Kapitel 36 - der 2.November

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V' Sicht: „ Steh für mich ein bisschen länger in der Sonne" rief ich Tanner noch hinterher und sah ihm hinterher, wie er ins Taxi stieg. Das wars also, der einzige männliche Trainee den ich vertrauen konnte, war jetzt auch weg. Als das Taxi um die nächste Ecke bog drehte ich mich zu Scar herum.
Sie trug ihre Haare zu einen säuberlichen Zopf zusammengebunden und lächelte mich an, trotzdem konnte ich die Augenringe unter ihren Augen sehen und ich fragte mich, was sie vor mir verschwieg.
„Hawkins, Sterling" Die Stimme war direkt hinter uns. Als wären wir nur eine Person drehte Scar uns gleichzeitig um. Als ich erkannte wer dort stand musste ich sofort Lächeln.

„Agent Prentiss" entfuhr es mir. „Was machen Sie den hier?" Das letzte mal war ich auf sie getroffen, nachdem der Unfall passiert war und wohl ich viele in diesem Business eher als nicht gerade sympathische Menschen zählen würde, war sie wirklich aufrichtig, menschlich und nett gewesen.

„Habt ihr beide kurz Zeit mit mir in meinen Büro zu sprechen?" verwirrt sahen Scar und ich uns an und stimmten zu. Ich wusste nicht, was sie von uns wollte, schließlich hatte sie rein gar nichts mit der FBI Academy zu tun.
Schweigend folgten wir ihr also.
Sie führte uns in den Gebäudeteil, wo wir als Trainees noch nicht waren: Die reale Welt des FBI's.
In Quantico war schließlich nicht nur die FBI Academy untergebracht, sondern auch noch die FBI Labore, das Geiselbefreiungsteam und die BAU.

Sie arbeitete für die BAU, eine Spezial Einheit, die nur aus Profilern bestand und sich mit den härtesten Fällen beschäftigte. Meine Mutter hatte früher auch für diese Einheit gearbeitet und wenn die Academy vorbei war, würde ich auch gerne als Profilerin arbeiten.

Agent Prentiss führte uns schweigend über den Parkplatz, an den nächsten Schranken vorbei, bis zum Hauptgebäude, wo das echte FBI Leben sich abspielte. Das sie den ganzen Weg über schwieg, verriet mir, dass sie keine guten Nachrichten für uns hatte. Ich schätze Prentiss von ihren anderen Treffen so ein ,dass sie eigentlich die Art von Person wäre, die uns interessierte Fragen stellen würde, aber das tat sie nicht.

Stattdessen ging sie mit großen, schnellen Schritten voraus und führte uns in das Gebäude, wo wir vielleicht auch bald arbeiten würden. Beim Eingang war eine Sicherheitskontrolle, wie bei einen Flughafen, als die Mitarbeiter jedoch von ihr zu uns sahen, nickten sie uns einfach durch.
Hier trug niemand mehr beige Hosen, sondern nur noch Anzug oder Blazer.
Die Leute die an uns vorbei gingen sahen entweder gestresst oder tot müde aus.
Prentiss führte uns zum Fahrstuhl, der praktischerweise gerade offen war.
Ein Mann im Alter meines Vaters hielt uns lächelnd die Tür auf.
Schweigend sah ich zu ihn hinauf, als er mich unerwartet ansprach. „Du bist doch die kleine Sterling oder?" Bevor ich antworten konnte redete der Fremde weiter. „Du siehst deiner Mutter, wie aus dem Gesicht geschnitten ähnlich" er kannte meine Mutter? „Und deine Schwester und du ihr könntet Zwillinge sein. Ich durfte sie letztens kennenlernen, als ich eine Fall in New York hatte. Naja auf jeden Fall grüße mal deinen Vater von mir" ohne das ich zu Wort kam verließ er den Fahrstuhl und ich drehte mich nur fragend zu Scarlett, um die genauso überfordert aussah wie ich. Fünf Sekunden später ging der Fahrstuhl erneut auf. „Wir müssen hier raus" erklärte Agent Prentiss und wir folgten ihr zu ihren Büro.

Scars Sicht: Agent Prentiss wartete ein paar Sekunden, nachdem wir uns hingesetzt hatten, bevor sie anfing zu reden, als ob sie sicherstellen wollte, dass wir auch gut und bequem saßen.
„Es geht um Alec", sagte sie in einem neutralen Tonfall, ohne um den heißen Brei herum zu reden. Sie brauchte keinen Nachnamen zu sagen, sie brauchte nicht mehr als diese vier Worte, um dafür zu sorgen, dass mein Magen sich so schwer anfühlte wie ein Neutronenstern. Vor meinem geistigen Auge sah ich wieder sein Gesicht, sein hübsches Gesicht mit den viel zu kalten Augen, die mir nie aufgefallen waren, denn ich achtete zu wenig auf die Augen von anderen Menschen. Ich erinnerte mich an das Gefühl, zurück im Auto zu sein, an das Gefühl, ich müsste sterben.
Ich bemerkte, dass V ihre Hände verkrampfte, und ich wusste, dass seinetwegen noch eine Narbe auf der Innenseite ihrer rechten Hand war, weil sie sich verbrannt hatte, als sie die Autotür aufmachen wollte.
„Was ist mit ihm?", fragte ich vorsichtig. Würde er etwa freigelassen? Vielleicht hatte irgendjemand dafür gesorgt, dass er doch für geistig gesund aber nicht für schuldig befunden wurde, oder er bekam Bewährung wegen gutem Benehmen oder... mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass Alec wieder frei nach seinem Willen in der Welt herumgeistern könnte, und neuen Schaden anrichten. Emelie Prentiss' nächster Satz riss dieser Vorstellung jedoch völlig den Boden unter den Füßen weg: „Er ist tot."
Ich wollte sie fragen, ob sie das noch einmal wiederholen könnte, denn es war noch nicht bei mir angekommen, aber ich merkte, dass keine Worte aus meinem Mund heraus kamen.
Ihre Aussage ergab für mich keinen Sinn, sie war so merkwürdig.
„WAS?" V war die erste, die ihre Sprache wiederfand, aber auch sie sah die Agentin auf der anderen Seite des Schreibtischs mit weit aufgerissenen Augen an. Agent Prentiss atmete tief durch, als müsse sie sich selbst auf das, was als nächstes kam vorbereiten.
„Er hat Suizid begangen."
Wie formell sie das sagte. Hatte er sich erhängt? Die Kehle aufgeschlitzt? Oder die Handgelenke? Aber die Art war wohl letztendlich nicht wichtig. Wie hatte er das überhaupt hingekriegt, sich umzubringen, nach fast einem Jahr in der Psychiatrie? Und wieso?
„Wieso ausgerechnet jetzt?", fragte ich, und sah an Agent Prentiss' Gesichtsausdruck, dass sie mit dieser Frage nicht gerechnet hatte.
Sie sah auf die Akte die vor ihr lag, und erklärte dann, in typischer Polizistenstimme: „Das wissen wir auch noch nicht genau. Er sollte eigentlich in einem Monat entlassen werden."
„Entlassen?" riefen V und ich gleichzeitig, über diese Nachricht, die uns vor kaum zwei Minuten auf eine ganz andere Art schockiert hätte.
Agent Prentiss nickte. „Er konnte uns ein wenig... weiterhelfen, in einem anderen Fall. Und er ist von einem Arzt als vollkommen zurechnungsfähig und ungefährlich beurteilt worden."
Hatte Alec mit dem FBI über die Zeit in London geredet? Mir wurde schlecht bei dem Gedanken, dass die Institution, für die wir demnächst arbeiten wollten, Deals mit Menschen wie Alec machte, nur für eine kleine Chance, an wichtige Informationen zu kommen. Ich wusste nicht, was ich von Alec's Tod halten sollte. Vielleicht hätte ich erleichtert sein sollen, da er so nicht die Chance hätte, noch mehr Menschen wehzutun, aber das einzige Gefühl, was ich verspürte, war Unsicherheit.
„Ich sollte euch das offizielle eigentlich gar nicht mitteilen", fügte Agent Prentiss noch hinzu, „Ihr seid keine Angehörigen - er hat auch gar keine - aber ich fand, ihr solltet es wissen. Aber natürlich solltet ihr niemandem erzählen, dass ich es euch gesagt habe."
V nickte. „Natürlich nicht. Dankeschön."
Auch ich bedanke mich, während ich wie eine Holzpuppe von meinem Stuhl aufstand. Vielleicht wäre es angenehmer gewesen, wenn Agent Prentiss sich einfach ans Protokoll gehalten hätte, und wir diese Neuigkeit nicht erfahren hätten.

Bis sie stirbt I FBI Academy Where stories live. Discover now