1. Eine Unerwartete Reise

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Kapitel 1 - Eine Unerwartete Reise

Lillys Sicht

„Warum tun mir nach dem Kino eigentlich immer die Beine weh?"
Sams Gejammer war gleichsam nervtötend wie ohrenbetäubend, während wir die breite Hauptstraße zum Bahnhof entlangliefen. Dabei übertönte er mühelos den Verkehrslärm und man hatte ihn sogar gehört, als ein LKW samt Anhänger an ihm vorbeigedonnert war.
„Ich hab dir gesagt steck den Fuß nicht in die Ritzen zwischen den Sitzen", knurrte Mia entnervt. „Ich wusste gleich, dass du da drin festhängen wirst...und ich hatte recht"
Ich verdrehte wortlos die Augen. Wir – damit meinte ich meine drei besten Freunde Mia, Sam und Sarah – waren im Kino gewesen. 'Der kleine Hobbit' war an sich schon eine pure Glanzleistung und kaum hatten wir das Kino verlassen, warteten wir schon sehnsüchtig auf die Fortsetzung. Der Film war einfach nur fantastisch gut gewesen, wirklich empfehlenswert. Was aber nicht empfehlenswert war, war das Gezanke meiner Freunde. Man konnte den Film nicht einmal in Ruhe nachwirken lassen, ohne dass sie sich in den Haaren lagen.
„Ich kann halt nichts dafür, dass ich so groß bin", fauchte Sam sie nun an. „Und du hast nicht gesagt, dass ich mir den Fuß einklemme, du hast gesagt, dass du hoffst das es so geschieht" Beleidigt verschränkte er die Arme vor der Brust.
Zur kurzen Erklärung. Der große, blonde, beleidigte Schwachkopf war Sam, das einzige männliche Exemplar in unserer kleinen Truppe. Ein Quatschkopf ohne Limit, aber zusätzlich auch jemand, der immer für eine gute Stimmung sorgen konnte.
„Ich hoffte er würde immer noch drinstecken, dann wärst du nämlich nicht hier"
Dieser bissige Kommentar kam von Mia. Sie war klein, wirklich sehr klein. So klein, dass man keinen Schemel bräuchte, um ihr auf den Kopf zu spucken. Sam hatte es mal versucht, doch durch ihre Größe war sie genau auf Augenhöhe mit den Teilen, in die kein Mann geboxt werden will. Ihr merkt schon, eine kleine Bissgurke auf zwei Beinen. Leider sieht sie zusätzlich noch so aus, als bräuchte sie für alles Hilfe. Schwerer Fehler, wenn ein armer Tropf zu diesem falschen Entschluss gekommen ist. Jedoch muss man ihr zugutehalten, dass sie sehr vernünftig und ein kleines Organisationsgenie ist. Ohne sie könnte ich nicht garantieren, dass unsere WG noch alle vier Wände hätte.
Sam antwortete auf diesen Kommentar von Mia nicht mehr. Stattdessen hob er seine Cola zum Mund, die er aus dem Kino hatte mitgehen lassen und begann zu schlürfen. Kennt ihr diese Leute, die immer laut sind, obwohl sie nicht einmal den Mund aufmachen?
„Das ist widerlich", kam es aber prompt von Mia.
„Ach!?", fragte Sam spöttisch und begann noch lauter zu schlürfen, während er Mia herausfordernd anstarrte und nun hatten die beiden ein neues Thema worüber sie sich Kabbeln konnten.
Genervt verbiss ich mir einen spitzen Kommentar und warf einen Blick auf Sarah. Die zierliche Brünette lief jedoch völlig entspannt neben den beiden Zankenden her und schien nicht im Geringsten aus der Ruhe gerissen worden zu sein. Zwischendurch warf sie den Streitenden einen teils belustigten und teils besorgten Blick zu. Typisch Sarah. Sie war die dritte im Bunde und die Ruhe in Person. Dabei hatte sie das freundlichste Gemüt, das ich jemals bei einem Menschen hatte beobachten können. Sie würde selbst dem schlimmsten Menschen eine zweite Chance geben.
Und ich? Ich war ein Tollpatsch der allerersten Klasse mit dem begnadeten Talent im falschen Zeitpunkt den Mund auf zu machen. Denn genau das auszusprechen, das man im Kopf hat, ohne auch nur irgendeine beschönigende Floskel hinzuzufügen oder ein Blatt vor den Mund zu nehmen, kommt nicht immer ganz so gut an. Ich hatte einfach noch nicht gelernt, dass es in manchen Situationen schlauer war, einfach den Mund zu halten. Ehrlich gesagt mochte ich beides nicht so wirklich an mir, doch wie es so schön heißt, sich zu ändern ist schwer, zu leugnen ist leichter. Und offensichtlich war ich mehr der Typ fürs Leugnen.
„Weißt du warum du so unglaublich gut darin bist anderen auf den Zeiger zu gehen?" Mias genervte Stimme war kaum zu überhören. „Du ernährst dich ja nur von Koffein", sie deutete auf den Becher, an dem Sam immer noch voller Inbrunst schlürfte. „Und hör endlich auf dieses eklige Geräusch zu machen"
„Die werden es wohl nie lernen", seufzte ich schließlich und warf einen forschenden Blick auf die Uhr. Wenn wir unseren Zug noch erwischen wollten, dann mussten wir jetzt einen Zahn zulegen, oder wir konnten im Dunkeln die acht Kilometer nach Hause laufen.
„Ok!", sagte ich deswegen scharf und drehte mich auf dem Absatz zu den beiden um. „Wenn wir wegen euch den letzten Zug verpassen, dann bezahlt auch ihr das Taxi" Ich schnappte mir Sams Cola und versenkte sie im nebenstehenden Mülleimer.
„Da war Pfand drauf", murmelte Sam kleinlaut und machte eine schwache Geste in Richtung des Mülleimers.
Ich seufzte. „Von mir aus bekommst du die 25 Cent auch von mir"
„Werden die etwa von meinem Taxi-Geld abgezogen, oder was?", fragte Sam mit einem Grinsen.
Wütend blitzte ich ihn an und machte gerade den Mund auf um ihn zurechtzustutzen, als Sarah am Ärmel meines Oberteils zog.
„Ich müsste aufs Klo", sagte sie leise.
Ich seufzte erneut, sah mich um, dann auf die Uhr und gab mich geschlagen.
„Und wo zur Hölle finden wir um diese Uhrzeit jetzt eine Toilette?", fragte Mia und sah sich suchend in der Gasse um, in die wir abgebogen waren, nachdem wir die Hauptstraße verlassen hatten. „Warum bist du denn nicht vorher im Kino gegangen?"
Sarah zuckte die Schultern und nun seufzte auch Mia. „Na gut. Am Bahnhof gibts ne' Kneipe, da kannst du gehen"
„So lange halt ich es aber nicht mehr aus"
Sam gab ein Husten von sich, das eindeutig nach „Mädchenblase" klang. Ich ging nicht darauf ein und ließ meinen Blick über die Läden gleiten. Es war dunkel geworden und nur die Schaufenster waren erleuchtet, jedoch war jedes einzelne Geschäft geschlossen. Und wenn wir zurück in die Innenstadt wollten, dann dauerte dies auch seine Zeit.
„Ich schätze dir bleibt wohl nichts anderes übrig als die Beine zusammen zu kneifen", stellte ich schlicht fest.
Und genau, als ich diese Worte ausgesprochen hatte flackerte auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein Schild auf. Die Neonbuchstaben bildeten das Wort 'geöffnet'.
„Das war jetzt ja überhaupt nicht gruselig", murmelte Mia und starrte auf das Schild, fast so als hätte sie einen Geist gesehen. Ich nickte und auch Sarah sah skeptisch zu dem Laden hinüber, doch Sam lief schnurstracks darauf zu.
„Kommt ihr jetzt?", rief er uns über die Schulter zu. „Schließlich wollen wir noch einen Zug erwischen"
„Er weiß aber, dass der Zug fast schon weg ist?", fragte ich Mia mit einem erneuten Blick auf meine Uhr, während ich zögernden Schrittes Sam folgte. Mia zuckte nur hilflos mit den Achseln.

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