Kosotus-Kerne Teil 2

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          Ich hielt den Stock gerade von mir gestreckt, als könnte ich den Kerl so auf Abstand halten. Mein Puls rannte mit meiner Atmung um die Wette. Sie schüttelte mich, ließ mich uneben zwischen den hohen Bäumen stehen.

Der Gesandte Tacias hatte die Hände gehoben, obwohl im Sattel seines Pferdes sein Schwert steckte. Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, als nähere er sich einem verschreckten Reh.

Der Ast wurde schwer und ich musste beide Hände nehmen, um ihn weiter hochzuhalten.
„Komm nicht näher." Es war eine leere Drohung. Was wollte ich machen? Weiter durch den Wald rennen?

Meine Füße hatten Spuren im feuchten Boden hinterlassen und Dreckspritzer schrieben auf die entliehene Kutte die Geschichte eines verkorksten Fluchtversuchs. Er war schneller gewesen. Und nicht einmal außer Atem.
„Leg den Stock weg, bevor du dir wehtust."

Ich hatte vor, ihm damit wehzutun, aber diese Idee kam ihm anscheinend nicht mal. Er machte einen weiteren Schritt auf mich zu und ich schob meine Füße vorsichtig zurück.
Verzweifelt versuchte ich mich an Trainingseinheiten zu erinnern, die Henric meinem Bruder gegeben hatte. Wenn ich ihn am Knie erwischen würde-...

„Ich weiß ehrlich nicht, was du da gerade machst, aber ich habe den Verdacht: du auch nicht. Du wirst dich nur selbst verletzen und das ist tatsächlich nicht, was ich möchte." Er sprach langsam. Beruhigend. Seine Augen hielten meine fest, als könne er allein so mich von der Wahrheit seiner Worte überzeugen.

Es ärgerte mich nur ein klein bisschen, dass ich mein Verhalten erklären musste. 
"Ich versuche wegzulaufen!" Bei jedem Wort sprang und hüpfte der Ast in der Luft. 

Er hob nur eine Augenbraue. 
"Durch den Wald? Alleine? Das ist sehr gefährlich."

Ich linste über meine Schulter. Wir waren mitten im Sakella Wald. Bäume versperrten meine Sicht in jede Richtung und ich wusste bereits nicht mehr, von wo wir gekommen waren. Ein bitterer Geschmack füllte meinen Mund. Die mittägliche Sonne hatte sich hinter das dichte Blätterdach verzogen und sperrte uns mit den Bäumen im Zwielicht ein.

„Und ihr seid nicht gefährlich? Ihr habt vielleicht den König umgebracht! Oder Henric! Und ich weiß wirklich nicht, was schlimmer wäre", rief ich ihm zu, weitere Schritte zurückschleichend. Was machte ein wenig Blasphemie in den Ohren eines Mörders? Der Gedanke allein hatte das Potenzial, mich um den Verstand zu bringen. Ich entschied nicht weiter daran festzuhalten. „Und selbst wenn sie überlebt haben, wird Monsieur Boltier ihnen womöglich noch das Leben nehmen. Oder einen Arm am Rücken annähen."

Der Botschafter schloss sehr langsam die Augen und öffnete sie wieder, als suche er in sich die Geduld, die er für dieses Gespräch brauchen würde. „In dem Fall hat euer König seinen Hofmedicus verdient."

Ich rümpfte die Nase. Der Ast in meinen Händen senkte sich schleichend ab, während mir die Kraft in den Armen ausging.
„Ich denke nicht, dass Ihr in der Position seid, um über so etwas zu urteilen."

Wenn der König oder Henric tot waren... Ich wusste ehrlich nicht, was ich machen würde. Ich wusste, dass ich aus eigener Kraft nicht nach Hause finden würde. Ich brauchte ihre Hilfe. Aber so-...

Er kam noch ein paar Schritte näher, den Blick jetzt auf meinen Stock fixiert.

Ich wollte ihn wieder höher heben, doch das war sinnlos. Mit einem frustrierten Aufschrei ließ ich ihn fallen und machte auf dem Absatz kehrt, um meine Flucht fortzuführen.

Er war sofort bei mir, packte mich an der Hüfte und warf mich förmlich gegen einen Baum.
Meine Muskeln, von dem zweitägigen Ritt bereits angespannt, protestierten unter der Behandlung. Meine Knie knickten weg und ich sacke in mich zusammen, bis ich zwischen den Wurzeln hockte.

Die letzte NevanamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt