38. Smaug

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Kapitel 38 - Smaug

Lillys Sicht

„Ok", murmelte ich betont ruhig. „Du hast Bilbo da jetzt ganz allein hinuntergeschickt? In einen Bunker voller Gold, wo womöglich ein großer, gefährlicher, furchteinflößender, feuerspukender Drache sein Unwesen treibt?"
Der Morgen war erst vor kurzem angebrochen und als ich erwacht war, war Bilbo verschwunden gewesen. Nun hatte ich gerade erfahren müssen, das Balin den Hobbit genau in diesem Moment nach unten führte, an den Ort wo der Schatz des gesamten Berges lagerte und mit ihm ein feuriges Monster.
Thorin sah mich unbeeindruckt an, doch sein Stirnrunzeln zeigte mir, das er verstanden hatte, dass ich es ernst meinte. „Ja", sagte er deswegen und ich merkte, dass er seine nächsten Worte mit Bedacht wählte. „So wie es am Anfang unserer Reise besprochen wurde"
Ich seufzte, ließ es aber bleiben ihm zu wiedersprechen, denn aus Erfahrung wusste ich, dass diskutieren nicht viel brachte.
„Dann gehe ich ihm hinter"
„Nein" Thorin hatte so bestimmt gesprochen, dass es nicht wie eine Antwort, sondern wie ein Befehl klang.
„Thorin", eindringlich musterte ich ihn. „Das war keine Frage"
„Du sorgst dich um den Hobbit", stellte Thorin fest.
„Was hat denn das jetzt damit zu tun?", hakte ich nach und verschränkte meine Arme. „Natürlich sorge ich mich um ihn, genauso wie du das tun solltest"
„Warum sollte ich mich um den Dieb sorgen. Es ist seine Aufgabe. Nur aus diesem Grund wurde er mit auf diese Reise genommen"
Ich verengte leicht die Augen. „Genauso wie ich", stellte ich klar. „Ich wurde auch nur mitgenommen, weil mir der Drache nichts anhaben kann"
Thorin schüttelte den Kopf. „Nein das stimmt nicht"
Verwirrt sah ich ihn an. „Hä? Natürlich, du weißt doch, dass mir sein Feuer nichts anhaben kann"
„Ja, du hast recht. Smaug kann dir mit seinem Feuer nichts anhaben. Er kann dich nicht verbrennen, aber er kann dich anders verletzen"
„Aber wir können doch Bilbo nicht einfach ins offene Feuer schicken. Das könnte er vielleicht nicht überleben", erklärte ich nun fast verzweifelt. Warum verstand Thorin dies nicht? „Wenn du mich nicht gehen lässt, dann schicke wenigstens einen anderen"
Thorin schüttelte erneut den Kopf. „Ich werde das Leben meiner Männer nicht auf's Spiel setzen"
„Bilbo ist auch einer deiner Männer", aufgebracht stampfte ich mit dem Fuß auf. War er nur so dickköpfig oder war ihm Bilbo einfach egal? Thorin erwiderte nichts, sondern starrte mich nur an. Ich schüttelte den Kopf und wollte an ihm vorbei gehen, zu Bilbo hinunter in die Tiefen des Berges. Doch bevor ich an dem Zwerg vorbeigekommen war, schoss seine Hand nach vorne und hielt mich sanft aber fest am Unterarm umklammert.
„Ich kann dich nicht gehen lassen. Dafür bist du mir zu wichtig", flüsterte er und schob sich nun vollends zwischen mich und den langen Gang, der zu Bilbo führte.
Ich sah auf seine Hand und dann wieder in sein. „Was wird das?", fragte ich skeptisch.
Thorin ließ meinen Arm nicht los, sondern schien ihn nur noch ein bisschen stärker zu greifen. „Versteh doch, da unten ist es zu gefährlich für dich"
„Zu gefährlich für mich, aber nicht für Bilbo?", wiederholte ich fragend und spürte, wie ich wütend wurde. Ich schnaubte und wollte meine Hand aus seinem Griff ziehen, doch er hielt mich eisern fest.
„Ich werde dir jetzt die Wahl lassen" erklärte er, ohne auf meine Frage einzugehen. „Entweder du gehst jetzt von allein zu den anderen zurück, oder ich schmeiße dich über meine Schulter" Seine Stimme klang auf einmal unnatürlich tief.
Stolz hob ich das Kinn. „Das ist Freiheitsberaubung", sagte ich ruhig. „Wenn du mich nicht selbst entscheiden lässt, was ich zu tun gedenke, dann ist das eine Freiheitsberaubung"'
Nun war es an Thorin verwirrt zu blicken. „Wa-"
„Und das bedeutet, dir ist meine Meinung egal", folgerte ich immer noch ruhig und sah ihn wütend an. „Und das wirft die Frage auf, ob du mich auch wirklich respektierst"
Mit diesen Worten zog ich meine Hand aus der seinen und drehte mich um, um zu den anderen zu laufen, doch weit kam ich nicht, denn zwei Hände umschlossen sanft meine Schultern.
„Natürlich respektiere ich deine Meinung, aber-", er brach ab.
Ich zog die Augenbrauen nach oben, während ich die Arme vor der Brust verschränkte. „Aber?"
Thorin seufzte. „Siehst du, genau deswegen wollte ich, dass du in der Seestadt bleibst" Seine Stimme wurde lauter.
Ich schnaubte. „Weil ich meinen eigenen Kopf benutze? Weil ich dir widerspreche?", fauchte ich und erhob nun ebenfalls meine Stimme. „Oder weil ich dir damit zur Last falle?"
„Nein", brüllte Thorin nun fast. „Weil ich mich nun um dich Sorge" er lehnte sich an die Wand, fuhr sich mit einer Hand durch das schwarze Haar. „Ich kann mich nicht gleichzeitig um dich sorgen und eine Mission erfüllen. Denn ich weiß was mich mehr in Anspruch nehmen würde", hauchte er nun. Etwas Warmes flutete mir durch die Brust, ein Gefühl, das meine Wut unterdrückte und mein Gemüt milderte. Thorin stieß sich von der Wand ab und trat direkt vor mich. „Und du weißt es auch", murmelte er, bevor er mir einen Kuss auf den Scheitel gab.
„Ich...", ich räusperte mich und nickte dann geschlagen. „Das verstehe ich ja. Doch du musst verstehen, dass Bilbo dort unten in Gefahr ist"
Thorin öffnete den Mund, doch er kam zu keiner Antwort. Der Boden bebte so heftig, dass ich die Kieselsteine über den Boden hüpfen sah, doch so schnell es gekommen war, so schnell hörte es auch wieder auf
„Was war das?", rief ich geschockt, als der Boden erneut bebte, viel heftiger als beim ersten Mal. Ich stützte mich an der Felswand ab und versuchte nicht das Gleichgewicht zu verlieren.
Hinter uns konnte ich die Zwerge brüllen hören. Thorin sah mich nur noch einmal kurz flüchtig an, ehe er sich zum Lager zurückkämpfte.
„Das war ein Drache" Ich fuhr herum und sah Balin hinter mir stehen. Der alte Zwerg hatte eine besorgte Miene aufgesetzt. „Er ist wach"
Erschrocken starrte ich in den dunklen Tunneleingang. Bilbo steckte noch immer da unten. Ob er noch lebte war mir schleierhaft, doch ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Ich sah zu Thorin, doch der war ganz damit beschäftigt den Zwergen die Fragen zu beantworten, die wild durcheinandergebrüllt wurden und mit der Auflösung des Lagers. Er würde es nicht mitbekommen und wenn doch, dann wäre es zu spät.
„Es tut mir leid", murmelte ich noch schnell, bevor ich mich an Balin vorbeidrückte und ohne nachzudenken in das Dunkle des Berges sprintete.
Ich rannte immer weiter den dunklen Gang entlang und immer weiter hinein in die Tiefe des Berges. Je weiter ich nach unten kam, desto kühler wurde es. Meine Nervosität stieg mit jedem Schritt, mit dem ich mich weiter in Richtung Drache bewegte. Ich war angespannt, machte mich bereit für die Begegnung, während ich darauf achtete auf leisen Sohlen zu laufen. Ich verlangsamte mein Tempo, als ich am Ende des finsteren Tunnels ein goldenes Leuchten wahrnahm. Leise schlich ich mich, dicht an die Wand gepresst, darauf zu. Ich hatte nur eine leise Vorahnung, welchem Ausmaß an unüberwindbarer Macht ich nun gleich gegenüberstehen würde. Nur noch ein paar Schritte trennten mich von dem Drachen.
Vorsichtig lugte ich in den Durchgang und mir stockte fast der Atem. Vor mir erstreckte sich eine riesige Halle, die ein Meer aus Gold beherbergte. Es waren keine Goldberge zu sehen, sondern eine regelrechte Flut. Der Boden war bedeckt von unzähligen glitzernden Münzen. Alles leuchtete in einem goldenen Schein, hier und da zwischen dem unendlichen Gold und Silber blitzten ein paar Edelsteine hervor, die sich in Farbe und Größe unterschieden.
Doch das Beeindruckteste war Smaug. Der Drache saß inmitten des Goldmeeres wie ein dunkler, unheilbarer, fleischgewordener Schatten. Er war so faszinierend anzusehen, dass ich ganz vergaß warum ich überhaupt hier war. Smaug war riesig. Ein beeindruckendes Spiel aus Sehnen und Muskeln durchlief den muskulösen Körper, bei jeder einzelnen Bewegung, die der Drache tat. Seine großen, orangen Augen leuchteten bösartig und mit seinen senkrechten Pupillen, taxierte er den Hobbit, der keine zehn Meter von ihm entfernt vor ihm stand.
Ich fasste einen dicken Pfeiler ins Auge, der etwas abseits, doch in unmittelbarer Nähe zu Bilbo empor ragte. Leise schlich ich über die Schätze die sich unter meinen Füßen anstauten. Der Drache war mit Bilbo beschäftigt, zumindest für den Moment, deswegen hoffte ich, dass er so das leise Klirren und Klingeln nicht hörte, das immer entstand, wenn ich einen nächsten Schritt tat. Ich hörte dumpf, wie sich Bilbo mit Smaug unterhielt, doch ich konnte nicht verstehen was sie besprachen, zu sehr konzentrierte ich mich auf meinen Weg.
Noch ein paar Schritte...ich hechtete den letzten Satz hinter den Pfeiler und atmete erst einmal tief durch. So weit so gut. Ich war noch nicht bemerkt worden. Vorsichtig sah ich hinter dem Pfeiler hervor und erschrak, als ich die große, mit dicken Krallen besetzte Pranke des Drachens genau neben mir hatte. Smaug war noch immer mit Bilbo beschäftigt und zum ersten Mal konnte ich hören, was er zu dem Hobbit sagte.
„Sag mir also, Dieb", zischte er gefährlich und verzog sein Maul, mit den endlos vielen, spitzen Zähnen zu einem gemeinen Lachen. Seine Krallen kratzten über den Boden, während er sich, trotz seiner Größe, fast anmutig, auf Bilbo zubewegte. „Was wünscht du dir für einen Tod?"
Ich konnte sehen, wie der Brustkorb des Drachen zu glühen begann. Auch Bilbo schien dies bemerkt zu haben, denn er begann durch das Gold hindurch wegzurennen. Doch er würde nicht schnell genug sein. Ohne nachzudenken sprintete ich aus meinem Versteck und hielt auf Bilbo zu. Mittlerweile glühte nicht nur der Brustkorb des Drachen, sondern auch Hals und Rachen. Ich sah wie Smaug sein Maul aufriss und das Feuer schon zwischen seinem Kiefer züngelte.
„Bilbo pass auf", brüllte ich. Bilbo zuckte überrascht zusammen und verlangsamte für einen Moment seine Schritte, sodass ich ihn nun endlich eingeholt hatte. Mit einem Satz sprang ich ihn an, sodass wir zu zweit in das Gold krachten...doch keinen Augenblick zu spät, denn das Feuer loderte über uns hinweg.
Schwer atmend rappelte ich mich auf, zog Bilbo hinter mir her.
„Geh", murmelte ich. „Hol Thorin"
„Aber-"
„Geh!", unterbrach ich ihn nachdrücklich und warf einen kurzen Blick auf Smaug, der mich erstaunt und neugierig zugleich anblickte. „Wir schaffen es beide hier niemals raus...Ich komm schon klar"
Bilbo nickte zögerlich. Ich sah, wie er mit einer schnellen Bewegung den Ring aus seiner Tasche zog und ihn sich an den Finger steckte. Augenblicklich war er verschwunden und ich konnte nur anhand des leisen Klirrens des Goldes sagen, dass er wirklich ging.
Ich wandte meinen Blick zurück zu Smaug. Der Drache musterte mich mit einer Mischung aus Überraschung und Neugierde.
„Und wer bist du?", zischte er leise, während er eine seiner Pranken neben mir abstellte.
Ich atmete tief durch und besah mir seine langen, scharfen Krallen.
„Ich?", ich hüstelte leicht...nervös, ängstlich, angespannt. „Ich heiße Lilly"
„Lilly?", wiederholte der Drache langsam, sein heißer Feueratem schlug mir entgegen. Ein süffisantes Grinsen verzog Smaugs Maul. „Ich weiß wer du bist...Oder was du bist", schnarrte er mit einer gefährlichen Belustigung, die seine Stimme nur so triefen ließ.
„Ach ja?", fragte ich knapp und zog eine Augenbraue nach oben.
„Ja...Du bist ein Zwerg...Hat Eichenschild auch dich voraus geschickt um die Drecksarbeit für ihn zu erledigen? Ein Mädchen?"
Ich fixierte Smaugs glühende Augen und schüttelte den Kopf „Ich bin von selbst gekommen"
„Dann bist du entweder besonders mutig oder besonders töricht"
„Ich schätze etwas von beidem"
Höhnisch starrte der Drache mich an. „Das Lügen solltest du besser üben"
„Ich verstehe ni-"
„Weißt du was ich schon dem Fassreiter gesagt habe?", unterbrach Smaug meine Worte und setzte einen seiner mit Klauen besetzten Pranken, neben mir auf. Ich hörte, wie seine Krallen über den harten Fels kratzten und unterdrückte ein Schaudern.
„Nein"
„Eichenschild wird sich nicht um dich sorgen, du bedeutest ihm nichts. Alles was für ihn einen Wert hat ist Gold, dieses Gold, mein Gold!"
Ruhig starrte ich den Drachen an. „Du lügst", kalt drang meine Stimme zu dem Reptil hinauf.

Das Ungetüm verengte seine Augen zu Schlitzen und legte den Kopf etwas schräg, bis er plötzlich anfing zu lachen. „Du empfindest etwas für ihn", höhnte er und ich spürte, wie sich meine Wangen etwas röteten. „Dann lass dir gesagt sein, dass Eichenschild kein Herz aus Fleisch und Blut hat...nur eines aus Gold"
„Rede nicht von ihm, als ob du ihn kennen würdest", fauchte ich nun deutlich aufgebracht.
„Aber ich kenne ihn, und du wirst noch früh genug feststellen, dass ich Recht habe"
Leise Zweifel schlichen sich in meine Gedanken. „Das glaube ich nicht", erklärte ich still mir selbst, doch Samug schien es gehört zu haben.
„Ich bin schon gewillt dich leben zu lassen, nur um zu sehen, wie du die Wahrheit erkennst", schnurrte Smaug mit einer beängstigenden Zärtlichkeit in der Stimme. „Aber ich habe keine Lust gnädig zu sein. Welchen Tod ziehst du vor?"
Seine spitzen Zähne, wohlgemerkt war jeder mindestens so groß wie ich selbst, ragten vor mir in die Höhe wie tödliche Klingen.
„Das Feuer", antwortete ich ruhig und ging ein paar Schritte rückwärts von ihm weg.
Smaug lachte höhnisch. „Aus Asche entstanden und zur Asche zurück. Wie passend"
Ich sah das orangene Glühen, das im Bauch des Drachens begann und sich in seinen langen Rachen hinaufarbeitete. Ich schloss die Augen und wappnete mich innerlich. Überlebenschancen? Darüber wollte ich gar nicht erst nachdenken, auch wenn ich bestimmt äußerst realistische Chancen hatte mit dem Leben davon zu kommen.
„Lilly"
Ich öffnete die Augen und sah Bilbo zusammen mit Thorin auf dem Durchgang stehen, der in das Goldmeer führte. Erleichtert sah ich sie an, doch bevor ich antworten konnte, ergriff mich eine gewaltige Druckwelle und schleuderte mich nach hinten. Die Flammen wirbelten um mich herum, während ich spürte wie mich der Druck an die Steinwand klatschte. Warmes Blut rann mir am Hinterkopf hinab. Instinktiv streckte ich die Hände aus, versuchte in das Meer von Flammen eine Schneise zu schlagen.
Tatsächlich, die Flammen taten mir nichts. Ich spürte nicht mehr als viele kleine Nadelstiche, die sich in meine Haut zu bohren schienen. Es war bei weitem nicht angenehm, doch immer noch besser als zu verbrennen...oder bei dieser Hitze zu pulverisieren. Viel mehr Sorgen bereitete mir aber der Druck, mit dem ich immer noch gegen die Mauer gepresst wurde. Die Hitze des Feuers schien sogar die Luft um mich herum zu verbrennen und machte das Atmen unmöglich.
Ich hörte laute Schreie, konnte dazwischen immer wieder meinen Namen heraushören, doch konnte ich weder antworten noch irgendwie den Drachen zurückschlagen. Erleichtert spürte ich nach einiger Zeit wie das Feuer nachließ und ich sank erschöpft am Boden zusammen, unfähig mich irgendwie zu bewegen und die anderen wissen zu lassen, dass ich noch am Leben war.
Zwanghaft hielt ich meine Augen offen, sah wie der mich erstaunt anblickte.
„Interessant", zischte er, während er sich näher zu mir heranbewegte und einen mit Krallen bestückten Fuß neben meinem Kopf aufsetzte. „Was bist du?"
Ich machte den Mund auf, doch brachte ich keinen Ton über meine Lippen. Alles bewegte sich vor meinen Augen und begann zu verschwimmen. Ich drehte den Kopf und sah alle Zwerge versammelt auf der Treppe stehen. Sie gestikulierten wild und schrien aus Leibeskräften. Das letzte was ich mitbekam bevor alles schwarz wurde war, dass Smaug von mir abließ und sich auf die anderen zubewegte.

(2 451 Wörter)



Eine Reise Zum Erebor Where stories live. Discover now