↬ 33. Sucht & Gier

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VALERIE

Blind tastete ich die andere Betthälfte nach Harry ab, der aber schon auf zu sein schien. Mühsam öffnete ich meine Augen und fiel beim ersten Versuch aufzustehen wieder zurück ins Bett.

„Guten Morgen", begrüßte Harry mich mit einem breiten Grinsen als er nur mit einem Handtuch bekleidet und nassen Haaren zu mir stieß. „Morgen", nuschelte ich in das Kissen und versuchte gegen das Zufallen meiner Augenlider anzukämpfen. „Nie wieder Spieleabend mit einem Trinkspiel", fügte ich prustend hinzu und massierte mit einer Hand meine Stirn, die höllisch schmerzte. „Das war deine Idee", lachte Harry leicht auf, der das Ganze wohl besser vertragen hatte, „Du hast es ein wenig übertrieben."

„Du solltest dich umziehen. Dein Vater kommt in einer halben Stunde", erinnerte Harry mich, weshalb ich empört ein Kissen nach ihm warf. „Und du weckst mich nicht früher?!" „Habe ich versucht. Du hast geschlafen wie ein Stein." „Und geschnarcht wie ein Walross", schob er amüsiert hinterher.

„Dünnes Eis mein Freund", schenkte ich ihm einen bösen Blick als ich mich aufgerafft hatte und begab mich ins Badezimmer. Da ich keine Zeit mehr zum duschen hatte, spritzte ich mir Wasser ins Gesicht, um wacher zu werden. Nach dem Zähneputzen, trug ich mir noch Make-Up auf, damit man meine Augenringe nicht auf den ersten Blick sehen konnte.

Gerade als ich mich fertig umgezogen hatte, klingelte es an der Haustür. Trotz das ich die Treppen herunterfegte, kam Harry mir zuvor. Vor uns stand mein Vater in einem schicken grauen Anzug mit weißem Hemd und karierter Krawatte. In der einen Hand einen bunten Blumenstrauß und in der Anderen eine edle Flasche Wein. Obendrauf noch ein freundliches Lächeln auf den Lippen. So kannte ich meinen Vater aus den Kindheitserinnerungen.

„Riecht lecker", bemerkte mein Vater während wir in Richtung Esszimmer liefen. In der ganzen unteren Etage duftete es nach frischem Gulasch, das Harry am besten von uns kochen konnte. Dazu tischte er Nudeln und zwei verschiedene Salate auf. An Harry war ein guter Hausmann verloren gegangen.

Hätte ich vor ein paar Jahren definitiv nicht drauf gewettet. Denn Harry wirkte nach Außen ganz und gar nicht wie ein Mann, der für seine Frau kochte, backte oder ohne zu Murren im Haushalt half. Ich war sicherlich nicht unschuldig daran, weil er wusste, dass er damit bei mir punkten konnte.

Zu den ersten beiden Dingen zwang ich ihn nicht. Im Gegenteil. Er machte es mittlerweile gerne und nicht nur für mich wie er selbst behauptete. Wer hätte damals gedacht, dass aus dem kühlen Kriminellen mal ein einfühlsamer Ehemann werden würde?!

„Ich kann ja überhaupt nicht kochen", versuchte mein Vater ein Gespräch ins Rollen zu bringen als wir alle am Tisch saßen, „Hat dir das jemand beigebracht?!" „Ja, ich mir selbst", antwortete Harry und er war immer wieder für Überraschungen gut wie ich feststellen durfte, „Ich musste früher meine jüngeren Geschwister aufziehen und eben auch für sie kochen. Mit den Jahren bin ich immer besser geworden." „War bestimmt keine leichte Zeit."

„Nein, gewiss nicht. Meine Geschwister haben aber neue Eltern gefunden von denen sie geliebt werden. Ich wollte immer, dass sie nicht so enden wie ich sondern etwas aus ihrem Leben machen. Mir ist die Trennung damals nicht leicht gefallen aber mir blieb nichts anderes übrig." „Ich bewundere solche Menschen. Ich wollte auch einer von ihnen sein aber ich habe es leider jedes Mal vermasselt."

„Das kann man wohl sagen", zischte ich wütend, wodurch beide ihre Blicke auf mich richteten, „Du hast alles falsch gemacht, was man als Vater nur falsch machen kann. Du hast uns einfach sitzen gelassen. Weißt du, wie sehr wir alle darunter gelitten haben?! Mom ist an irgendeinen gestörten Kerl geraten, der uns das Leben zur Hölle gemacht hat. Seinetwegen saß Ceddie im Knast und mich hat er fast vergewaltigt. Das ist alles deine Schuld!"

„Ceddie war im Gefängnis?!", sah mein Vater mich entsetzt an, „Was ist passiert?" „Mom's Lover hat ihn so sehr provoziert, dass Ceddie auf ihn eingeschlagen hat bis er bewusstlos wurde. Gregory hat ihn angezeigt und Mom hat nichts dagegen unternommen. Sie hat sich auf seine Seite statt auf die ihrer Kinder gestellt", sprudelte es aus mir heraus und ich brodelte innerlich immer mehr.

„Gregory?", murmelte mein Vater und wirkte ein wenig nervös. „Wieso habe ich den Eindruck, dass dir dieser Name etwas sagt?!", sprach ich meine Gedanken aus während Harry sich bereits das zweite Glas Wein einschenkte. „Dad, erzähle mir verdammt nochmal die Wahrheit, wenn du willst, dass ich dir verzeihe!", schrie ich ihn verzweifelt an.

„Okay", brachte er hervor und nahm Harry die Weinflasche ab, ehe er sein Glas bis zum Rand mit der roten Flüssigkeit füllte, „Ich habe Schulden. Viele Schulden. Und Gregory ist der Gläubiger. Ich hatte damals viel Stress mit der Arbeit. Deine Mutter und ich haben uns häufiger gestritten. Mir wurde das alles etwas zu viel. Als ich behauptet hatte Überstunden machen zu müssen, war ich in einer Spielhalle. Am Anfang war es nur eine kleine Ablenkung vom Alltag aber irgendwann wurde es zur Gewohnheit und ich hatte tatsächlich oft Erfolg."

„Doch ich habe auch genauso häufig verloren. Zum Ende hin immer mehr aber ich konnte nicht aufhören. Ich hatte längst die Kontrolle darüber verloren. Nachdem meine Reserven aufgebraucht waren, hatte ich jegliche Hemmungen abgelegt, um weiterspielen zu können. Ich habe mich an euren Sparbüchern vergriffen. Das Geld war eigentlich dafür gedacht euch später ein Studium finanzieren zu können. Stattdessen habe ich es an die Spielautomaten verfüttert", fuhr er seufzend fort.

„Der Besitzer der Spielhalle hat mir einen Deal angeboten" „Gregory", schnitt ich ihm das Wort ab, wobei er zustimmend nickte. „Ich wollte nicht weiter eure Sparbücher anzapfen aus angst, dass eure Mom es merken würde. Also habe ich in der Gefangenschaft meiner Sucht den Deal angenommen. Ab diesem Zeitpunkt ist dann alles Stück für Stück aus dem Ruder gelaufen."

„Was war der Deal?", hakte Harry neugierig ein und das interessierte mich ebenfalls. „Zu dem Zeitpunkt hatte ich eine Glückssträhne und das hat Gregory mitbekommen. Er hat mich ans pokern rangeführt und ich war gut darin. Durch Gespräche mit anderen Spielern hat er mitbekommen, dass ich eine Familie habe und mir das Geld knapp wurde."

„Also hat er mir einen guten Kredit angeboten. Ich habe das Geld genommen und dafür an einem illegalen Pokerturnier teilgenommen. Das Preisgeld waren eine halbe Millionen Pfund. Ich hätte bei Gregory den Kredit beglichen und es wäre noch was für mich übrig geblieben. Das war der Plan."

„Sie waren gut und gierig nach Geld. Das kann nur schlecht enden", kommentierte Harry und ich ahnte, dass er wohl recht behalten würde. Wenn jemand sich mit so etwas auskannte, dann Harry. „Jedenfalls bin ich bis ins Finale von diesem Pokerturnier gekommen", redete er unbeirrt von Harry's Aussage weiter, „Ich sah mich schon als Gewinner da rausgehen aber mein Glück hat sich aufgelöst."

„Ich hätte mit meinem Blatt gewinnen können aber der letzte Spieler, der noch übrig war, hatte die bessere Kartenkombination. Mir war im ersten Moment nicht bewusst, was mein verlorenes Spiel für Konsequenzen hatte. Gregory war stinksauer, dass ich sein Geld in den Sand gesetzt hatte. Und ich konnte es ihm natürlich nicht zurückzahlen."

„Allerdings war da noch unser Deal, den ich von meiner Seite aus nicht erfüllen konnte", sagte er und musste schwer schlucken, „Also hat Gregory das von mir verlangt, was wir vereinbart hatten für den Fall, dass ich verlieren sollte. Ich schäme mich so dafür."

„Was war der Haken an dem Deal, Dad?!"

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In My Blood II  ↬ h.s.Where stories live. Discover now