Me And Your Ghost (Fortsetzung zu 'Dancing in the moonlight')

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Das altbekannte knackende Geräusch des Rindenmulchs zu meinen Füßen kam mir so vertraut vor, als ich an jenem Abend wieder einmal die steilen Pfade des Waldes hinaufstieg. Ich wusste, ich näherte mich dem anderen Ende und ging zielstrebig auf den, von mir eingegangenen Trampelpfad zu. 

Heute war es mir wieder einmal zu viel gewesen. Minho, Gally, Vince und einige andere Bewohner des sicheren Hafens, hatten die Vergangenheit zum Thema gemacht und darüber gesprochen, als sei es Jahre her. Damit möchte ich keines Falls sagen, sie hätten unsere Erlebnisse herunter gespielt, allerdings fand ich es erstaunlich, zu sehen, dass sie alle damit abgeschlossen hatten. Ganz anders als ich. 
Und jetzt grübelte ich seit Stunden, über die letzten Monate und wie viel geschehen war.

Seit unserem Sieg über Wicked waren Monate vergangen. Wir hatten uns ein Leben aufgebaut, ich wohnte mit Minho in einer der vielen Hütten nahe der Feuerstelle, gleich gegenüber des Gedenkfels', half so gut ich konnte, aß und sprach viel mit meinen Freunden und beobachtete das Geschehen in unserer kleinen Welt. Doch ich hatte keinen Platz in 'unserer kleinen Welt'. Während Brenda Kinder unterrichtete, im Nähen, ihrer Verteidigung, lesen, schreiben, rechnen, allen möglichen Dingen, die sie brauchen könnten, Gally weiterhin handwerklich unterwegs war, Minho und Vince diesen ganzen Landen überhaupt erst am laufen halten bin ich- Ja was? Eine Frage, die mich schon eine ganze Zeit lang beschäftigt. 

Ich bahnte mir einen Weg durch das Dickicht und betrat die Wiese. Die Nadelbäume hinter mir umschlossen sich erneut, als ich hindurch getreten war, genauso, wie sie es zuvor immer getan hatten. Eine dichte Blätterdecke ragte über mir, vor mir erstrahlte sich ein grünes Meer aus knöchelhohem Gras, beleuchtet von den letzten Sonnenstrahlen, die hinter den Felsen, auf der anderen Seite, langsam verschwanden. 

Meine Augen füllten sich mit Tränen, meine Knie wurden weich und mein Atem verlangsamte sich. All meine angestauten Gefühle brachen über mich herein. Ich stand still an der Stelle, geschüttelt von Schluchzern, die mich im Sekundentakt überfielen, überwältigt von dem Anblick, der sich mir bat. Und obwohl ich schon oft hier gewesen war, obwohl es nichts neues war, diese Lichtung, in diesen Farben strahlend, zu sehen, so fühlte es sich heute doch ganz anders an. Ich fühlte mich zu Hause
Ungefähr ein drittel der Lichtung entfernt, sah ich einen umgeknickten Baum bis auf den Boden ragen. Er musste von einem Sturm umgeweht worden sein und schon lange, so, dort liegen, denn er sah morsch und zerbrechlich aus. Ich ging auf ihn zu, durchquerte das hohe Gras, das meine Beine kitzelte und ignorierte die Tierchen, die über meine Füße kraxelten. 
Als der Baumstamm in meine Reichweite kam, streckte ich meine Hand danach aus. Ich ließ meine Fingerspitzen darüber fahren und erfühlte die Muster, die sich in das Holz geformt hatten. Ich starrte die Kieferrinde, wie mir klar geworden war, an und fokussierte mich auf die Verläufe der Rillen, die Formung des Stamms und die abblätternden Schichten des Holzes, die mir wie Hautschichten vorkamen.
Im Gehen, glitt meine Hand das Holz entlang. Die raue Oberfläche hinterließ einen sanften Schmerz auf meinen Fingerkuppen und als ich die Finger wieder wegnahm, blieben kleine Rillen, Abdrücke, der Kerben, des Holzes, zurück. 

Meine Wangen waren klatschnass und ich schniefte. Meine Augen schmerzten, als hätte ich sie ewig nicht mehr geschlossen. Ich machte zwei schleifende, schwere Schritt, dann sank ich zu Boden. Ich saß auf meinen Knien, meine Hände lagen taub in meinem Schoß und mein Kopf hing hinab und fühlte sich schwer, wie Blei, an. Ich wagte es nicht erneut aufzusehen, konnte die Kraft dafür auch gar nicht aufbringen, stattdessen schüttelten mich Schluchzer und meine Augenlider verklebten, durch das geschlossen halten. 
Ich krallte meine Finger in die Gräser, sodass meine Knöchel schmerzten und ich zwei Büschel ausriss. Dann lockerte ich meinen Griff und merkte, wie meine Hände zitterten. Ich hatte das Gefühl, meine Hände seien taub, als ich die rechte auf den Baumstamm legte und mich am Ende eines abgebrochenen Asts festhielt und so zog, das ich mit dem Rücken ans Holz gelehnt da saß. Ich ließ meine Beine ausgestreckt und vergrub das Gesicht in meinen Händen. Laut schluchzend weinte ich, warf den Kopf in den Nacken und raufte mir die Haare. 

Und plötzlich hatte ich ein Déyà vu. Ich sah mich selbst, ähnlich wie gerade, an einen Baumstamm gelehnt, im Gras, einer Lichtung, sitzen. Die Beine ausgestreckt, den Kopf dem Himmel entgegen gerichtet. Damals war ich allerdings nicht alleine gewesen. 
Newt zog mich an meinen Händen in die Höhe. Schwungvoll war er aufgestanden und stand nun so dicht neben mir, dass ich seinen Atem gegen meine Lippen spüren konnte. "Schluss mit Trübsal blasen", sagte er grinsend und warf die Arme in die Luft. Newt fing an herum zu springen und sich zu drehen. Er hatte die Arme zu den Seiten ausgestreckt und die Finger gespreizt. Mit dem Blick zum Himmel gewandt begann er sich zu drehen immer schneller und schneller. Plötzlich stolperte über seine eigenen Füße und fiel zu Boden. Ich erschrak. Sofort stürzte ich auf ihn zu und rief besorgt: "Ist alles okay?" Doch als ich neben ihm stand und ihn im hohen Gras liegen sah, merkte ich erst, wie er herzhaft lachte. 

Ich spürte seine Hand erneut in meiner. Sie fühlte sich genauso an wie damals, sanft und vorsichtig, aber seine Fingerspitzen waren rau, vom Arbeiten auf den Feldern. Seine Finger schlangen sich um meine Handkante und er zog mich auf die Beine. Ich sah Newts strahlende, tief braune Augen, seine blasse Haut und allen voran, sein gesundes selbst, wie ich ihn auf der Lichtung kennenlernen konnte. 
Ohne weitere Fragen zu stellen folgte ich seinen Wünschen. Wenige Sekunden darauf lagen meine Hände auf seinen Hüften und die seinen um meinen Hals. Sein Kopf lehnte auf meiner Brust und meiner schlummerte auf seinen Haaren. Fest umschlungen tanzten wir, von einem Fuß auf den anderen, im Kreis, taumelten durch das hohe Gras und bewegten uns im Einklang. Ich sog den Duft seiner Haare auf und umspielte seine Finger mit meinen, nachdem ich unsere Hände mit einander verschränkt hatte. Ich glaubte mein Glück nicht, ihn bei mir haben zu können und kostete jede Sekunde aus. Mein Kopf lehnte gegen seinen und ich spürte seine weiche Wange an meinem Kinn. 

Mit jedem Schritt, den wir taten, wanderten unsere Köpfe immer zentraler auf einander zu, bis ich ihm genau in die Augen sehen konnte. Das Glitzern, dass sich immer dann abgezeichnet hatte, wenn er stolz oder überglücklich gewesen war, schimmerte auch in diesem Moment in seinen Augen. Sie waren klar und dunkel und im nun verschwundenem Sonnenlicht, fast schwarz. 

Ich lehnte mich vor und ließ unsere Stirnen auf einander treffen. "Ich liebe dich.", hauchte ich beinahe stimmlos. Mich überkam das verlangen, nach mehr, als dieser Nähe. Und als müsste ich mir selbst beweisen, dass er tatsächlich hier war, überkam mich das Verlangen, Newt zu küssen. Also senkte ich meinen Kopf ein Wenig, schloss meine Augen, wie ich es immer tat, und legte meine Lippen auf seine. Ich umfasste sein Gesicht mit beiden Händen und wartete auf seine Reaktion. Doch nichts passierte. 
Ich fuhr zurück, stolperte einen Schritt rückwärts und musste blinzeln. 
Newt war nicht mehr da. 

Mit seinem Verschwinden, war plötzlich auch die Wärme aus meinem Körper gewichen. Das romantische Abendlicht war ebenfalls vergangen und alles was blieb, war ich, allein. Erneut, verlassen. 

Ich stürzte zurück in den Wald und schwor mir, nie wieder einen Fuß, auf diesen wunderschönen Ort zu setzen. 

Newtmas - OneshotsWhere stories live. Discover now