I Can't Tell You

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Die Sonne ging am Westende der Insel gerade unter und verschwand bereits hinter den Wipfeln der Bäume im Wald. Minho stand im Eingang seiner Hütte und sah gequält in die Richtung eines Felsvorsprungs, der noch von den letzten Sonnenstrahlen beleuchtet wurde. 

Dort war eine Person, ein schmächtiger Junge, schmal und schlaksig, in einem blauen T-Shirt und grauen Jeans. Er kam den Berg hinauf gestiegen und blieb oben stehen.

Minho seufzte. Ermüdet und verzweifelt schüttelte er den Kopf und neigte ihn zu Boden. Es war der vierzehnte Tag in Folge, dass Thomas sich davon schlich, so schlimm war es seit Monaten nicht mehr gewesen. Seit sie im sicheren Hafen angekommen waren, war es nicht mehr so schlimm gewesen und Minho machte sich Sorgen um seinen Freund. 
Ihm war klar, dass Thomas wohl mitunter am meisten mit den Folgen des großen Aufstands zu kämpfen hatte, doch so langsam wusste Minho nicht mehr, wie es weiter gehen sollte. 

Er ballte eine Faust und schlug leicht, aber voller Verzweiflung gegen den Pfahl der Türe. In diesem Moment sprang Minho über die Schlucht, vor der er seit Monaten Angst hatte und ging los, um Thomas Gesellschaft zu leisten.


Oben am Hügel war die Luft noch warm und es war heller, doch keines falls fröhlicher. Als Minho Thomas am Rand des Abgrunds sitzen sah, hatte er ein kurzes, schmerzhaftes Deja vu. Er stellte sich vor, wie Newt vor einigen Jahren im Labyrinth, am Boden gelegen hatte und es keinen Zweifel an dessen gab, was passiert sein musste. Nicht, wollte Minho schon rufen, doch kein Ton verließ seine Kehle. 
Fast wie ferngesteuert ging er auf Thomas zu und berührte ihn vorsichtig auf der Schulter. Ein sanftes Lächeln zierte sein Gesicht, doch die trüben Augen und hängenden Schultern verrieten, dass er keiner guter Dinge war. "Ich hab nie gefragt, wie du dich fühlst", stellte Minho mit leiser Stimme fest und setzte sich neben Thomas. Er ließ die Beine über dem Abgrund baumeln und hatte plötzlich das überforderte Gefühl, sich fallen zu lassen. Erschrocken zog er die Füße wieder auf den Boden und hielt sich in der Wiese fest. 

Thomas' Blick war in die Tiefe gerichtet. Er sah traurig aus, tief, tief traurig und so voller Wahnsinn. Als wäre ihm alles egal, solange es nicht das hier war. Seine Schultern hingen schlaff, sein Gesicht wirkte fahl und dunkel, seine allgemeine Haltung sah elend aus und wenn Minho ehrlich sein wollte, hatte Thomas noch nie schlechter ausgesehen.
Er wirkte verschlungen von Gedanken und verbittert darüber.

Die Minuten verstrichen und Thomas weigerte sich, Minho zu antworten. Ihm standen Tränen in den Augen und er fühlte sich versteift. Er spürte wie seine Unterlippe zitterte, doch jetzt durfte er nicht losheulen. Thomas hatte sich selbst versprochen nicht mehr vor seinen Freunden zu weinen. Er wollte dem anstehenden Gespräch entgehen so lange er konnte. Er hatte nicht die Kraft die Wahrheit zu sagen. Doch als Minho sich neben ihn setzte und er den Kopf hob und sich ihre Blicke kreuzten wurde Thomas klar, dass er endlich darüber reden musste. 
"Hast du je das Gefühl, versagt zu haben?"

Minho erstarrte. Thomas traf ihn direkt dorthin, wo es ihm weh tat. Tag für Tag, fragte er sich, was er hätte tun können, wenn er sich an irgendeiner Stelle ihrer Vergangenheit, umentschieden hätte. Wäre Newt dann jetzt bei ihnen? 
Tagsüber konnte er es gut verstecken. Er trieb sich unter die Leute und beschäftigte sich so viel er konnte, doch wenn die Sonne unterging und die Stille der Nacht über ihn hereinbrach, hörte er überall das schlappe Atmen seines toten Freundes und hatte das Gefühl, auf Schritt und Tritt verfolgt zu werden. 

"Ja", gab er leise zu und wagte es nicht weiter, Thomas anzusehen. "Weißt du, du bist nicht der einzige, der jemanden verloren hat. Er war mein bester Freund, es ist auch für mich schwierig." Minhos Stimme nahm immer bittereren Ton an. Sein Blick streifte über den Horizont und die hohen Wellen des Ozeans. "Ich vermisse ihn." Tränen sammelten sich in seinen Augen, beim Gedanken an einen Abend auf der Lichtung, als Alby, Newt und er am Lagerfeuer gesessen hatten und gelacht hatten, Späße gemacht hatten. Es war einer der wenigen Augenblicke auf der Lichtung gewesen, die er mit schönen Gefühlen verbunden hatte. Doch jetzt fühlte Minho sich einsam. Er war als einziger übrig geblieben. 

"Ich weiß, wie viel er dir bedeutet hat, aber vergiss nicht, dass ich ihn auch geliebt habe. Vergiss nicht, dass ich einen Bruder verloren habe." Im Augenwinkel sah Minho, wie Thomas sich mit dem Ärmel seines Oberteil über das Gesicht fuhr. Er senkte seinen Blick so tief, dass Minho sich fragte, ob er gleich nach vorne umkippen würde. "Das ist nicht das gleiche", antwortete Thomas frustriert. "Ich habe ihn geliebt. Ich hätte ihn beschützen müssen. Ich hätte ihn retten können." 
Minho verstand Thomas, doch es verletzte ihn ein Wenig. Wie konnte Thomas annehmen, ihm sei Newt weniger wichtig gewesen?

Thomas dagegen dachte gar nicht mehr daran, was er gerade gesagt hatte. Vor seinem inneren Auge plagten ihn Dämonen. Bilder von Newts leerem Blick, wie er ihm gegenüber stand, Sekunden, bevor er ihre Welt verlassen hatte. Minho legte seine Hand auf Thomas' Arm und er fuhr hoch. "Fass mich nicht an", fauchte er harsch. Panik stand in seinem Gesicht geschrieben und Minho war fassungslos. 
In Thomas Kopf spielten sich Szenarien, an die er nie wieder denken wollte. Newt, der ihn berührte, zu ihm sprach und ihn küsste. Newt, der seine Hände, auf Thomas' Haut gelegt hatte und Gefühle hinterlassen hatte, die Thomas niemals vergessen könnte. "Tut mir leid", säuselte er. Einige Tränen flossen über sein Gesicht. "Okay", antwortete Minho ruhig und zog seine Hände zurück. "Alles okay?" 

Er wusste nicht, was er tun sollte. Thomas sah so verstört aus. In sich zusammengefallen, fast mickrig und vor allem gebrochen. In diesem Moment realisierte Minho, dass der alte Thomas, der kämpfte und sich nicht von seinen Taten abbringen ließ, verschwunden war. Er war nur noch ein Häufchen Elend, das mit jedem Tag weiter verblasste. 
Es traf Minho hart. Er wollte seinem Freund helfen, doch wusste nicht wie. Ihm fiel nur eine Sache ein: "Vielleicht ist es dir aufgefallen", lachte er nervös. "aber ich laufe wieder mehr. Kannst du dir vorstellen, warum?" Minho sah Thomas aus traurigen Augen an. Sie waren gefüllt mit Reue. Thomas war verwirrt. Was bereute Minho denn? Er hatte so viel für Thomas und seine Freunde getan, schon immer. Thomas fragte sich, wie sie ohne Minho überlebt hätten? Vermutlich gar nicht, entschloss er sich. "Ich renne davon." Minho schluckte.

"Immer wenn ich rausgehe, denke ich, ich werde verfolgt. Wie von einem Schatten, den ich nicht abschütteln kann. Jedes Rascheln, jedes Knacken, jedes Scheppern macht mich nervös und ich glaube, gleich steht einer neben mir, ein Crank." Er biss die Zähne zusammen und stand kurz davor Tränen zu vergießen. "Ich mache Nachts fast kein Auge mehr zu und wenn ich aufstehe muss ich sofort etwas tun. Ich sage mir, du hast schon einmal zu wenig getan und dann ging alles schief. Ich will meine Fehler von damals nicht wiederholen, Thomas, verstehst du?" Die Tränen rannten und er konnte es nicht verhindern. Sein Herz brach ein bisschen mehr und er musste den Blick von Thomas abwenden, sonst hielt er es nicht mehr aus. 

Thomas war überrumpelt von dieser ganzen, großen Info. Ihm war nie bewusst gewesen, dass Minho auch so litt. Er hatte nie darauf geachtet und auch nie gefragt. Jetzt tat es ihm leid. Sie hätten schon viel früher miteinander reden können. Thomas hob seine Stimme noch einmal, diesmal kräftiger und selbstbewusster: "Hey, Minho. Wir stehen das zusammen durch. Er würde wollen, dass wir es zumindest versuchen. Wir sind nicht alleine, so lange wir einander haben, richtig?" Er versuchte ein Lächeln zusammen zu bekommen, doch scheiterte. Aber Minho war Thomas dankbar. 

Sie ließen die Blicke erneut über den Ozean schweifen und Thomas fragte sich, was Newt gerade zu tun mochte. Ging es ihm gut? War er in Sicherheit? Er hoffte. 

Newtmas - OneshotsWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu