↬ 9. Die Toten unter den Lebenden

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HARRY

Nervös schnibbelte ich die Zwiebeln klein und schmiss sie in die Pfanne. Danach wusch ich die Paprika und begann diese ebenfalls kleinzuschneiden. Ich hatte mir heute frei genommen, um Valerie nach der Arbeit mit einem Diner zu überraschen.

Ich hatte lange über das nachgedacht, was die Jungs mir geraten hatten. Also wollte ich heute dieses Thema ansprechen und mich bemühen es nicht in einem Streit enden zu lassen. Ich selbst hatte immer noch die Angst vor der Enttäuschung, wenn es nicht funktionieren sollte. Zumal Valerie meinte, dass sie mit Rückschlägen nicht gut umgehen konnte.

Dennoch wollte ich wenigstens darüber reden, um mir nachher keine Vorwürfe machen zu müssen, dass ich nicht alles versucht hätte. Ich wäre auch mit einer Adoption zufrieden aber ich hatte Sorge, dass Valerie nicht zu hundert Prozent hinter einer Adoption stand. Im Grunde war es nur ein anderer Weg mit dem gleichen Ziel.

„Hey", ertönte pünktlich zum Essen Valerie's Stimme. „Ich habe Reis mit Curry gekocht. Du kannst dich also hinsetzen und das Essen genießen", sprach ich, woraufhin Valerie sich erstaunt an den Tisch setzte. „Wozu das Ganze?!", räusperte Valerie sich und stocherte mit der Gabel in ihrem Reis herum. „Was meinst du?", stellte ich ihr eine Gegenfrage und trank einen Schluck von meinem Wasser. „Sowas machst du immer, wenn du mit mir über etwas reden möchtest und angst vor meiner Reaktion hast", erklärte Valerie mit einem misstrauischen Blick, der diesmal berechtigt war.

„Okay, die Jungs haben mir was eingeredet und ich dachte, dass ich das mit dir teile", begann ich zögernd, „Du hast schon vor Jahren diese Diagnose bekommen aber genau aus dem Grund haben wir es nie probiert. Kann es sein, dass du eine Adoption nicht so sehr willst, weil du nicht weißt, ob es vielleicht doch klappen würde?!" „Ja", lautete ihre überraschend schnelle und schmerzlose Antwort.

„Warum hast du das nicht eher gesagt?!", seufzte ich und ein kleiner Hauch von Vorwurf schwang dabei mit, „Dann hätten wir das mit der Adoption verschoben. Man muss sich doch sicher sein, was man möchte." „Tut mir leid. Du warst so begeistert von der Adoption und ich wollte uns eine eventuelle Enttäuschung ersparen", erwiderte Valerie ehrlich, woraufhin ich nach ihrer Hand griff. „Ja, weil ich alle anderen Möglichkeiten schon ausgeschlossen habe. Wir wissen beide, dass die Chance gering ist und die Enttäuschung umso höher wäre aber am Ende können wir das mit der Adoption ehrlicher angehen?!", sagte ich, wodurch sich ein Lächeln auf Valerie's Lippen bildete.

„Also versuchen wir es und wenn es nicht klappt sind wir nicht allzu traurig?!", fasste Valerie zusammen, wobei ich zustimmend nickte. Keine Ahnung was auf uns zukam aber es fühlte sich in dem Moment nicht falsch an die Adoption auf Eis zu legen, um es zu probieren. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, erging es mir so wie Valerie.

Ich könnte mich mit einer Adoption anfreunden. Und doch würde ich tief in meinem Herzen eigene Kinder bevorzugen. Sie womöglich ehrlicher lieben können.

~~~

Heute war Liam's Geburtstag, weshalb die Jungs und ich uns auf den Weg zum Friedhof gemacht hatten. Wir verfolgten Plan an seinem Grab Blumen abzulegen, die durch Rue leider etwas beschädigt aussahen und anschließend in unsere ehemalige Stammkneipe fahren. Das war immer unser Geburtstagsritual gewesen. Trotz Liam's Tod wollten wir es beibehalten, weil es eines der letzten Stücke aus unserem alten Leben war.

„Oh mein Gott", flüsterte Niall entgeistert und hielt uns sogleich auf weiterzulaufen. Stattdessen nickte er in die Richtung von Liam's Grab an dem ein junger Mann stand. Auch wenn wir ihn nur von hinten sehen konnten, rätselten wir wer dieser Mann war. Vielleicht gehörte er auch zu seiner Familie. Immerhin war Liam nie sehr redefreudig über seine Familie gewesen. Er hatte sehr selten irgendwas von seinen Eltern oder Geschwistern erzählt.

In My Blood II  ↬ h.s.Where stories live. Discover now