55 | Verspätung

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Abudi hatte mich mit zu seiner Wohnung genommen und mich in seinem Gästezimmer übernachten lassen. In der Nacht schlief ich sehr unruhig, schreckte mehrmals hoch und hatte einen Albtraum. Ich konnte mich nicht mehr genau daran erinnern, aber er hatte etwas mit Raphael zu tun. Dementsprechend fühlte ich mich nach dem Aufwachen ziemlich gerädert.

Ich war spät dran. Also sprang ich nur kurz unter die Dusche, schmierte mir anschließend ein Brötchen und fuhr zur Arbeit. Heute durfte ich etwas später anfangen und musste dafür länger bleiben, da am Abend ein wichtiges Meeting anstand, bei dem ich dabei sein sollte. Ich musste mich sehr zusammenreißen, um mich auf die Arbeit zu konzentrieren. Nach wie vor schweiften meine Gedanken immer wieder zu Raphael. Sobald ich Feierabend hatte, wollte ich beim Krankenhaus vorbeifahren und ihn besuchen.

Doch leider kam mal wieder alles anders als geplant und unser Meeting dauerte deutlich länger an. Ich kam erst um 19:50 Uhr aus der Firma und hatte die Besuchszeit im Krankenhaus verpasst, was mich extrem ärgerte. Bis 20 Uhr bestand zwar die Möglichkeit, Patienten zu besuchen, aber ich musste mehr als eine halbe Stunde fahren, bis ich an der Klinik wäre. Ich hätte ihn so gerne gesehen, mit ihm geredet und erfahren, wie es ihm ging.

Seit gestern Nacht hatte ich bereits Schuldgefühle und sie verstärkten sich dadurch, dass ich ihn nicht besuchen konnte, nur noch mehr. Er hatte bestimmt auf mich gewartet. Niedergeschlagen stieg ich in mein Auto und fuhr nach Hause. Ich schrieb Abudi eine Nachricht, da er heute bei Raphael war. »Raf geht es ein bisschen besser, aber ich glaube, er hat starke Schmerzen. Er hat schon nach dir gefragt. Wieso kamst du nicht?«, lautete seine Antwort.

Raphael hatte nach mir gefragt. Und ich? Ich hatte ihn einfach im Stich gelassen. Ich erklärte Abudi kurz den Sachverhalt und entschuldigte mich. Er zeigte Verständnis für meine Situation und meinte, dass auch Raphael mir das nicht übelnehmen würde. Ich kochte mir schnell etwas zu essen und versuchte danach, um meinen Freund anzurufen.

Ich wählte seine Nummer aus meinen Kontakten und wartete. Das Freizeichen ertönte. Tut tut tuut. Ungeduldig warf ich einen Blick auf das Display. »Geh schon ran«, fluchte ich leise. Aber er hob nicht ab. Irgendwann meldete sich die bekannte Stimme der Mailbox: »Der gewünschte Teilnehmer ist zurzeit leider nicht erreichbar. Bitte hinterlassen Sie eine Nachricht nach dem Signalton.« Ich legte auf. Ich wollte persönlich mit ihm sprechen und mich nicht über den Anrufbeantworter nach seinem Befinden erkundigen.

Im Laufe des Abends versuchte ich es noch zwei weitere Male, doch auch das war vergeblich. Entweder hatte er sein Handy stumm geschaltet und schlief schon oder er war vielleicht wirklich sauer auf mich und wollte deshalb nicht hingehen. Ich hoffte auf Ersteres. Da ich nichts mehr zu erledigen hatte und mich erschöpft von dem langen Tag fühlte, ging ich frühzeitig schlafen. Das Bett und generell die ganze Wohnung waren ohne Raphael so leer.

Ich war es gewohnt, dass er öfters auch über Nacht nicht da war, wenn er Auftritte hatte oder Musikvideos drehte und das war völlig okay für mich. In den letzten Monaten war er hingegen regelmäßiger zuhause. Aber heute fühlte es sich anders an, irgendwie komisch, da Raphael nicht irgendwo mit seinen Jungs unterwegs war, sondern im Krankenhaus lag und ich nicht wusste, wie es ihm ging.

Ich konnte morgen wieder Home Office betreiben und hatte so endlich die Möglichkeit, jederzeit zu Raphael zu fahren. Ich würde morgens und abends ein paar Stunden arbeiten und den Tag bei ihm verbringen. In dieser Nacht schlief ich deutlich besser als zuvor, fühlte ich mich aber trotzdem sehr müde, als um 7:30 Uhr mein Wecker klingelte. Ich machte mich fertig, frühstückte und setzte mich dann an meinen Schreibtisch.

Da einer unserer Künstler vor kurzem Probleme aufgrund der Verwendung eines Samples bekommen hatte, musste ich mich heute mal um Urheberrechtsangelegenheiten kümmern und versuchen, die Angelegenheit zu klären. Zudem saß ich seit ein paar Tagen immer wieder mit Joshi zusammen und erarbeitete gemeinsam mit ihm Marketing- und Promostrategien für sein nächstes Album. Ich hatte schon einige Ideen und wollte heute noch mehr Informationen sammeln, um den ersten Teil meines Plans fertig auszuarbeiten. Ich kam gut voran und so legte ich am späten Vormittag schließlich die Unterlagen zur Seite, um zu Raphael zu fahren.

In meiner Wolke | 1raf7Where stories live. Discover now