Zeit bringt verhängnisvolle Taten (4)

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Ave trat ein paar Schritte zurück und betrachtete die glänzende Farbe, die noch feuchten Pinsel hatte sie sich flüchtig hinter die Ohren geklemmt. Ihre Hände waren inzwischen von Farbe eingeölt, ebenso wie die Tücher auf dem Boden, die sie zur Vorsicht vor Farbklecksen dort positioniert hatte. Die Farbe Rot, die des Blutes, war ihre Lieblingsfarbe und ließ sich in jeder Farbmischung auf ihrem Gemälde schimmernd wiederfinden.

Irgendetwas gefällt mir nicht!

Seit die Sonne untergegangen war stand sie vor dem Gemälde und betrachtete es eingehend im flackernden Lampenschein, doch der Fehler wollte sich ihr nicht erschließen. Jeden einzelnen Millimeter hatte sie bereits abgesucht, sich weiter nach hinten gestellt und von der Seite gespäht, doch er blieb im Verborgenen. Sie seufzte. Wie konnte es jedes Mal aufs Neue so eine Kunst sein, die Farben auf die Leinwand zu streichen? Sie schaute nochmal die grün-golden glänzenden Blätter des unnatürlich geformten Baumes an, welchen den Himmel elegant verschleierten. Die Lichtstrahlen aus dem Inneren des Spektakels waren perfekt getroffen und beschienen Melias himmelsgleiches zartes Gesicht, was sich zwischen die Blätter schlich. Ave war so fasziniert von dem Schauspiel, welches sie bei Melias Entdecken vorgefunden hatte, dass sie es hatte für die Ewigkeit verwirklichen müssen.

Ein Luftzug wehte durch ihre lockigen Haare. Ein Mann trat hinter sie.

„Gut, dass du hier bist", sprach sie ihn ohne jegliche Zuwendungen an. „Ich finde den Fehler nicht!" Sie drehte ihren Kopf und forderte Rufus mit den Pinseln in der Hand auf sich direkt davor zu stellen. Gespannt verfolgten ihre Augen, wie der etwas dickere Mann sich in Richtung der Leinwand bewegte.

„Stopp!", fuhr sie ihn an. „Halte dein dreckiges Äußeres von meinem Werk fern. Ich werde keine Schmutzfinger auf meinem Bild gelten lassen. Das ist Kunst, vergiss das nie!"

Sie konnte auch nett sein. Insbesondere wendete sie die ihr eher geringfügig gegebene Gabe bei ihren Untergebenen an, beispielsweise, wenn sie etwas wollte. Es war ebenso eine Kunst jemanden zu manipulieren, wie ein Bild zu erschaffen. Man musste ihnen das Gefühl geben geborgen zu sein, bevor man die Falle zuschnappen ließ. Sie liebte die Beschäftigung als Ausweg ihre Fertigkeiten zu zeigen und Situationen boten sich dafür immer dar. Es war belustigend mit anzusehen, wie die auserkorenen Wesen sich in die Enge getrieben fühlten, Angst davor hatten etwas Falsches zu sagen. Vielleicht sogar versuchten aus der hübschen Falle zu entkommen, was bei Aves Talent allerdings selten passierte.

Sie lehnte sich über seine massige Schulter und strich über seinen kleinen braunen Bart. Sie öffnete sachte ihren Mund und flüsterte ihm ins Ohr: „Na, entdecken deine Augen schon den Makel?" Sie grinste als sie sich wieder aufrichtete und auf seinen Hinterkopf mit dem Loch im braunen Haar sah. Er hatte seine Schultern merklich hoch gezogen und sie konnte sogar ein paar glänzende Schweißperlen auf seinem massigen Nacken ausmachen. Sie rannen durch die aufgestellten Haare und verloren schnell an Größe.

Ave fing an mit der Farbe des Pinsels zu spielen. Leicht schattierte sie mit der roten Farbe ihre Finger und wartete darauf, dass Rufus endlich etwas von sich gab. Seine Atmung war merkbar bedrückt, als er einmal tief durchatmete:

„Herrin, ich kann nichts erkennen." Ave blickte nicht einmal von ihrer perfekt schattierten Hand auf, sondern streckte sie nur dem Licht entgegen und beobachtete, wie ihre Finger sich im Angesichts des Lichtspiels zu Krallen formten.

Die Männer in diesem Lager waren allesamt langweilig, keiner von ihnen konnte sich auch nur im Ansatz mit ihr messen und von Kunst hatten sie nicht einmal auf entferntesten Wegen eine Ahnung. Aves Augen hingegen waren perfekt geschult, sie konnte Dinge erkennen, die keiner ihrer Männer mit einem Vergrößerungsglas sehen würde. Wenn sie den Fehler nicht fand, dann der Mann vor ihr erst recht nicht, obwohl er schon viel erlebt hatte. Sie hatte ihm eine perfekte Falle gestellt. Der Fehler war da, aber er konnte nicht sagen, wo er war.

KönigstochterWhere stories live. Discover now