37. Erebor

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Kapitel 37 - Erebor

Lillys Sicht

Wir kletterten schon seit einer Ewigkeit diesen verdammten Berg nach oben. Es war bereits später Nachmittag und ging bereits schon langsam auf den Abend zu und wenn wir die geheime Türe noch vor Einbruch der Dunkelheit finden wollten mussten wir uns beeilen. Meine ganzen Glieder schmerzten von der Kletterei und doch war ich eine von den schnellsten, da die Zwerge es noch umständlicher mit ihren Waffen und Rüstungen hatten als ich.
Ächzend und nach Luft ringend zog ich mich auf die nächste etwas ebenere Fläche, bevor ich mich rücklings auf den Boden fallen ließ und tief durchatmete. Die anderen waren noch ein kleines Stückchen hinter mir und das würde ich nutzen um ein bisschen auszuruhen. Die Aussicht war von hier oben wirklich Atemberaubend. Die Landschaft war hier nicht sonderlich schön, doch hatte man eine überwältigende Aussicht. Man sah einfach alles. Das kleine Dorf auf dem See, der Fluss der zu den Waldelben in den Düsterwald führte, den Düsterwald selbst und ich konnte sogar ganz blass in weiter Ferne die schemenhaften Umrisse des Nebelgebirges erkennen.
Ein lautes Schnaufen ließ mich aufblicken. Bilbo zog sich, wie ich noch vor ein paar Minuten, den steilen Steinhang empor und ließ sich dann, ebenfalls so wie ich, rücklings auf die Steine fallen.
„Anstrengend nicht wahr?", meinte ich und sah amüsiert zu, wie Bilbo bloß nickte. Für alle war dieser Aufstieg anstrengend und jeder Kämpfte mit seinen Kräften. Doch Thorin sah das nicht so.
„Los steht auf, wir gehen weiter", teilte er Bilbo und mir mit, als er bei uns angekommen war.
„Kennst du solche Worte wie 'Pause' oder 'ausruhen' überhaupt?", fragte ich und sah lustlos am Berg nach oben. Die Strecke war noch so unendlich weit.
„Nein", erklärte er und reichte mir seine Hand, um mir beim Aufstehen zu helfen. „Zumindest heute nicht"
„Oder auch sonst nie"
Thorin zog die Augenbrauen nach oben und sah mich streng an. „Soll ich dich wirklich persönlich weiterscheuchen?"
Ich grinste ihn an und zuckte mit den Schultern. „Ok"
Thorin schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf. Seufzend folgte ich ihm nach.
„War es hier immer schon so wüst und kahl?", fragte ich nach einiger Zeit und besah mir zum hundertsten Mal den kahlen Boden zu meinen Füßen. Was hätte ich auch sonst betrachten sollen? Es gab auf diesem gottverdammten Berg ja keinen einzigen Baum oder Strauch. Nicht einmal Gras.
„Nein", erwiderte Thorin und sein Blick wurde nachdenklich. „Einst war der Boden mit dichten, grünen Gras bedeckt. Tannen und Fichten wuchsen auf den Hängen und überall zwitscherten die Vögel im Geäst"
„Hört sich sehr schön an", sagte ich und versuchte mir dieses Bild in die Karge Landschaft zu denken. Ob es jemals wieder so wurde? Doch hatte ich da wenig Hoffnung. Schon seit siebzig Jahren war hier nichts gewachsen, dann würde sich das so schnell nicht ändern...wenn es sich jemals ändern würde.
Thorin nickte. „Ja, das war es wirklich", murmelte er und stapfte nun um einiges enthusiastischer den Berg hinauf.
„Woher nimmt der nur diese ganze Kraft", keuchte ich in mich hinein, als Thorin nun auch noch zu rennen begann. Etwas verdutzt folgte ich ihm, als ich sah, dass er am Rand einer Anhöhe stehen blieb. Ich trat neben Thorin an den Rand der Klippe und sah Tahl. Die Stadt war nur noch eine Ruine, aber sogar aus dieser Entfernung sah ich Merkmale ihrer einstigen Schönheit. Es war das erste Mal, dass ich sehen konnte, was der Drache hier angerichtet hatte. Irgendwie hatte ich das geflügelte, feuerspuckende Ungeheuer immer unter dem Punkt „Irrelevant" abgestempelt. Über die ganze Reise hinweg, war der Drache nie im Gespräch gewesen und irgendwie hatte ich es geschafft ihn zu vergessen. Doch jetzt, da ich sehen konnte, was er hier angerichtet hatte, wurde mir erst das Ausmaß seiner Kraft bewusst. Ein beklemmendes Gefühl stieg in meiner Bauchgegend auf. Ich hatte jetzt eine ungefähre Ahnung mit was für einer Macht wir uns anlegen würden und ich kam nicht umhin, dass mir die Zweifel durch die Gedanken schwirrten. Vielleicht war es doch eine Nummer zu groß für mich.
Thorin schien mir meine Unsicherheit anzumerken. „Alles in Ordnung?", fragte er leise und musterte mich sanft.
Ich schluckte und nickte, versuchte selbstsicher zu wirken. „Ich weiß einfach nicht was ich davon halten soll", murmelte ich dann schließlich etwas kleinlaut und deutete auf die Ruine hinunter, die sich perfekt in die kahle, karge Landschaft fügte.
„Du fürchtest dich vor dem Drachen", stellte Thorin fest und ich spürte wie mir die Hitze in die Wangen kroch, während ich beschämt mit dem Kopf nickte.
„Woher weißt du das?"
„Weil es mir genauso geht", gestand er leise und ich hob überrascht den Kopf. Was sagte er da? Ich sah ihm ins Gesicht und versuchte etwas aus seiner Miene zu entziffern. Sie wirkte starr, doch wenn man wusste wo man suchen musste, war es wie ein offenes Buch.
„Es ist nicht direkt die Furcht vor dem Drachen, sondern...", fing er an, doch brach gleich darauf wieder ab.
„Sondern die Angst davor zu versagen", vollendete ich seinen Satz. Nun war es an Thorin mich überrascht zu mustern.
„Und woher weißt du das jetzt?"
„Weil es mir genauso geht", wiederholte ich seine Worte. „Wir werden das schon auf die Reihe bekommen", sagte ich fest und versuchte nicht nur Thorin sondern auch mich davon zu überzeugen.
„Das glaube ich auch", sagte Thorin schmunzelnd und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel, bevor wir uns weiter an den Aufstieg machten.
Tatsächlich wurde es mittlerweile leichter, denn der Berg schien hier etwas flacher zu sein. Zwar wusste ich, dass das ganz steile Stück noch vor uns lag, freute mich aber für den Moment über die sanfte Steigerung, die uns begleitete.
„Sollten wir uns nicht hier irgendwann mit Gandalf treffen?", fragte ich nach und sah mich suchend um, als würde der Zauberer gleich hinter einem Stein hervorgesprungen kommen.
„Der Zauberer ist nicht da und wir können nicht warten", erklärte Thorin dumpf, der sich nun hinter einer großen Karte versteckt hatte.
„Aber er hat sich klar ausgedrückt", mischte sich nun auch Bilbo ein. „Meinst du nicht dass es besser wäre, wenn-"
„Nein", unterbrach Thorin den Hobbit und rollte nun endlich die Karte zusammen. „Wenn wir mehr Zeit hätten würde ich dir zustimmen, aber es ist bald soweit und wenn wir den letzten Strahl verpassen, werden wir es nicht in den Berg schaffen. Außerdem", er drehte sich zum Berg um und breitete die Arme aus, „sind wir da"
„Hier?", hakte ich perplex nach.
„Hier müsste irgendwo die versteckte Türe sein", erklärte Thorin. „Sucht, wir haben nicht mehr viel Zeit"
Die Zwerge verteilten sich über die Anhöhe. Ich selbst ging mit Bilbo auf die Suche und da wir beide nicht genau wussten, wonach wir eigentlich suchen sollten, liefen wir etwas verdreht umher.
„Hier würde ich ehrlich gesagt nicht leben wollen", meinte Bilbo sah sich suchend um.
„Warum denn nicht?", fragte ich, obwohl ich mich hier auch nicht ganz wohl fühlte. Der Ort war mir zu kahl.
Bilbo zuckte die Schultern. „Ich bin glücklich da wo ich wohne und dieser Stein ist mir zu kalt und unbequem"
Ich nickte verstehend. Er liebte seine Heimat und fühlte sich dort wohl. „Freust du dich schon darauf, wieder zu Hause, vor deinem Kamin zu sitzen?"
Bilbo nickte und es war eine gewisse Art von Heimweh, die in seinen Augen aufleuchtete. „Ja, das ist be-"
Bilbo stockte und riss die Augen auf. Verwirrt sah ich ihn an.
„Was ist denn?", hakte ich nach, doch Bilbo deutete aufgeregt auf den Berg.
„Siehst du es nicht?", fragte er und fuchtelte mit seiner Hand vor meinen Augen herum. „Da, gerade aus"
„Nein, ich sehe nur Steine, Geröll, Fels und noch mehr Steine"
„Nein da", sagte Bilbo nun etwas energischer. Er drückte mir die Hand an die Backe und drehte meinen Kopf bestimmt so hin, dass ich seiner Meinung nach sehen musste, was auch immer da war. Und tatsächlich.
„Ist das eine Statue", fragte ich und starrte baff den riesigen Zwerg an, der in den Stein des Berges gemeißelt war. Und wirklich...mit riesig meine ich auch riesig. Ich musste den Kopf in den Nacken legen und konnte noch immer nicht bis ganz nach oben sehen, es stand - meiner leicht übertriebenen Meinung nach- in Konkurrenz mit einem Wolkenkratzer. Staunend betrachtete ich das Kunstwerk, ein gigantischer Zwerg, der eine Axt in Händen hielt. Ich verengte die Augen ein bisschen um besser sehen zu können.
„Sind das Treppenstufen?", fragte ich nun Bilbo. „Da in seiner Axt"
Bilbo nickte und lächelte. „Wir haben es gefunden"
„Du hast es gefunden", verbesserte ich ihn grinsend ehe ich die Stimme erhob. „Thorin", brüllte ich quer über den Berg und hob aufgeregt winkend die Hand. „Hier ist es. Wir haben es"
Keinen Augenblick später stand Thorin schon neben mir und legte ebenfalls den Kopf in den Nacken. „Für wahr", murmelte er. „Wir haben das Ziel erreicht"
Ich musste mir ein Auflachen unterdrücken. Das klang wie eine Navi-Ansage im Auto.
„Du hast scharfe Augen", murmelte Thorin und sah mich liebevoll an. Ichgrinste und hob abwehrend die Hände.
„Nicht doch. Das war Bilbos Verdienst"
Thorin sah zu dem Hobbit, der leicht verlegen mit den Schultern zuckte. „Dann gebührt Euch diese Ehre, Herr Beutlin"

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