In der Ganzheit liegt die Kraft (3)

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Ein einsames Gefühl der Bodenlosigkeit machte sich in ihr breit. Ihr Bewusstsein kam zurück, doch ihr Verstand vermochte es nicht, sie wieder in ihren Körper zurückzuversetzen. Eine Weile schwankte sie gedankenverloren in der Schwärze hin und her, ohne etwas zu greifen, ohne etwas Festes um sie herum zu haben. Sie spürte weder ihren Körper, noch konnte sie einen Gedanken fassen. Sie existierte nur dort in der Stille. Eine zweigeteilte Stille. Die erste Stille kämpfte verzweifelt um die Ruhe. Sie wollte keinem mehr begegnen und endlich für sich sein. Die zweite Stille kämpfte kläglich darum, dass die Ruhe endete. Sie wollte wieder das Leben spüren, unter Elben und Barbaren sein und nicht mehr in den Gedanken von Melia gefangen sein. Ein stiller Kampf und doch ein lauter. Die Stillen zuckten. Die erste krümmte dich vor Kummer. Die zweite triumphierte, weil sie aufwachte.

Ein Schwall von Wasser wurde Melia über den Kopf gekippt und weckte ihren Verstand schlagartig auf, sodass er sich wieder mit ihrem Körper verband. Ihr Kopf explodierte vor Schmerz und schien sich in einer starren Spirale abwärtszubewegen. Sie wollte sich mit der Hand den Schmerz vom Kopf wischen, doch ihre Hand ruhte reglos auf dem Boden neben ihr. Gedrückt nahm sie den harten Holzboden unter sich wahr. Ihre Lider flackerten leicht, als würden sie wie kleine Vögel in die Lüfte abheben. Es entstanden kleinen Risse in der Wand, durch die sattes Licht in ihr Auge schlüpfte. Der Metalleimer, nun geleert, klapperte noch blechern über ihr, als ihre Ohren das schrille Fiepen unterdrückten, ihre Tore wieder öffneten und Geräusche in sich hinein ließen. Das Klappern der Stühle um sie herum, die Schuhe, die auf dem Boden schürften, die Gläser, die ohne Rücksicht auf die Tische gehauen wurden. All das kehrte schlagartig wieder zurück in ihren Kopf und hinterließ ein Dröhnen, während es sich wieder von ihr entfernte. Sie machte einen weiteren Versuch ihre Arme zu heben, doch keine Muskelfaser spannte sich in ihr an. Nur ihr Atem ging regelmäßig und das Blut rauschte durch ihren Körper in immer und immer wiederkehrenden Mustern.

„Musstest du sie so hart schlagen? Schau sie dir doch an!" Eine energische weibliche Stimme schnitt durch die Luft. Melia schreckte zusammen, als diese wütend auf den knatschenden Holzboden stampfte und es laut in ihren Ohren knallte. Es war nicht die Stimme des Mädchens, welche Melia bedroht hatte. Sie war anders. Sie war bestimmter. Sie war härter. Sie war energischer. Melia versuchte einen klaren Gedanken zu finden, doch ihr Kopf weigerte sich auch nur eine Sekunde lang leise zu sein. Hunderte von Stimmen drangen auf sie ein, ein Schwall von Gedankenströmen flutete ihr Bewusstsein und stieß sie in Dimensionen ihres eigenen Selbst, die sie noch nie zuvor betreten hatte. Die Geräusche von außerhalb wurden wieder lauter. Melia rief sich selbst zur Ordnung. Sie durfte jetzt nicht in ihren Gedanken verloren gehen. Es gab Zeiten, zu denen sie es durfte, doch die Spannung im Raum war viel zu groß, als dass sie sich ihrer Schwäche hingeben durfte. Wie Kleidungsstücke und Schmuck versteckte sie die Gedankenstöße in kleinen Schachteln und Schubladen in ihrem Kopf, bis sie jeden Einzelnen von sich gestreckt hatte.

Mit geballten Kräften versuchte sie wieder Kontrolle über ihr Bewusstsein und ihren Körper zu erlangen. Ihre Augen suchten in der Schwärze nach etwas Halt, in der Hoffnung, dass sie sich daran entlang hangeln und wieder zurückkommen konnte. Gerade war Melia kurz davor gewesen ihre Lider selbst zu eröffnen, da sprang ihr gellend helles Licht in ihren Verstand und leuchtete ihn gänzlich aus. Das Blau ihrer Augen drehte sich weg und mied den Lichtstrahl. Sie spannte ihre Muskeln wieder an und schloss ihre Lider wieder. Ein Druck löste sich von ihrer Haut, als hätten Fingerspitzen auf ihr geruht. Melia blinzelte, ohne die Augen zu öffnen. Jemand hatte sie angeschaut. Sie schluckte schwer. Es musste das Mädchen gewesen sein, dass sie hatte kosten wollen. Sie musste sich wieder aufraffen. Sie öffnete noch einmal ein Spalt ihrer Augen. Ein tiefes Grummeln drang aus ihrer Kehle. Licht konnte schmerzhafter sein, als man es sich vorstellte.

„Aber sie hat Askala..." Eine bodenlose, sich bei jedem Wort überschlagende Stimme. Vollkommen männlich und doch so verletzlich, wie die eines Neugeborenen. Sie zitterte, als würde jemand der Person die Atemwege abschnüren. Hingegen zu seiner Stimme schien sein Körper das vollkommene Gegenteil zu sein. Es donnerte immer wieder laut, wenn er nervös von einem Fuß auf den anderen sprang. Es musste der Mann sein, der hinterrücks auf sie losgegangen war und sie niedergeschlagen hatte. Es war kein Wunder, dass ihr Kopf derart schmerzte. Seinen dröhnenden Bewegungen nach zu urteilen, musste er Fäuste wie Fässer haben.

KönigstochterWhere stories live. Discover now