6. Kalte Zeiten✔

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Eren Pov:

Ich war heute etwas früher zur Arbeit gegangen. Ich wollte mich gut genug vorbereiten können. Ich wollte nichts überstürzen. Schließlich würde ich heute das erste Mal auf Levi ohne Begleitung treffen. Nachher würde ich etwas sagen, was ihm nicht passte und er würde sich gegenüber mir sofort verschließen. Ich hatte keinen, der mir die Grenzen klarmachte, deshalb müsste ich es selbst herausfinden

Ich nippte an meinem heißen Kaffee und machte mir alle möglichen Notizen. Die würde ich vielleicht später brauchen. In einer halben Stunde wäre die Sitzung. Ich war etwas nervös. Ich wusste nicht so ganz wie ich mit ihm reden sollte, aber ich durfte mich nicht ablenken lassen.

Als ich eine Seite vollgeschrieben hatte, sah ich auf die Uhr. It's Showtime!

Ich machte mich samt meinen Notizen und einem Geschenk für Levi auf den Weg. Als ich sah, wie gut er zeichnete, beschloss ich ihm ein Skizzenbuch und ein Bleistiftset zu schenken. Obwohl ich wusste, dass es ihm höchstwahrscheinlich egal wäre oder er es eh nicht benutzen würde, wollte ich ihm was geben. Vielleicht hatte er Freude daran oder er würde denken, dass er mir doch nicht ganz egal ist. Alles wichtige Aspekte, wenn man ein Vertrauensverhältnis aufbauen wollte.

Meine Schritte hallten auf den Fluren. Keiner war zu der Zeit auf den Gängen. Ich blieb vor der großen Stahltür stehen und kramte die Lock Card aus meiner Tasche, die mir Dr. Smith gegeben hatte, um mir Zugang zur geschlossenen Abteilung zu verschaffen. Ab und zu spickte ich durch das Türfenster, um zu sehen, ob es dort genauso ruhig war. Ich führte die Karte durch den Schlitz und schon ging die Tür auf. Es war still. Keine Geräusche waren zu hören. Man könnte selbst eine Feder auf den Boden fallen hören... Es war aber nichts Neues auf dieser Station.

Ich lief den langen Gang immer weiter runter, bis ich an seiner Tür stehen blieb. Auf den Schild daneben stand 'Ackermann, Levi G009'. Da ich nicht wollte, dass Levi einen Ausraster bekäme oder sich unwohl fühlte, zog ich mir schnell die Schuhüberzieher über und guckte, ob alles ordentlich wieder an seinem Platz ist.

Ich klopfte und ging rein, als keine Erwiderung kam.

Der Raum war dunkel. Nur ein wenig Sonne schien herein, was den Raum noch übersichtlich erscheinen ließ. Man konnte wenigstens sehen, wo man hin ging. Ich sah wie Levi wieder an dem Fenster saß und nach draußen schaute. Warum tat er das? Eine weitere Frage, dessen Antwort ich herausfinden wollte.

„Guten Morgen, Levi", begrüßte ich ihn freundlich, ich erwartete jedoch keine Antwort. Das Levi nicht sehr gesprächig gegenüber uns Ärzten war, wusste beinahe jeder Arzt hier. Die geschlossene Abteilung war öfters ein großen Gesprächsthema - ich beteiligte mich nicht oft daran, sondern hörte eher zu. Ich nahm mir einen Stuhl und setzte mich wie beim letzten Mal vor das Fenster. Wenn Levi da so gerne und oft saß, dann wollte ich ihn nicht dazu bringen sich woanders hinzusetzen. Wahrscheinlich gab es einen guten Grund, das wollte ich ihm nicht nehmen.

Als ich mich richtig hingesetzt hatte und meine Notizen auf meine Knie positionierte, hörte ich ein gemurmeltes „Hi". Es ließ mich leicht grinsen. Ich war durchaus überrascht, ich hatte sowas nicht erwartet. Umso mehr freute es mich. Diese Begrüßung wurde sofort notiert. Jedes Wort konnte wichtig sein.

„Wie geht es dir heute, Levi?", fragte ich frei heraus, ohne auf eine Antwort zu hoffen. „Standartfrage", sprach Levi plötzlich gegen das Fenster. Meine Stirn legte sich in Falten. „Was?", fragte ich nochmal, nur um sicher zu gehen. Dann drehte er sich plötzlich um und stand auf, um sich rechts von mir auf sein ordentliches Bett zu setzen. Ich drehte mich schnell mit meinem Stuhl, um in seine Richtung zu sitzen und wartete gespannt auf eine Antwort. Levi setzte sich angelehnt an die Wand auf sein Bett und schaute auf die Tür. Ich stellte das mal nicht in Frage. Er schien stets in Gedanken zu sein. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er sie mir erzählen würde.

„Das ist eine Standartfrage... Jedes Mal, wenn einer von euch hier reinkommt, dann stellt er immer wieder diese Frage...", sprach er leise murrend. Fast so, als würde er nicht mit mir reden wollen. Was wahrscheinlich sogar der Fall war. Ich hatte aber nicht vor, schon zu gehen. Nicht, wenn ich noch was aus ihm rausbekam. Er schien deutlich offener mit mir reden zu können als mit anderen. Das erleichterte die Sache maßgeblich.

„Ist das ein Problem?" Ich überkreuzte meine Beine und legte meine Hände gefaltet auf meinen Schoß. Dabei wippte ich etwas mit meinem Fuß. Eine Angewohnheit, die ich nicht ändern konnte. „Sie würden nur immer dieselbe Antwort bekommen, denn es wird sich nie etwas ändern..." Nun wandte er seinen leeren und verletzten Blick zu mir. Ich musste schlucken. Diese Leere... Ich bekam einen Schauer über den Rücken. Schließlich drehte er seinen Blick wieder zur Tür.

„Also ich finde es wichtig, nachzufragen wie es einem geht. Man weiß nie, ob sich vielleicht doch was ändert." Ich sah dabei konzentriert auf meine Notizen, als das Skizzenbuch hervorblitzte. „Wenn Sie meinen...", gab er abwesend von sich. Er legte seine Hände auf den Schoß und knibbelte an seinen Fingernägeln. Schien auch eine Angewohnheit zu sein. Oder er überspielte damit etwas. Beides möglich. Ich glaube aber eher das erste.

„Sag mal, Levi. Zeichnest du gerne?", wartend auf eine Antwort nahm ich das Buch in die Hand. „Denke", antwortete er kurz. Ich legte ihm das Buch auf sein Bett. Sein Blick huschte kurz zu dem Buch rüber und weitete leicht die Augen. Dazu legte ich noch die Stifte. „Ich habe dir Zeichensachen gekauft. Ich hoffe, damit kannst du etwas anfangen." Er schaute wieder nach vorne und zuckte mit den Schultern. Punkt eins: Abgehakt

„Könnten Sie bitte aufhören?" – „Womit denn?"

„Mit ihrem verdammten Fuß zu wackeln. Das Nervt!" Als er das sagte, wurde sein Ton etwas lauter. Es erschreckte mich kurz, dass er so eine starke Reaktion zeigte. Ich hörte sofort auf, um ihn nicht zu nerven und setzte beide Füße auf den Boden.

„Warum sitzt du immer am Fenster?" – „Keine Ahnung... Denke mal, weil ich dann nach draußen sehen kann?" Okay, er war ein wenig gereizt. Das musste ich wieder hinbiegen.

„Warum gehst du nicht mit den anderen raus, wenn ihr Auslauf habt?", fragte ich einfach so. Ich nahm mir meinen Kuli zur Hand, um alles mir zu notieren. Ich sprach bewusst etwas provozierend, ich wollte ja wissen, ab welchen Punkt ich die Grenze übertraf. Auch, wenn ich das nicht gerne tat.

„Tch... Auslauf. Klingt, als seien wir Tiere", sprach er abweisend und lachte spöttisch auf. Er hatte schon recht. Klingt, als seien sie Tiere im Zoo. Ich wusste aber nicht, wie ich ihn das sonst fragen sollte. „Ich hab einfach keine Lust auf Menschen, mit denen ich eh nichts zu tun habe", antwortete er nüchtern. Es schien was passiert zu sein, denn sein Blick hatte sich für einen kurzen Augenblick etwas verändert.

„Wieso hast du keine Lust?" Ich schrieb das bereits Gesagte auf und wartete auf eine Antwort.

„Weil... Ich es nicht wert bin okay?! Es würde doch eh kein Interessieren..." Er wurde am Ende hin leiser und hörte nun auf zu knibbeln. Ich ließ ihn einfach. Wenn er bereit war es zu sagen, dann würde er sich mir öffnen. Davon war ich felsenfest überzeugt.

Trust Is Useless [Ereri/Riren]Where stories live. Discover now