9. Die ersten Worte an mich✔

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Erens Sicht:

Ich war gerade auf den Weg zu Levi. Ich hatte mir diesmal keinen weißen Arztkittel angezogen. Ich dachte, das würde die Atmosphäre entspannter machen. Es würde bestimmt auch so für Levi angenehmer sein. Ich wollte wie ein normaler Mensch rüberkommen und nicht wie ein Arzt, der nur da war, um Leute zuzuquatschen, des Geldes wegen. Wir würden komplett von neu anfangen müssen. Da war Stress und Druck fehl am Platz

Nun stand ich vor seinem Zimmer. Ich zog mir die Dinger über meine Schuhe und klopfte. Da wie erwartet kein 'herein' ertönte, betrat ich einfach das Zimmer. Sofort erblickte ich Levi. Er saß aber nicht am Fenster, sondern am Schreibtisch. Ich trat langsam an ihn heran, er war ganz ins Zeichnen vertieft. Es war eine Zeichnung seiner Mutter, also dachte ich mal. Ich fand es gut, dass Levi anscheinend so einen Spaß daran hatte. Aber so leid es mir auch tat, ich musste ihn dabei stören und mit dem Gespräch beginnen.

„Guten Morgen, Levi", begrüßte ich ihn. Er schaute kurz auf und blickte mir in die Augen. Seine Augen waren schwach gerötet. Hatte er etwa geweint? „Sollen wir anfangen?", fragte ich ihn vorsichtig. Er nickte leicht. Ich nahm mir einen Stuhl und stellte ihn vor sein Bett. Er setzte sich dann auch schließlich auf sein Bett, winkelte aber direkt die Beine an sich und umschlang sie mit seinen Armen. Es gab ihm Sicherheit.

„Schön. Also Levi, wir hatten ja besprochen, dass wir mal versuchen ein normales Gespräch zu führen. Auch wenn es jetzt unnötig klingt, wäre es vielleicht mal gut sich vorzustellen. Möchtest du anfangen oder soll ich anfangen?", fragte ich ihn etwas unwissender. Ich wusste nicht, wie er reagieren würde. Ich setzte mich mal locker hin. „Was soll das bringen? Sie wissen doch schon alles über mich. Das steht doch alles in meiner Akte."

„Du hast schon recht, aber ich möchte mir ein eigenes Bild von dir machen. Außerdem steht da auch nicht immer das Richtige drin", erklärte ich und gestikulierte auch mit der Hand dabei. „Na schön, dann fangen Sie an", sagte er und richtete seinen Blick auf mein Gesicht. Mir war es jetzt schon etwas unangenehm, wie er mich so konzentriert musterte. Ich sollte mir aber keine Sorgen machen. Ich bin doch der, der hier Levi hilft und nicht umgekehrt.

„Okay... Mein Name ist Eren Jäger. Ich bin 25 Jahre alt und lebe mit Freunden in einer WG in der Nähe von Shiganshina." Ich hoffte es war eine gute Idee, denn Levi schaute mich gerade irgendwie anders an. Ob das gut war, oder nicht, war mir zu dem Zeitpunkt egal. Immerhin bekam ich irgendeine Art von Reaktion von ihm. Darüber war ich sehr glücklich.

„Du bist jetzt dran, Levi", sagte ich und winkte ihm leicht zu. „Was soll ich denn sagen?" – „Sag doch einfach dasselbe wie ich", meinte ich dann nur noch darauf wartend auf seine Antwort.

„Na schön. Ähm... also ich heiße... Levi Ackermann und bin 28 Jahre alt und..." Weiter sprach er nicht. War es ihm unangenehm? Es war nicht schlimm. Ganz und gar nicht. Aber er war noch sehr unsicher. Ich freute mich aber trotzdem über jeden Satz, den er sagte.

„Das reicht schon. Sag mal Levi, was sind so deine Hobbies?"

„Ich zeichne manchmal gerne", antwortete er mir monoton und schenkte dem Skizzenbuch auf seinen Schreibtisch einen Blick. Und da war er wieder. Von Unsicherheit keine Spur mehr. Schon erstaunlich, wie schnell er sein Verhalten und die Stimmung so schnell ändern konnte. Dies notierte ich in meinem Kopf. Wird bestimmt für später wichtig.

„Schön. Mir liegt das Zeichnen nicht so. Aber dafür bin ich musikalisch tätig. Ich spiele Klavier, seit ich 5 Jahre alt bin. Es macht mir sehr viel Spaß." Seine Augen weiteten sich etwas. Hatte ich etwas Falsches gesagt? Es schlich ein kleines Lächeln auf seine Lippen. Ich musste blinzeln. Er lächelte...

„Wissen Sie, meine Mutter hat früher immer Klavier gespielt. Ich fand es immer so schön, wenn sie gespielt hat. Es beruhigte mich sehr und ließ mich all den Stress vergessen." Seine Worte waren so von Trauer erfüllt, dass einzelne Tränen über seine Wangen liefen. Er hatte aber seine Hände zu Fäusten geballt, daher schlussfolgerte ich, dass es für ihn sehr unangenehm war, vor einer anderen Person zu weinen. Ich lächelte ihn nur so sanft wie möglich an. Er sollte wissen, dass es vollkommen ok sei, vor anderen zu weinen.

„Meine Mutter hatte auch immer Klavier gespielt. Von ihr habe ich auch gelernt." Jetzt wurde ich auch etwas traurig. Ich musste an die Zeit zurückdenken, als meine Eltern noch lebten. Schön...

„Warum 'hatte'? Ist ihre Mutter auch verstorben?", fragte er etwas ruhiger. Ich nickte und schaute etwas beiseite. „Ja... Meine Eltern sind bei einem Autounfall vor 10 Jahren verstorben. Ein LKW hatte einen Unfall und dadurch wurden wir von der Brücke gestoßen. Wären die Einsatzkräfte nicht so schnell gekommen, dann wären auch meine Schwester und ich gestorben. Unsere Eltern bestanden darauf, erst uns retten zu lassen", erzählte ich ihm meine Geschichte und musste mir verkneifen zu weinen. Selbst sagen, es wäre ok zu weinen, aber es nicht machen. Ich musste mir kurz die Tränen wegwischen. Wie erbärmlich sähe das denn aus? Ich als Psychologe, der vor seinem Patienten am Weinen ist.

„Ich kann Sie gut verstehen. Es ist schlimm seine Familie vor seinen Augen sterben zu sehen. Vor allem, wenn man nichts unternehmen kann, um es zu verhindern", sprach er darauf und schaute betreten auf seine Hände. Etwas war passiert. Er hatte mir seine tiefsten Gefühle offenbart. Jedenfalls einen Teil davon.

„Herr Jäger, ich würde für heute lieber aufhören. Mir geht es nicht sonderlich gut", sagte er mir. In seinen Augen erkannte ich tiefe Leere, aber auch einen Hauch von Traurigkeit. Es war gut, wenn er mir seine Grenzen mitteilte. Ich wollte nicht zu weit gehen. Für ein erstes Gespräch war es heute sehr gut gelaufen. Zwar ist es etwas vom Weg abgekommen, aber gut. Wir hatten immerhin ein erfolgreiches Gespräch geführt.

„Ist auch gut. Gut, dass du mir das sagst. Ach, und Levi, du musst ab jetzt nicht mehr zwingend ein Bild malen. Man sollte sein Hobby nur ausführen, wenn man es nach Leidenschaft macht und nicht, wenn jemand anderes das von einem will", sagte ich noch schnell. Kaum war ich aus dem Zimmer raus, schon saß er wieder auf der Fensterbank. Mir entfloh ein leichtes Schmunzeln. „Ich werde dir helfen, Levi. Versprochen", sagte ich noch gegen die geschlossene Tür und verschwand dann.

Trust Is Useless [Ereri/Riren]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt