Die Zeit läuft ab

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"Sie tun was?", rief Achamoth überrascht aus, und auch Babel und Bel konnten ihre gleichgültigen Mienen nicht mehr beibehalten. Sael und Pharaoth jedoch schienen das ganze äußert amüsant zu finden, denn sie grinsten beide schadenfroh, was ihnen vorwurfsvolle Blicke von Naas einbrachte, während Babel nur schweigend daneben stand. Karkamenos zuckte mit den Schultern, in seinem Blick lag Trauer. "Wir können uns nicht sicher sein das es sich wirklich um die beiden handelt.", warf er ein, was ihm ein abfälliges Schnauben von Pharaoth einbrachte. "Ich bitte dich, das trägt doch mehr als eindeutig  Lathens Handschrift. Wenn ein Eden wirklich Krieg anfangen würde, auf der Erde, gegen Einen der Seinen, Mephisto ausgeschlossen natürlich, dann ist es sie. Und sie lag schon immer mit Adonaios im Zwist, auch wenn er niemals so bösartig wie sie war, und es auch kaum werden wird, dafür ist er zu Moralbelastet. Doch in seinen Augen tut er das richtige, indem er gegen unsere Schwester kämpft.", widersprach er Karkamenos, der nur resigniert seufzte, denn er wusste, sein Bruder sprach die Wahrheit. Doch Achamoth schien es immer noch nicht wahr haben zu wollen. "Aber ein Krieg auf der Erde zwischen zwei Eden, das hätten wir doch bemerkt? Es ist unmöglich das sie so einen Krieg im Verborgenen führen.", meinte sie stur, doch zu aller Überraschung widersprach Kauithan ihr. "Nicht wenn sie den Krieg über die Menschen führen. Sie ziehen die Strippen im Hintergrund, diese armen Menschen wissen wahrscheinlich nicht einmal, dass ihre Entscheidungen gar nicht die ihren sind. Und in einen Krieg der Menschen haben sich die Engel noch nie eingemischt." Achamoth stieß zischend die Luft aus. "Wenn ich die beiden in die Hände bekomme können sie etwas erleben.", knurrte sie mit düsterem Blick. "Verschiebe das doch bis nach der Beendigung des Krieges. Und ich rede jetzt nicht von dem Krieg zwischen unseren Geschwistern sondern über den, der gerade dabei ist, Himmel, Hölle und Erde zu vernichten.", meinte Sael sarkastisch. Achamoth warf ihm zwar einen finsteren Blick zu, erwiderte jedoch nichts darauf, doch insgeheim musste Azrael Sael zustimmen. Er konnte spüren wie das Gleichgewicht aus den Fugen geriet, die Kälte in seinem Körper war nun beinahe nicht mehr zu ignorieren. Außerdem konnte er spüren, dass der Krieg zwischen Himmel und Hölle bereits seinen Tribut auf der Erde forderte. Naturkatastrophen die über das Land hereinbrachen, von gewaltigen Erdbeben, über Tsunamis bis hin zu Vulkanausbrüchen. "Dann sollten wir nun los, ehe es zu spät ist.", unterbrach Azrael eine Diskussion zwischen den Eden, die allesamt erstarrten und den Erzengel überrascht ansahen. Sie waren es wohl nicht gewohnt das ein herkömmlicher Engel es wagte, so mit einem Eden zu reden, geschweige denn mit neun davon, doch Azrael hatte im Moment keinen Kopf für Etikette. Er musste diesen Krieg aufhalten, ehe die Erde verloren wäre, und mit ihr Himmel und Hölle. Also erwiderte er den Blick der Eden standhaft. "Wo finden wir die beiden jetzt genau?"

Azrael betrachtete entsetzt das Schlachtfeld unter sich. Zahlreiche reglose Körper lagen auf der blutgetränkten Erde, doch das hielt die beiden Parteien nicht auf, sich weiterhin gegenseitig nieder zu metzeln. Obwohl es bloß ein unscheinbarer Bürgerkrieg war, der keinen sonderlich großen Einfluss auf das Weltgeschehen hatte, oder auf die kosmische Ordnung, nahm er so viele Leben. Wieder einmal zweifelte Azrael an der Zurechnungsfähigkeit der Menschen. So viele gute Eigenschaften die Menschen auch besitzen mögen, für die Azrael sie beneidete, so viele schlechte Eigenschaften besaßen sie auch. Denn Azrael würde kein anderes Lebewesen einfallen, das seine eigene Art so kaltblütig abschlachten würde, nicht einmal die Dämonen würden ihres Gleichen so behandeln. So oft hatte Azrael bereits versucht, einen Sinn dahinter zu entdecken, doch dieser blieb ihm verborgen. Schon so oft hatte Azrael versucht, die Seraphim dazu zu bringen, etwas gegen diese Kriege zu unternehmen, doch sie hatten seine Bitte jedes Mal aufs Neue abgelehnt. Nicht einmal Michael stand hierbei auf seiner Seite. "Der freie Wille ist ein essenzieller Bestandteil der Menschen, er bringt sie dazu, gute Dinge zu tun, doch auch Schlechte. Wir sind nicht befugt dazu, uns in ihre Entscheidungen einzumischen, die sie aus freien Stücken treffen." Wie oft hatte Azrael bereits diese Worte von ihm gehört, und er hatte es auch akzeptiert, doch froh war er darüber nie. Und nun wo er die wahre Ursache dieses Krieges kannte, zwei Eden im Streit, plagte ihn die Frage, wie oft Kriege die nach außen hin von den Menschen geführt wurden, eigentlich von höheren Mächten gesteuert wurden. Und ob diese Tatsache, die nicht einmal Azrael bisher aufgefallen war, möglicherweise an dem Ungleichgewicht der Seelen mit Schuldig war. Nun waren sie nahe genug, sodass Azrael die Schreie der Verwundeten deutlich hören konnte, auch jener, die normalerweise bereits an ihren Wunden hätten verenden müssen. Doch natürlich konnten sie das nicht, denn der Todesengel war nicht zu ihnen gekommen. Azrael schallte sich innerlich selbst. Er hatte sich so darauf konzentriert, die Eden zu finden, dass er seine Pflicht völlig vernachlässigt hatte. Die Schatullen befanden sich immer noch im Himmel und in der Hölle, und auch wenn die Zeit für himmlische sowie höllische Wesen anders verging, als für Menschen, sammelten sich nun bereits die Seelen die geholt werden mussten. Normalerweise wusste Azrael immer instinktiv, wo er gebraucht wurde, doch die Kälte in ihm schien diesen Instinkt wohl gestört zu haben. Achamoth musste mitbekommen haben, das etwas nicht stimmte, denn sie ließ sich zu Azrael zurück fallen. "Was ist los?", fragte sie leise, ein beinahe mütterlicher Ausdruck lag in ihrer Miene, und wieder einmal verstand Azrael, wie sie zu dem Beinamen große Mutter gelangt war. "Die Seelen, ich habe vollkommen auf sie vergessen.", gab Azrael zu, und Achamoths Blick wanderte kurz hinunter ehe sie langsam nickte. "Natürlich. Dann solltest du gehen.", flüsterte sie. Azrael warf ihr einen überraschten Blick zu. "Ich dachte ihr braucht einen Nicht-Eden um eure Geschwister zu überzeugen.", erinnerte er sie an ihr erstes Gespräch. Ein trauriger Ausdruck legte sich über die Miene der Eden. "Das wird nun nicht mehr nötig sein. Wie du bereits sagtest, die Auswirkungen dieses Krieges sind nun bereits allgegenwärtig auf der Erde, nicht einmal Lathen kann davor die Augen verschließen. Wir kümmern uns darum, das sich unsere Geschwister uns anschließen, du kümmerst dich um deine kosmische Aufgabe. Alles was dabei hilft, das Gleichgewicht der kosmischen Ordnung wieder etwas zu stabilisieren ist uns willkommen. Komme dann direkt zur Schlacht, wir werden so schnell es geht dort sein." Kurz zögerte Azrael, er war nun schon so weit gekommen, wollte er sich nun abwenden? Doch dann drangen erneut die Schreie der Sterbenden an sein Ohr. Er konnte sie nicht ignorieren, er hatte eine Pflicht zu erfüllen, und wenn dies dazu beitrug, dass die kosmische Ordnung auch nur ein wenig länger Bestand hätte, wenn er dadurch Achamoth und den Eden auch nur etwas mehr Zeit verschaffen könnte, wie konnte er sich dann nur dagegen sträuben. Also nickte er Achamoth ein letztes Mal zu und machte kehrt, um die Schatullen zu holen, und seine Pflicht zu erfüllen. Und ohne das er es wollte, ertappte sich Azrael dabei, wie er betete, dass die Eden es rechtzeitig zum Schlachtfeld schaffe würden, ehe es für sie alle zu spät war.

Heaven against HellWhere stories live. Discover now