»22« innere Ruhe

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„Ich will das nicht."

Seufzend fahre ich mir durch die Haare und schließe für einen Moment die Augen. Seit fast einer Stunde sitze ich neben Aurela und versuche herauszufinden, wieso sie nicht mehr von einen der Betreuer gebadet werden will. Ja, einige von ihnen sind fies, wie sie mir erzählt hat, aber es können doch nicht alle fies sein, oder? Und wenn ich sie frage, wer genau ihr doof kommt, antwortet sie mir nicht.

Sie sagt nur, dass sie es nicht mehr will.

„Also gut, dann werde ich dich ab sofort baden. Aber in den Unterricht musst du dennoch", entgegne ich. Ein wenig nervt es mich zwar, dass ich nun auch das übernehmen muss, wo ich doch eh schon zu viel zu tun habe - ich meine, wann war ich zuletzt mal einfach nur spazieren? - jedoch ist Aurela wirklich stur. Wenn sie ›Nein‹ sagt, dann bleibt es auch dabei und man kann nicht diskutieren oder wenigstens eine Erklärung dafür verlangen, denn sie ignoriert dich dann einfach.

Eins steht fest; Ich will keine Kinder mehr.

„Ich will auch nicht mehr in den Unterricht! Ich habe noch ein Jahr bis ich in die Schule muss, wieso also habe ich jetzt schon Unterricht? Die Lehrerin nervt mich", zischt sie und verschränkt demonstrativ die Arme vor der Brust. Ich massiere mir die Schläfen und ziehe leise die Luft ein. Ich verstehe sie ja, ich hatte als Kind auch keinen Bock auf die Vorschule, aber da muss nun mal jedes Kind durch!

„Aurela, tue es bitte für mich. Denk' dran, wenn die Trainer und Lehrer erfahren, dass du schwänzt, werden sie mir die Schuld dafür geben und mich dir wegnehmen", warne ich sie. Naja, ob das wirklich stimmt weiß ich gar nicht, aber ich hoffe, dass sie es mir dennoch glaubt. Und Anschein tut sie das auch, denn ihre Augen werden so groß wie Unterteller.

„Wirklich? Aber ich möchte dich nicht verlieren! Du bist die Einzige, die wirklich für mich da ist, Lara." Sichtlich panisch greift sie nach meiner Hand und verschränkt sie mit ihrer. Mir wird warm ums Herz, doch ich spüre auch den Stich im Magen. Es ist traurig, dass sie das sagt. Ich sollte nicht die Einzige sein, die für sie da ist, es sollte mehr Menschen geben, aber bei Waisen ist es so. Bei mir war es nicht anders. Ich hatte ebenfalls niemanden.

„Und du bist das beste Kind auf dieser Welt und ich will dich auch nicht verlassen müssen. Deswegen musst du so langsam deinen Starrkopf ein wenig in den Griff haben und mal auf meinen Rat hören, ja?" Auch wenn sie nicht wirklich das beste Kind auf dieser Welt ist, habe ich sie gern und würde sie ungern abgeben müssen - sollte meine Lüge überhaupt wahr sein.

„Dann gehe du jetzt auf dein Zimmer, ich komme nach und bade dich dann", sage ich und erhebe mich. Mal wieder sitzen wir in der Cafeteria, die inzwischen halbleer ist. Es ist auch schon Abend, einige Trainees gehen raus, chillen mit anderen oder entspannen auf ihren Betten. Als ich vorhin runter zum Essen kam, meinte die eine der Betreuerinnen, dass Aurela nicht mehr von ihr gewaschen werden will und dass ich doch bitte mit ihr reden mag. Nun, die Betreuerin ist inzwischen mit den wenigen Kindern, dessen Paten scheinbar keine Zeit für sie hatten, wieder weg und Aurela hat sie bei mir gelassen.

„Okay, ich werde auf dich warten!" Mit diesen Worten hüpft der Lockenkopf davon. Ich schnaube leise, denn ich spüre langsam wie müde ich eigentlich bin. Abermals fahre ich mir durch die Haare, die leider noch immer waldgrün sind. Ich war beim Friseur, aber sie meinte, dass meine Haare sehr wahrscheinlich verbrennen würden, wenn ich sie nun wieder blond färbe, was ja nicht weiter schlimm wäre, denn meine hüftlangen Haare könnten dann einfach bis zu den Schultern geschnitten werden, was für mich jedoch überhaupt nicht klar geht! Nein, dafür liebe ich meine langen Haare einfach zu sehr. Deshalb lasse ich die Farbe einfach rauswachsen, eine andere Wahl habe ich leider nicht. Und so langsam freunde ich mich mit dem Grün an.

Agonía SilenciosaWhere stories live. Discover now