„Verschmäht sei dessen Zukunft, der dem Feind ein Freund ist" (4)

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„Was erwartet mich dort drinnen? Ein Festessen? Ein Feld aus Toten? Gefangene, die er zu unserer Belustigung tanzen lässt? Habe ich unausgesprochene Etiketten zu befolgen?" Hilflos starrte die Königin in Nilas blaue Augen. Sie durfte zu diesem Zeitpunkt keine Fehler begehen. Die Beziehung der beiden Reiche war ohnehin durch Melias Handeln dem Ende geneigt und wurde nur mit großer Anstrengung aufrecht erhalten. Sie kannte diverse Etiketten, Ordnungen und Verhaltensweisen, doch sie konnte den einfältigen jungen Herrscher nicht einschätzen. Zum einen schien er auf Kleinigkeiten zu achten, zum anderen konnte man die größten Fehler neben ihm begehen, und er zuckte nicht mit der Wimper. So zumindest, wie ihr zu Ohren gekommen war. Er könnte sich bereits angegriffen fühlen, wenn sie die Gabel falsch anfasste oder auch erst, wenn sie nicht tief genug vor ihm knickste. Alles, was sie vornahm, könnte ihn zum höchsten Erzürnen und einen Bruch in den neugewonnenen, feingliedrigen Allianzen bedeuten, auch wenn sie diese nicht bewilligte. Je mehr Hilfen man ihr gab, desto beglückender würde dieses Fest für beide Reiche ausgehen. Sophell schluckte, als Nila sie mit ausdruckslosem Gesicht ansah, als würde eine fremde Sprache ihren Mund verlassen. Mit Mühe setzte die Königin ein gut gewolltes Lächeln auf und stellte die wichtigste Frage, die ihr seit Beginn der Fahrt in der Kehle brannte.

„Gibt es Themen, die ich nicht zur Ansprache bringen darf?" Ihre Augen blitzen zwischen Nilas hin und her, von einer Iris zur anderen, jegliche kleine Äußerung ihrer Muskeln wahrnehmend. Das Gesicht vor ihr entspannte sich jedoch etwas und erwiderte Sophells Lächeln sanft und schüchtern. Nach einer flüchtigen Pause des Denkens erhob sie leicht ihre Stimme.

„Sprecht nicht seine Eltern an. Ebenfalls nicht die Beziehung zwischen ihm und seiner Bediensteten Avellyn." Nila setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. „Ansonsten wird er eure Hoheit mit hoher Wahrscheinlichkeit kaum wahrnehmen. Seit Ausbruch der Seuche achtet er auf fast gar nichts mehr." Das Leuchten in ihren blauen Augen verschwand. Es hatte fast den Anschein, als bedauere sie, dass ihr Herr seine Sorgfältigkeit verloren hatte. Sophell derweilen atmete erleichtert aus. Sie hatte Firell wahrhaftig falsch eingeschätzt. Wenn auch zu Teilen richtig, da ihre Vermutungen auf den Normalzustand verwiesen, nicht den Katastrophenzeiten, wie sie aktuell vorlagen.

„Habt ihr noch weitere Fragen?" Nila zog leicht eine Augenbraue fragend in die Höhe und griff nach der Klinke. Stumm antwortend, senkte Sophell ihren Kopf und bekräftigte somit, dass das Mädchen entlassen war. Nila umfasste mit ihren blassen Fingern den Griff, ließ ihn nach unten sacken und zog die Doppeltür zu sich auf. Ein hell durchfluteter Saal ergoss sich vor Sophells Augen und ließ sie für einen kurzen Moment erblinden, bevor sie sich daran gewöhnen konnte. In ihm saß ihr Mann bereits am Speisetisch, welcher von Barbaren nach wie vor mit unzähligem Essen geschmückt und verziert wurde. Der eine huschte zu dieser Seite, der andere verschwand in der Tür der Wand und der letzte setzte sich mit grimmigen Gesicht in ihre Richtung in Bewegung. Man sah ihm an, dass nicht alles nach Plan lief und Sophell ihm seine Situation mit ihrem Verspäten nicht erleichterte.

Noch bevor er einen Schritt über den geschwärzten Marmorboden gesetzt hatte, verschaffte sich Sophell einen Überblick über den Saal. Sie war etwas seitlich in ihn hineingelangt, rechts und links neben der nun geschlossenen Tür flankierten weitere Türen. Sie drehte sich um sich selbst. Der Raum war aufgebaut wie ein Neuneck, wobei ihr gegenüber eine riesige Reihe an Fenstern prangte. Eine doppelflügige, dennoch schmale Tür führte hinaus auf den beigen Balkon, welchen sie bereits von außen bewundert hatte. Der Tisch, an welchem ihr Mann sich eine weitere Gänsekeule krallte, war zu ihrer Rechten aufgestellt. Die von Unmengen an Essen zerkräuselte Oberfläche blitzte und blankte im Faden Sonnenlicht. Von der jungen Frau mit den feuerroten Haaren war jedoch keine Spur mehr. Sophells Blick blieb an den Wänden hängen, welche leicht fleckig mit Gold besetzt waren, von welchem sich Sonnenstrahlen in den Raum spiegelten. Unterbrochen ward es nur durch einen feinen schwarzen Streifen, welcher sich durch den gesamten Saal zog und wie Pech auf den Fenstern prangte.

KönigstochterWhere stories live. Discover now