervor.

Enttäuscht stieß ich die angehaltene Luft aus. Es war einfach zu viel verlangt, dass sich jeder friedlich und bedacht verhielt?

Innerhalb eines Herzschlages verlor der Raum merklich an Temperatur. Der Hund zog sich mit einem leisen Brummen zurück und setzte sich neben seinen Herren, an dessen Hals eine unschöne Ader hervortrat.
An seiner Stelle würde ich auf keinen Fall weiterhin Colorissaft einnehmen. Sonst müsste ich meine Todesvoraussage noch einmal korrigieren.

Jac entfuhr ein kleines Stöhnen, den Blick gegen die wunderschön bemalte Decke gerichtet.
Genau deswegen hatte Henric ein Schweigegebot bekommen.

„Ist das so?" Die Worte waren kaum mehr als ein angestrengtes Röcheln des Wagenkönigs. „Dann ist das Leben einer Prinzessin mehr wert als das eines Prinzen in Gican?"

Ein Muskel an Henrics Unterkiefer zuckte verdächtig.
„Ihre Loyalität hätte bei der Familie des Königs liegen müssen. Ganz gleich welches Geschlecht das Kind haben würde." Und mit diesen Worten machte er auf dem Absatz kehrt.

Roussex rief ihm etwas hinterher, doch der Inhalt seiner Äußerung wurde von dem dumpfen Zufallen der Tür, sowie dem aufgebrachten Bellen des Hundes, verschluckt. Henric hatte den Raum verlassen, ohne sich nach meinem Bruder oder mir auch nur umzudrehen.

Jac und ich kamen auf die Beine. Es war offensichtlich, dass unsere Anhörung damit beendet war. Der Diener warf uns so aufgebrachte Blicke zu, dass es mich nicht gewundert hätte, wenn er aus seiner Uniform ein Messer ziehen würde.

„Ihr zwei!", stoppte Roussex uns mitten in der Bewegung, „Warum ermittelt die Palastwache im Mord an einer Hebamme?"

Ich tauschte einen langen Blick mit Jac. Er überließ mir den Vortritt und damit die Entscheidung.
„Es hat einen zweiten Mord mit demselben Gift im Palast gegeben", sagte ich schließlich, in jedes Wort schwer auf meiner Zunge.

Roussex starrte uns an, als erwarte er eine längere Erklärung, doch als diese nicht kam, erhob er sich ebenfalls von seinem Stuhl.
„Und werdet ihr diesen Mistkerl finden?"

Ich starrte genauso zurück, eine merkwürdige Entschlossenheit in meinen Knochen findend.
„Worauf du dich verlassen kannst."

„Wenn dieser Höfling...", seine Augen wanderten zur Tür, aus der Henric eben verschwunden war, „Nicht Mann genug ist, um die Sache zu einem zufriedenstellenden Ende zu bringen, schickt mir eine Nachricht. Ich kann helfen."

Jacs Mund klappte auf, doch er ersparte sich eine Erklärung, dass wir das ganz bestimmt nicht tun würden. Mit einem knappen Nicken legte er mir die Hand auf die Schulter. Sein Zeichen, dass es Zeit war, zu gehen.

Ich zwang ein Lächeln auf die Lippen und wandte mich zum Gehen. Doch der Wagenkönig rief mich ein zweites Mal zurück.

„Kaliee!" Als ich mich zu ihm umdrehte, huschten die Reste eines anderen Gesichtsausdrucks über sein Gesicht. Für einen Lidschlag sah er aus, wie ich mich fühlte. Unsicher. Wütend. Verletzt. Dann schüttelte er seine runden Wangen und kehrte zu sich selbst zurück.
„Zwei Morde bedeuten, dass irgendwo ein Geheimnis ans Licht will."

Und damit waren wir endlich entlassen.

Wir holten den Anführer der Palastwache erst am Eingang wieder ein, wo er in ungeduldiger Manier einem Soldaten seine Waffen entriss. Aufgelöst stampfte er aus dem Haus, als wolle er jeden Moment die königlichen Reiter dort hineinschicken.

Ich für meinen Teil war ausgesprochen erleichtert, die bedrückende Dunkelheit des Hauses hinter mir zu lassen. So prachtvoll es eingerichtet sein mochte, mir fehlten die vielen Fenster, die hohen Bögen und hellen Wände des Palasts.
Das Heim des Herrschers war dazu gebaut worden, die Freiheit des Windes einzufangen, wohin gegen die Villa des Wagenkönigs wie ein großes schweres Grab wirkte.

„Das hätte schlimmer laufen können." Entspannt klopfte Jac sich den Staub aus der Hose, kaum da wir wieder auf der Straße standen. Er spielte mit einem selbstzufriedenen Grinsen.

„Sag mir wie", gab Henric zurück und setzte seinen Weg zu der kleinen Gruppe Soldaten, die zwei Häuserecken weiter auf uns warteten, fort.

„Er hätte uns gleich töten lassen können", zuckte Jac mit den Schultern und warf mir einen vielsagenden Blick zu.

Da hatte er recht. Als Willard Roussex noch in einem kleinen Hof vor der Stadt gehaust hatte, beobachtete ich öfter, wie seine Leute mit „betrunkenen Freunden" einen Ausritt in den angrenzenden Wald machten und mit einem Mann weniger zurückkehrten.
„Zwei Morde bedeuten, dass irgendwo ein Geheimnis ans Licht will." Die Worte echoten durch mich hindurch.

„Ich wünschte Kaar würde diesen Verbrecher persönlich aus dieser Welt abholen." Henric war zu aufgewühlt, um Geduld für meinen Bruder aufzubringen. Und ich konnte ihn verstehen.
Isabelles Mutter hatte ihn damals am Palast aufgenommen und ihn in das Soldatentraining gesteckt. Henric sprach nicht über ihren Tod. Nicht einmal, wenn die Prinzessin selber ihn danach fragte.

Ich hatte das starke Bedürfnis ihn in den Arm zu nehmen oder beruhigend auf ihn einzureden. Würde jemand den Tod meiner Eltern rechtfertigen, ich wüsste nicht, was ich unternähme. Aber Henric wollte keine Umarmung. Erst recht nicht von mir.

Jac ließ sich von der Stimmung nicht entmutigen. „Das letzte Mal ist Kaar vor hundert Jahren auf der Erde gewandelt und wenn man zwischen den Zeilen liest, hat er nichts anderes gemacht als trinken, feiern und Eichhörnchen segnen." Überschwänglich zählte er die Dinge von seinen Fingern ab. Er hatte einer seiner größten Ängste ins Auge gestarrt und vorerst überlebt. Das musste schließlich auch etwas zählen.
„Findet ihr es nicht auch merkwürdig, dass Willards Mutter stirbt, kurz nachdem sie nach Hannabas zurückgekehrt ist?"

Ich runzelte die Stirn. Das Detail war mir gar nicht aufgefallen.
„Aber was haben Camil Roussex und Moira gemeinsam?" Welches Geheimnis könnte sie verbinden?

Die Frage ließ Henric doch innehalten.
Die Unterlippe zwischen die Zähne gezogen, musterte er mich, als erwarte er die Antwort in meinem Gesicht lesen zu können.
„Hat Moira Madame Roussex einmal im letzten Jahr besucht?"

Ich schüttelte den Kopf. Moira hatte mich zu jedem einzelnen ihrer Ausflüge mitgenommen. Wenn sie sich nicht nachts davongestohlen hatte oder mich absichtlich nicht hatte einweihen wollen, wäre so ein Treffen höchst unwahrscheinlich.

„Dann kannten die beiden Frauen einander noch nicht einmal", erklärte Henric, unzufrieden mit seiner eigenen Schlussfolgerung, „Moira kam erst zwei Jahre nach Camils Verbannung an den Hof."

Jac kniff die Augen zusammen, um besser denken zu können. Es war eine Angewohnheit von ihm, die ihn leichter lesbar machte als Kaars neun Schriften.
„Das heißt, wir haben einen Mörder, der wahllos berufstätige Frauen aus dem Palast tötet?" Sein Blick fiel auf mich.

Henric tat es ihm gleich, ein besorgter Zug um seinen Mund.
„Jac, vielleicht solltest du ein Wort mit deiner Schwester wechseln. Ich halte es nicht für sicher, wenn sie hier draußen einem Mörder hinterherjagt, der es genauso gut auf sie abgesehen haben könnte."

Mein Mund fiel auf. Das konnte nicht sein Ernst sein! Er hatte mir versprochen, dass ich helfen dürfte! Wir hatten eine Vereinbarung getroffen! Zugegeben, diese Vereinbarung war Erpressung gewesen, doch ich hätte nie erwartet, dass er mir so in den Rücken fallen würde.
Entsetzt wandte ich mich an Jac. „Denk nicht einmal darüber nach! Ich kenne zehn Wege, dich spurlos zu vergiften!"

Henric wollte sich wieder einmischen, doch eine Frau im dunkelroten Schleier trat in diesem Moment auf die Straße und gebot dem Streit Einhalt.
Unsicher musterte sie unsere Gruppe, ehe ihr Blick auf meinem Gewand und mir hängen blieb.
Zögerlich trat sie näher.
„Heilerin, ich brauche deine Hilfe."

Ich wollte meine Kleidung verfluchen, wäre sie nicht genauso heilig wie diese fürchterlichen Elche. Oder Kaninchen. Es war ohnehin mit dem Leben strafbar, die Farben der Nevanam zu tragen, doch der Gedanke, dass jemand meine Hilfe benötigte, die ich vielleicht überhaupt nicht geben konnte, ließ das wie eine nette Alternative aussehen.
Ich war keine vollwertige Heilerin. Nichts hätte mir das besser vor Augen führen können als Moiras Tod. Ich würde einen Fehler machen und-...

Die Frau deutete meinen mitleidigen Blick falsch.
„Es geht um mein Kind! Es hat sich an unserer rostigen Sense geschnitten und jetzt bilden sich Streifen unter seiner Haut." Unsicher huschten ihre Augen über Henric und Jac, doch ihre Frage war ausschließlich an mich gerichtet. Händeringend trat sie von einem Fuß auf den anderen.

Ich atmete einmal durch und griff Jacs Ring in meiner Tasche. Blutvergiftungen brauchten Kosotus-Kerne. Und von denen hatte ich sogar welche dabei. Gehörte neben Nadel, Faden, Verbandszeug und Morphinen zu meinem Standardgepäck, wenn ich das Haus verließ. Es war nicht sonderlich schwer, aus ihnen eine Paste herzustellen, die die Wunde und sämtliche Körpersäfte reinigte. Ich hatte es selbst schon einige Male getan. Die Angst zu versagen kämpfte mit meinem Stolz.

Der lauernde Blick des Soldaten neben mir gab mir einen kleinen Schubser.
Er wollte nicht, dass ich ging. Er wollte, dass ich im Palast saß und abwartete, während die Welt sich weiterdrehte. Aber dieses eine Mal konnte er nicht eingreifen.
„Wo wohnt ihr?", fragte ich die ängstliche Mutter.

Hoffnung ließ sie schneller reden, als ich folgen konnte. Sie beschrieb einen Weg vor die Stadtmauern, der mich mehr verwirrte, als aufklärte und ich war außerhalb dieser Mauern geboren worden.
„... ich kann es Euch aber auch zeigen", schloss sie mit einem zurückhaltenden Lächeln.

„Jac", Henrics Stimme hatte einen warnenden Tonfall. Er wollte wirklich meinen Bruder gegen mich wenden. Unglaublich!
Ich presste den Unterkiefer zusammen. Vor wenigen Tagen weigerte er sich, meinen Vornamen zu nennen und jetzt das ... Jemand brauchte meine Hilfe und ich würde mich bestimmt nicht wie ein Feigling verstecken. Das konnte ich nicht.
„Wir können sofort gehen", versicherte ich der Frau entschiedener als noch davor.

Mein Bruder hatte diesbezüglich wenig Bedenken. In seinen Augen hatte ich schon hunderten Menschen geholfen, ein Kind mehr machte für ihn keinen Unterschied. Manchmal wünsche ich, ich hätte sein Vertrauen in meine Fähigkeiten.

Henric tat dagegen einen Schritt auf mich zu und legte seine Hand auf meinen Oberarm.
„Es ist mir ernst, Kaliee. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn-..."

„In dem Fall wirst du wohl einfach lernen müssen, mir zu vertrauen", sagte ich kühl. Ich würde mir nicht vorschreiben lassen, wem ich half und wem nicht. Das war nicht seine Entscheidung.
Die unruhigen Augen der Mutter ließen mich noch entschlossener werden. Ich würde mich vor keinem herumlaufenden Mörder verstecken.

Als die Frau bemerkte, dass meine Entscheidung unanfechtbar gefallen war, warf sie sich vor uns in den Staub der Straße, hunderte Danksagungen wimmernd.
Ein wenig peinlich berührt half ich ihr auf und begleitete sie, mit einem letzten Winken zu den beiden Männern zurück, die Straße hinunter.

Henric erzählte mir später, dass er sich sehr lange an dieses Bild erinnert hätte. Ich hatte meinen Zopf über die Schulter geworfen und mich näher zu der Frau gebeugt, um sie besser zu verstehen.

Henric hatte mir hinterher gesehen und Jac hatte ihn erst unterbrochen, als ich schon einige Zeit um die nächste Ecke gebogen war.
„Es ist beinahe schon gruselig, dass selbst die Bettlerinnen aus manchen Vierteln Dolche bei sich tragen."

Was danach passiert war, konnte ich mir auch so denken. 

 "Voted und vielleicht erzähle ich euch wie ich an den Palast gekommen bin." -Henric LeClair

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