4. Gandalf

2.4K 174 4
                                    

Kapitel 4 - Gandalf

Lillys Sicht

Eine Woche waren wir nun in Beutelsend. Bilbo schien uns ins Herz geschlossen zu haben, denn nach den ersten Startschwierigkeiten genoss er unsere Gesellschaft sichtlich. Zu den Mahlzeiten tischte er uns immer reichlich zu essen auf. Köstliches Essen, aber viel zu viel. Trotzdem, gegen eine hobbitsche Küche hätte ich auch daheim nichts einzuwenden, denn meine Kochkünste beschränkten sich auf gefrorenen Makkaroni mit Käse und Fertigpizza.
Bilbo hörte uns gerne zu, wenn wir aus unserer Welt erzählten. So wie es aussah, fand er uns genauso faszinierend wie wir ihn. Erstaunlich, erstaunlich, sagte er dann immer, wenn ihm etwas gefiel.
Mit meinen Fackelkünsten lief alles rund, auch wenn es noch andere Überraschungen mit sich brachte. Einmal als ich für Bilbo den Abwasch erledigt hatte, hatte ich es irgendwie geschafft meine Hand und das gesamte Spülwasser einzufrieren. Herausbekommen hatte ich sie nur, in dem ich das Wasser wieder geschmolzen und somit ausversehen hatte verdampfen lassen. Am Ende war es nicht gerade einfach zu erklären gewesen, warum im Spülbecken plötzlich kein Wasser mehr war und in der ganzen Küche ein Klima wie in den Tropen herrschte. Ich hatte irgendwas mit globaler Erwärmung gefaselt und war dann zum Bach verschwunden, um Nachschub zu holen, bevor ich noch mehr Fragen gestellt bekam, die ich nicht beantworten konnte.
Mia war überhaupt nicht begeistert gewesen, als ich ihr davon erzählt hatte. Sie hatte mich angesehen, als sei ich krank, es aber ansonsten, genauso wie Sarah, auf sich beruhen lassen. Trotzdem achtete ich darauf dieses Thema zu meiden, wenn sie in der Nähe war. Insgesamt versuchte ich Mia und Sarah aus dem Weg zu gehen, denn sie wollten immer und immer wieder durchdiskutieren, wie wir es wohl zurück nach Hause schaffen könnten. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wie wir das anstellen sollten und abgesehen davon, würde ich gerne noch etwas Zeit hier in Mittelerde verbringen. Aber diese Angelegenheit am laufenden Band immer wieder von vorne durchzukauen war nicht einfach nur nervend, sondern auch absolut unnötig. Denn wir hatten ja alle nicht den geringsten Plan, wie wir überhaupt hergekommen waren, ganz davon abgesehen, wussten wir auch nicht, wie wir uns verändert hatten und warum ich alles entweder gefrieren oder ankokeln konnte.
Dennoch konnte ich nicht anders, als von meinem neuen Talent fasziniert zu sein. Es machte so viel Spaß, dass ich mich immer öfter nach draußen in Bilbos Garten verdrückte, um zu üben. Jedoch hatte ich festgestellt, dass es ein Manko an diesen tollen Fähigkeiten gab. Es war stark kräftezehrend. Was am Anfang so einfach ging, war irgendwann ein purer Kraftakt und wenn ich müde war, konnte ich nicht einmal die spärlichste Flamme erzeugen. Trotzdem würde ich mich hüten mich zu beschweren.
Heute Vormittag hatte Bilbo Sarah und Mia mit auf den Markt genommen. Sam hingegen hatte höflichst abgelehnt – so ein faules Phlegma – und sich in der Hobbithöhle auf das große Sofa gefläzt, wo er nun friedlich vor sich hindöste. Typisch. Ich war wieder mal draußen im Garten, lag auf dem Rücken im dichten grünen Gras und ließ mir die laue Frühlingssonne ins Gesicht scheinen. Ab und zu versuchte ich die Blätter abzuschießen, die der Wind von dem großen Baum neben Bilbos Haus herunterwehte.
Mit einem leisen, zufriedenen Seufzen sah ich einem weiteren Blatt zu, wie es in der Luft anfing zu brennen, als es hinter mir zu klatschen begann.
Erschrocken fuhr ich herum und versuchte gleichzeitig hastig aufzustehen, wobei ich mir selbst auf den Fuß trat, was dazu führte, dass ich sogleich wieder elegant auf den Boden plumpste. Mit vor Scham geröteten Wangen rappelte ich mich nun wirklich auf die Beine und sah mich nach der Ursache meines 'Ausrutschers' um, sowohl mir gleich die Kinnlade herunterklappte. An Bilbos Gartenzaun stand kein anderer als Gandalf, welcher mich amüsiert beobachtete. Ich brachte ein nervöses Lachen zustande und hoffte, dass ich nicht einer leuchtend roten Verkehrsampel glich, während ich mir bemüht lässig Staub und Gras von der Kleidung klopfte. Da hatte ich mal wieder einen super ersten Eindruck hinterlassen, gut gemacht!
Ich musterte den grauen Zauberer und stellte fest, dass auch er, wie alles andere hier, seinem Ebenbild aus den Filmen aufs Haar glich. Von dem Spitzhut über das lange graue, leicht schmuddelig wirkende Gewand, bis zu den intelligent blitzenden blauen Augen. Mein erster Impuls wäre ja gewesen an seinem langen Bart zu ziehen, um zu prüfen ob er tatsächlich echt war, aber nach meiner schon dargebotenen Showeinlage, war das bestimmt nicht der beste Weg, um einen besseren Eindruck zu hinterlassen.
„Keine Angst", sagte Gandalf ruhig, der meine prekäre Situation wohl mit Furcht zu verwechseln schien und betrachtete mich noch immer interessiert. „Ich wollte Euch nicht erschrecken. Dürfte ich Euren Namen erfahren?"
„Ich bin Lilly", stellte ich mich betont höflich vor und überlegte ob ich zusätzlich noch knicksen sollte, doch das würde höchstwahrscheinlich in einem erneuten Missgeschick meinerseits enden, deswegen beschränkte ich mich darauf nur angemessen, ein kleines Stück den Kopf zu senken. „Und Ihr seid?"
„Gandalf. Gandalf der Graue", erläuterte mir jener Zauberer und lehnte sich etwas gegen seinen Stab. „Lilly", wiederholte er nach einiger Zeit stillen Musterns meinen Namen. „Ein schöner Name, dennoch ein ungewöhnlicher, sogleich ich ihn noch nie in ganz Mittelerde vernommen habe. Von welchem Spross der sieben Zwergenvölker seid Ihr ein Kind?"
Ich musste mir ein Grinsen verkneifen, als ich ihn so geschwollen daherreden hörte und beschloss dieselbe Masche aufzuziehen. „Leider, werter Herr, muss ich Euch enttäuschen, denn meine Wurzeln sind nicht in den Stammbäumen der Zwerge vorzufinden. Ich wandle nur in dieser Gestalt durch diese Welt, denn so wie ich hier einem Zwerg gleiche, gleicht mein Abbild in meiner Heimat dem eines Menschen" Leise kicherte ich in mich hinein. Es machte einen ungeheuren Spaß so zu reden.
Gandalf legte leicht seine Stirn in Falten. „Wie habt Ihr es vollbracht die Welten zu wechseln? Welche Macht habt Ihr berufen?"
„Ähm, die Macht der Ahnungslosigkeit?", stellte ich bereitwillig meine Theorie auf, doch der Blick des Zauberers wurde misstrauisch. Eigentlich hatten wir nur eine Toilette für Sarahs Blase gesucht, aber ich beschloss die Umstände etwas charmanter zu erläutern. „Durch unser Dorf, in einer anderen Zeit, in einer anderen Welt, schlenderten meine drei Gefährten und ich durch die Gassen, begnügten uns an den Ausladen der Geschäfte und waren beglückt durch warmen Sonnenschein. Doch so wie es die Fügung des Schicksals wollte, sind wir nur durch eine gewöhnliche Ladentür getreten und dann auf einmal hier erschienen"
Gandalf runzelte die Stirn. Er schien sich wohl zu überlegen, ob er mir glauben sollte oder nicht. „So, ein Mensch also, aus einer fremden Welt, das ist auch nichts zu gewöhnliches"
„Ihr glaubt mir also?", fragte ich erfreut und strahlte Gandalf an, der nun ebenfalls ein Lächeln aufsetzte.
„Ich finde keinen Grund es nicht zu tun, meine Teuerste. Für mich ist es natürlich ganz normal, täglich die Geschichten von fremden Personen anzuhören und sie dann anschließend zu glauben."
Mein Lächeln erlosch, während ich mir nun nicht mehr ganz sicher war, ob der graue Zauberer mich nun auf den Arm nahm. Ich verengte leicht die Augen, bevor ich mit leichtem Sarkasmus erwiderte: „Mein werter Herr, so passt auf. Nicht dass Euch gar noch Ammenmärchen auf die Nase gebunden werden."
Ein Lachen entflog Gandalf, der mich nun mit einem gewissen Schalk in den Augen betrachtete. „Es ist wirklich eine Freude sich mit Euch zu unterhalten. Doch sagt mir, was verwendet Ihr für eine Art Magie. Wie schafft ihr es Euch über das Feuer zu bemächtigen?"
„Es mag mich", lautete meine ach so schlaue Antwort. Wie sollte ich es ihm bitte auch anders erklären, wenn ich es nicht einmal selbst wusste. Gandalf zog eine Augenbraue nach oben und ich setzte ein breites Lächeln auf und hoffte, dass er sich damit zufriedengab.
„Ihr wollt es nicht preisgeben, das ist Euer gutes Recht, doch sagt mir diese eine Sache. Ihr könnt das Feuer kontrollieren, doch seid ihr auch dagegen Immun?"
„Immun? Ihr meint ob ich verbrennen würde, wenn ich in Kontakt mit Feuer kommen würde?" Ich musste einen Augenblick lang überlegen, denn ich hatte noch nicht daran gedacht mich einfach in das Kaminfeuer zu legen, um nachzusehen, was wohl so passieren würde. Aber ich vermutete mal stark, dass es nicht so unwahrscheinlich war. Immerhin war meine Haut so heil und unversehrt wie eh und je.
„Ich denke schon", sagte ich nach einem kurzen zögern. Gandalf schien dieses zögern bemerkt zu haben und ich begann wichtig mit dem Kopf zu nicken, um so zu tun, als hätte ich total Ahnung, von was ich da gerade sprach. „Aber seid doch so nett und erläutert mir die Umstände. Warum hegt Ihr ein solch Interesse an meiner Begabung? Mir bangt um mein eigen Wohl, denn manch Unhold könnt es schlecht mit mir meinen"
„Oh nein, ich will Euch nichts Böses", wehrte Gandalf sogleich ab. „Eigentlich bin ich hier erschienen, um Herrn Bilbo Beutlin zu sprechen. Ihr wisst nicht zufällig, wo er sich im diesem Moment befindet?"
„Oh doch, ich weiß es sogar ziemlich genau. Mit zwei meiner Gefährten brach er zum Markt auf. Vielleicht versucht Ihr Euer Glück noch einmal am späten Nachmittag."
Gandalf nickte dankend. „Ich werde Euren Rat annehmen. Es hat mich sehr gefreut", sagte er schmunzelnd.
„Die Freude liegt ganz meinerseits"
Gandalf tippte sich zum Abschied gegen seinen Hut, ehe er weiter die Straße entlang ging.
Angespannt und mit aufgestauten Gefühlen sah ich ihm hinterher, wartete bis er außer Sichtweite war, bevor ich auf der Stelle herumsprang und heftig mit den Armen wedelte. „Ich fass es nicht, ich fass es nicht, ich fass es nicht", aufgeregt hüpfte ich auf der Stelle herum. „Das war Gandalf. Der Gandalf!"
Mit einem Satz war ich an der Tür und stürmte zurück in die Höhle. „Sam, wach auf, wach auf.", aufgeregt rüttelte ich an seiner Schulter, bis er langsam die Augen aufschlug.
„Noch fünf Minuten.", murmelte er und drehte sich auf die andere Seite, doch ich ließ nicht locker und rüttelte nun halt an der anderen Schulter.
„Ja was ist denn", maulte er sauer und setzte sich mit einem tödlichen Blick aufrecht hin um sich die verstrubbelten Haare aus der Stirn zu streichen. „Hättest du mich nicht einfach schlafen lassen können?"
„Du hast genug gepennt. Wenn es nach dir ginge würde ein Tagesablauf nur aus Essen und Schlafen bestehen", quengelte ich zurück und verschränkte kühl die Arme.
„Ja und deiner daraus jedem anderen auf die Nerven zu gehen", zischte Sam böse und rieb sich mit seinen Händen das verschlafene Gesicht.
„Besser als immer nur rumzugammeln"
„Da bin ich mir nicht so sicher", murmelte er und rieb sich mit seinen Händen das verschlafene Gesicht. „Also was ist so wichtig, dass du mich um meinen Schlaf gebracht hast?"
Ich achtete nicht auf seine miese Laune und begann zu erzählen. Seine Augen wurden immer größer und größer, während ich ihm mein Gespräch von Gandalf berichtete.
„Denkst du er nimmt uns mit auf die Reise zum Erebor?", schloss ich meine Erzählung ab und schaute meinen Freund fragend an, der mir jetzt endlich etwas wacher erschien.
„Weiß ich nicht. Aber ich schätze, dass unsere Chancen dafür nicht allzu schlecht stehen. Es kann schon sein, dass du ihn mit deinen Kräften überzeugt hast", antwortete er und legte sich wieder zurück aufs Sofa. „Aber das bleibt abzuwarten"

Eine Reise Zum Erebor Where stories live. Discover now