Nachtkresse Büschel 2

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          Es gab eine reelle Chance, dass sie mich hinrichten würden, wenn das hier schiefginge. Eine Große sogar.
Der Gedanke ließ meine Finger zittern, als ich vorsichtig mit dem Messer die genähte Wunde wieder auftrennte. Yessaias und Andrews Blicke brannten ein Loch in meinen Rücken, ganz gleich wie viel Mühe ich mir machte, sie auszublenden.

Ihre Anwesenheit trieb mir den Schweiß auf die Stirn. Zweimal verletzte ich versehentlich intaktes Gewebe um die Wunde herum, weil ich kaum noch Kontrolle über meine Hände hatte. So konnte das nicht weitergehen.

Mit einem geschlagenen Seufzen legte ich das Messer weg und drehte mich zu ihnen um.

„Ihr müsst das Zimmer verlassen." Meine Stimme bebte, als stünde ich auf einem lokalen Erdbeben. Ganz großartig, wenn man gefasst herüberkommen will ...

Yessaias Reaktion war dementsprechend verständlich. „Ich werde dich bestimmt nicht mit einem Messer und meiner Schwester allein in einem Zimmer lassen." Er verschränkte die Arme vor seiner Brust und lehnte sich demonstrativ gegen die Wand. Andrew machte sich nicht einmal die Mühe eine Reaktion zu zeigen. Kein Vertrauen unter Entführern.

„Und ich kann nicht arbeiten, wenn ihr zwei in meinem Rücken herumlungert", hielt ich dagegen und amte Yessaias Haltung nach. Er wollte hier etwas von mir, auch wenn es nicht den direkten Eindruck machte. Und ich würde nicht das Leben seiner Schwester riskieren, nur weil sie meinen Nerven keine Ruhe geben konnten.

„Was für eine Nevanam lässt sich von anderen nervös machen?", fragte er zurück. Misstrauen blitzte in seinen Augen auf und die Lippen wurden noch ein wenig schmaler.

Für einen kurzen Moment erlaubte ich mir, seinen Blick zu halten. Es war egal, was er von mir dachte. Wenn ich dem Mädchen nicht bald helfen konnte, würde niemand von uns glücklich werden.

„Ihr habt mich hier her verschleppt, mit nichts als dem Versprechen, dass ihr mir nichts antun werdet. Soviel ich weiß, werde ich sterben, sobald sie stirbt. Das sollte Erklärung für meine Nerven und Grund genug sein, dass ihr mich getrost allein lassen könnt."

Blut rauschte durch meine Ohren. Mein Herz begann lauter in meinem Brustkorb zu schlagen und meine Füße kribbelten. Die ersten Bilder von Moira kehrten zurück. Boltiers Ausdruck, als er sie verloren hatte. Wenn ich nicht Herr meiner Sinne bleiben würde, teilte ich bald ihr Schicksal.
Heftig blinzelte ich gegen die aufkommende Panik an und machte einen stolpernden Ausfallschritt zur Seite. 

Andrew, lass uns allein."
Ich hörte die Worte kaum über das Rauschen meines Blutes. Mein Gesicht schmerzte von dem Versuch, unbefangen auszusehen. Als würden in mir nicht tausend kleine Feuer aufkommen.

„Machst du so etwas jedes Mal, wenn du deinen Willen nicht bekommst?" Die plötzliche Nähe des Botschafters drängte ein Wenig der Dunkelheit zurück. Er war nah genug, dass ich kaum etwas anderes um ihn herum wahrnahm.

Ich wollte Antworten, doch meine Atmung benötigte all meine Konzentration. Normal aussehen. Nichts zeigen.
Nur sehr langsam fokussierten meine Augen wieder auf sein Gesicht, auch wenn er immer noch eine verstörende Ähnlichkeit mit Moira hatte. Ich würde nie wieder einem Patienten helfen können, wenn das so weiterging. Und der Gedanke verstörte mich noch mehr.

Ein kleiner Funken Verständnis blitzte hinter den grauen Augen auf. Seine großen Hände legten sich wie Gewichte auf meine Schultern und drückten mich in meinen Stuhl.
„Hätte ich gewusst, dass Nevanam so zartbesaitet sind-..." Er sprach den Satz nicht zu Ende, unwillig das Wort ‚Entführung' zu verwenden.

Er konnte noch nicht einmal vor sich selbst rechtfertigen, was er getan hatte. Selbst, wenn das eigentlich wenig mit meinem momentanen Zustand zu tun hatte. Der beginnende Ärger über ihn schaffte es tatsächlich, die Angst zurückzudrängen.

Die letzte NevanamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt