12 | Private Stadtführung

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Ich stieg die Treppen in den 2. Stock hinauf und schloss meine Wohnungstür auf. Nachdem ich meine Schuhe ausgezogen hatte, ging ich ins Bad, um mich abzuschminken. Müde griff ich nach meinem Handy und legte mich anschließend ins Bett. Ich ließ den Abend gedanklich Revue passieren.

Raphael und ich kannten uns zwar noch nicht lange, aber er war sehr nett, sympathisch und zuvorkommend. So etwas war ich von früher nicht gewohnt. Aber auch er hatte eine eher dunkle Seite - vermutlich bedingt durch seine Vergangenheit - die in manchen Augenblicken zum Vorschein kam, in denen er sich in sich gekehrt, verschlossen und nachdenklich wirkte. Ich wusste nicht genau, was er bis heute alles erleben musste, aber ich hatte das Gefühl, dass er über die Jahre hinweg eine Art Schutzmauer um sich herum aufgebaut hatte.

Das Piepen meines Handys riss mich aus meinen Gedanken. Als ich sah, wer mir geschrieben hatte, musste ich automatisch lächeln. »Hey Sarah. Ich wollte dir Bescheid geben, dass ich wieder zuhause bin. Der Abend mit dir war echt schön. Hoffe wir sehen uns bald wieder. Raf«

Ich antwortete ihm schnell: »Ich fand den Abend auch sehr schön. Wir können uns gerne nochmal treffen, wann hast du Zeit?« Er schrieb mir sofort zurück: »Super! Wie wäre es mit Mittwoch? Wenn du willst, kann ich dir Berlin ein bisschen zeigen. Allerdings müssten wir einen Großteil vom Auto aus ansehen. Sonst kommen wir keine 500 m weit, ohne, dass ich von Fans angesprochen werde.« »Gerne. Dann bis Mittwoch. Ich freue mich schon.« »Ich mich auch. Gute Nacht und träum schön von mir.« »Gute Nacht. Hättest du wohl gerne :D«, schrieb ich und legte schmunzelnd mein Handy zur Seite.

Die Tage bis zu unserem nächsten Treffen zogen sich wie Kaugummi. Als ich am Mittwoch mittags endlich aus der Vorlesung kam, war ich froh darüber, den restlichen Tag frei zu haben. Zuhause angekommen wechselte ich schnell meine Klamotten und gab Raphael Bescheid, dass ich fertig war. »Ich hole dich in 20 Minuten ab. Bis nachher!«, antwortete er. Zur Sicherheit gab ich ihm erneut meine Adresse und wartete.

Exakt 20 Minuten später klingelte es an der Tür. Also pünktlich sein konnte der Herr Ragucci auf jeden Fall. Ich betätigte den Öffner und wartete darauf, dass Raphael nach oben kam. »Hey! Na, bist du bereit für eine kleine private Stadtführung?«, fragte er zur Begrüßung und umarmte mich herzlich. »Natürlich«, grinste ich, »komm doch kurz rein. Möchtest du etwas trinken bevor wir losfahren?« »Ja. Ein Glas Wasser, bitte.«

Wir setzten uns an den Esstisch und unterhielten uns über die letzten Tage, in denen wir uns nicht gesehen hatten. Anschließend führte ich Raphael auf seinen Wunsch in meiner Wohnung herum und er betrachtete alles ausgiebig. Sicher war er von seinem Zuhause deutlich mehr Luxus gewohnt.

Danach brachen wir auf und machten uns auf den Weg nach draußen. Suchend schaute ich mich nach Raphaels Audi um. »Wo ist dein Auto?«, fragte ich ihn leicht verwirrt, nachdem ich es nirgends entdecken konnte. »Da hinten.« Er deutete lachend auf einen anthrazit folierten Maserati auf der gegenüberliegenden Straßenseite.

»Als ob du 'nen Maserati fährst! Die Dinger sind doch irrsinnig teuer.« »Hallo? Schon vergessen, dass ich einer der aktuell erfolgreichsten und am meisten gefeierten deutschen Rapper bin und mir, wenn ich will, fast jedes Auto leisten könnte?« Er wollte mich offensichtlich provozieren, aber den Gefallen tat ich ihm nicht.

»Für einen Ferrari oder Lamborghini hat die Kohle dann ja wohl scheinbar doch nicht gereicht. Also komm mal ein bisschen runter. Arroganz steht dir nicht, Ragucci«, konterte ich, boxte ihm leicht gegen den Arm und versank einen Moment später - mal wieder - in seinen warmen dunkelbraunen Augen. »Aua! Findest du wirklich?«, sagte er spöttisch und hielt sich gespielt leidend den Arm. Die andere Aussage ließ er unkommentiert stehen. »Ja und jetzt komm. Lass uns endlich losfahren«, bat ich ihn.

Raphael zeigte mir sowohl die bekannten Sehenswürdigkeiten wie das Brandenburger Tor, den Fernsehturm, die East Side Gallery und den Reichstag als auch einige weniger bekannte Orte, an denen er sich selbst oft aufhielt oder mit denen er viel verband. Er zeigte mir, wo seine erste Wohnung in Berlin, sein Lieblingsclub und sein Studio waren. Aufmerksam lauschte ich seinen Erzählungen.

»Wenn du möchtest, kann ich dir gerne mal in den nächsten Tagen mein Studio zeigen«, schlug er vor. »Heute geht es leider nicht, weil mein Kumpel Max, den du ja vielleicht als Kontra K kennst, wichtige Aufnahmen für sein nächstes Album machen muss und keine Störung gebrauchen kann.« »Ich würde mir sehr gerne mal dein Studio anschauen, sehen wie du dort arbeitest und wie Musik eigentlich produziert wird. Ich stelle mir das total interessant vor. Der Name Kontra K sagt mir aber nichts, sorry«, offenbarte ich lächelnd.

Da Raphael heute keine Cap trug und eine Sonnenbrille aufhatte, wurde er nur selten erkannt. Zwischendurch stiegen wir aus, liefen etwas herum und schossen einige gemeinsame Fotos. Vom Fernsehturm aus konnte ich über ganz Berlin blicken. Ich war echt beeindruckt davon, wie gigantisch groß diese Stadt war. Später schlenderten wir gemeinsam über den Kurfürstendamm und ließen uns in einem von Raphaels Lieblingscafés nieder.

Als es bereits etwas später am Abend und somit dunkel war, beschlossen wir kurzfristig noch ins Kino zu gehen. Raphael schlug irgendeinen Actionfilm vor. Nach kurzem Hin und Her willigte ich schließlich ein. Wir besorgten uns Popcorn und Getränke. Das Kino war relativ klein und zum Glück unter der Woche um diese Uhrzeit nicht so stark besucht. Raphael wurde von einem jungen Kinomitarbeiter, der unsere Karten kontrollierte, nach einem Foto gefragt. Er gab mir schnell Bescheid und kam dann dem Wunsch des Fans nach.

»Sorry, dass du warten musstest. Ich habe ihn auch gleich darum gebeten, dass er das Foto erst später, wenn wir von hier weg sind, posten soll, falls er das vorhat und kein Wort über meine Begleitung verliert. Dann haben wir unsere Ruhe«, entschuldigte Raphael sich bei mir. Wir liefen gemeinsam in den Kinosaal, suchten unsere Plätze und setzten uns. »Alles gut. Dafür brauchst du dich nicht zu entschuldigen. Ist ja lieb von dir, dass du dir Zeit für deine Fans nimmst. Das macht nicht jeder und solange es nicht gleich 100 auf einmal sind und du mich da weitgehend raushältst, kann ich damit leben«, zeigte ich mich verständnisvoll.

Der Film gefiel uns beiden recht gut, allerdings musste ich an einer Stelle wegschauen, die mir zu brutal war. Ich war definitiv keine von den Frauen, die sich bei unangenehmen oder gruseligen Szenen an irgendeinen Mann klammerte, um Schutz zu suchen, aber auch ich konnte mir nicht alles ansehen.

Ich nutzte also die kurze Zeit, um Raphael heimlich von der Seite zu beobachten, wie er konzentriert auf die Leinwand schaute und zwischendurch immer wieder in seine Popcorntüte griff. Selbst dabei sah er unglaublich gut aus. Automatisch bildete sich ein kleines Lächeln auf meinen Lippen. Ich genoss jede Sekunde, die ich mit ihm verbringen konnte. Er war mir in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen. Ob es ihm wohl auch so ging?

Ich schüttelte leicht den Kopf und wendete den Blick von ihm ab. Auf keinen Fall wollte ich den gleichen Fehler ein zweites Mal machen, schon früh starke Gefühle für jemanden zu entwickeln, geschweige denn mich schnell zu verlieben, um am Ende vielleicht wieder enttäuscht zu werden. Das hatte schon damals nicht gut geendet.

Auch wenn Raphael ein komplett anderer Typ als mein Ex-Freund war, musste ich vorsichtig sein, nicht die komplette Kontrolle über meine Gefühlswelt zu verlieren. Es fiel mir allerdings zunehmend schwer. Ich konnte schlecht leugnen, dass ich mich in seiner Gegenwart bisher immer pudelwohl und sicher gefühlt hatte. Mal sehen was die Zukunft bringen wird.

Als der Film zu Ende war, fuhr Raphael mich zurück nach Hause und wir verabredeten uns für den kommenden Freitag.

Das war mal wieder eines von den klassischen Übergangskapiteln in denen nichts spannendes passiert, sondern die einfach dazu dienen, dass sich die beiden Protagonisten etwas besser kennenlernen. Die nächsten Kapitel werden definitiv interessanter😉

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt