10. Allein in der Dunkelheit✔

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Levis Sicht:

„Schnell, Levi! Versteck dich!", rief meine Mutter unter Schmerzen. Ich war wie paralysiert. Ich konnte mich nicht bewegen. Es war so, als wäre mein Körper eingefroren. Ich musste schmerzlich mit ansehen, wie ihr ein Mann, mit schwarzer Maske, immer wieder ein Messer in ihren Bauch rammte. Immer mehr Blut verteilte sich auf dem Boden. Ich fühlte nichts mehr. Es herrschte in mir reinste Leere.

Nach einem kurzen Augenblick kam der Mann auf mich zu. Er grinste mich dreckig an und hielt das Messer hoch. Mich durchfuhr ein schrecklicher Schauer. Ich wollte nur weg von hier!

„Na wo willst du denn hin? Du bleibst schön hier, mein Junge. Deine Familie wartet schon auf dich!", sagte er mit einem ekelhaft- gruseligen Unterton. Mir war die Angst wie ins Gesicht geschrieben. Mein Brustkorb bebte. Auf einmal packte dieser Typ meinen Arm und war einfach am Grinsen...!

„Nein, lassen Sie mich los!", schrie ich verzweifelt. Der Mann lachte aber nur hemmungslos und hob erneut das Messer. Ich versuchte wegzurennen. Ich schrie verzweifelt nach Hilfe, aber niemand war noch am Leben. Alle waren bereits tot. Ich war allein, keiner konnte mir helfen.

„Na komm. Es wird auch nicht weh tun und geht auch ganz schnell, versprochen!", meinte der Mann immer wieder. Ich schüttelte nur unter Tränen den Kopf. Ich wollte nach Hause! Ich wollte meine Mutter umarmen. Aber natürlich konnte ich nichts machen! Es ist meine Schuld! Es ist meine Schuld, weshalb sie nicht mehr da sind! Ich allein...

Ich wachte schweißgebadet auf. Mein Atem ging heftig. Ich hatte wieder davon geträumt. Wieder einmal musste ich mit ansehen, wie meine Familie starb und ich nur hilflos daneben hockte und nichts unternahm. Jeder sagte mir, es wäre nicht meine Schuld, aber ich wusste genau, dass sie es war! Daran gab es nicht den geringsten Zweifel meinerseits.

Tränen rannen mit übers Gesicht. Ich fuhr mir mit meinen zittrigen Händen durch mein verschwitztes Haar. Ich leckte mir mit meiner Zunge über die trockenen und spröden Lippen. Ich war es so leid! Ich wollte einfach nicht mehr... Aber wahrscheinlich war es besser so. Es war die gerechte Strafe. Dafür, dass ich meine Familie habe sterben lassen. Mein Vater meinte immer: „Du musst stark sein. Beschütze die Menschen, die du liebst." Und das hatte ich nicht geschafft! Jetzt muss ich damit leben. Mit der Schuld, dass alle wegen mir ihr Leben verloren haben, leben ...

Aber ich... musste es aushalten. Musste stark sein. Aber es fühlte sich so unglaublich schwer und niederschmetternd zu gleich an. Scheiße.

Nachdem ich mich wieder einigermaßen beruhigt hatte, stand ich vom Bett auf. Auf meinem Nachttisch stand ein Glas Wasser, welches ich mit einem Zug austrank. Völlig fertig taumelte ich zum Waschbecken. Ja, es gab in jedem Zimmer ein Waschbecken. Fragt mich nicht wieso. Ich wusch mir mit kaltem Wasser einmal kurz das Gesicht und atmete tief ein und aus. Ich stützte mich am Waschbecken ab und schaute in den Spiegel. Bei dem Anblick, der Person im Spiegel, könnte ich kotzen. Mich widerte dieses Ebenbild von mir, einem Verlierer, an. Diese tiefen Augenringe, das blasse Gesicht, welches zudem auch noch etwas mager war. Ich aß schon immer nicht genug. Ich konnte nicht mehr so viel essen, nachdem, was ich damals gesehen hatte.

Ich schlenderte zur Fensterbank und setzte mich dort wie immer hin. Es war mitten in der Nacht. Der Mond schien hell und flutete alles ins weiße Licht. Ich blickte heraus, schaute in den Himmel zum Mond hinauf und ließ das Licht in mein Gesicht scheinen. An Schlaf konnte ich nicht mehr denken. Ich war zwar müde, aber ich wollte nicht schon wieder in diesen Albtraum gefangen sein. Ich versuchte mich abzulenken. Musste irgendwas anderes machen, als nur an das eine zu denken. Ich holte die Zeichensachen vom Schreibtisch, setzte mich wieder auf die Fensterbank und fing an den Mond und die Landschaft zu zeichnen.

Ich summte eine Melodie vor mich hin. Ein Lied, was meine Mutter mir immer abends vorgespielt hatte (siehe Oben). Auch wenn es ein trauriges Lied war, mochte ich es dennoch. Es hört sich vielleicht komisch an, aber immer, wenn meine Mutter es spielte, dann fühlte ich mich so verstanden und behütet. Einfach, als wäre alles gut. Als gäbe es nichts Schlechtes in dieser beschissenen Welt.

Als ich mit meiner Zeichnung fertig war, konnte man schon das Morgenrot erkennen. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es 6:32 Uhr war. Ich machte noch den letzten Feinschliff und legte es dann auf meinen Schreibtisch. Dann musste ich wieder an das denken, was dieser Eren gesagt hat: „Man sollte ein Hobby nur ausführen, wenn man es aus Leidenschaft macht und nicht, wenn jemand anders es von einem will." Bei diesen Gedanken musste ich schmunzeln. Diese Geste, dass jemand mit mir so offen über Privates sprach, war schon lange her. Eren tat mir leid, er hatte dasselbe erleiden müssen wie ich. Er musste auch mit ansehen, wie seine Eltern vor seinen Augen starben. Er wirkte aber nicht so, als ob. Er wirkte wie ein normaler Mensch. Wie schaffte er das? Wie konnte er so tun, als wäre das alles nicht passiert? Bestimmt war er im Inneren genauso kaputt wie ich. Nur konnte er es unterdrücken und zeigte es nicht. Ob dieser Moment der Grund war, wieso er Psychologe geworden war? Ich wollte mehr über ihn erfahren. Seine hellen, sowie dunklen Seiten. Bei ihm fühlte ich mich etwas wohler in meiner Haut. Es war für mich sehr befremdlich, so plötzlich irgendeine Art von Empathie für eine Person empfinden.

Trust Is Useless [Ereri/Riren]Where stories live. Discover now