46 | Alles geht schief

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Ich schrieb weiterhin Bewerbungen an verschiedene Firmen, in der Hoffnung bei einem passenden Angebot mein Studium aufgeben zu können. Es gestaltete sich sehr schwierig, überhaupt etwas zu finden. Hinzu kamen einige Absagen oder die Unternehmen meldeten sich erst gar nicht. Parallel dazu hielten sowohl Raphael als auch ich nach Wohnungen Ausschau. Schließlich würde es eine Weile dauern, bis wir etwas finden würden, das uns beiden gefällt. Der Umzug war für Februar oder März nächsten Jahres geplant.

Inzwischen hatten wir Anfang Dezember und während Raphael zusammen mit John die letzten Zusatzkonzerte der Palmen aus Plastik 2 Show spielte, ging ich meinem gewohnten Alltag nach. Wieder mal war ich mit der U-Bahn auf dem Weg zur Uni. Zum Glück standen heute nur zwei Vorlesungen an. Am Getränkeautomaten kaufte ich mir einen Kakao und lief anschließend durch die ganzen verzweigten Gänge bis hin zum Hörsaal, in dem die Vorlesung zum Thema Marketing Management stattfinden würde.

Ich öffnete die schwere braune Holztür, lief ein paar Treppenstufen nach unten und scannte mit meinen Augen die Reihen ab. Nachdem ich keine mir bekannten Gesichter entdecken konnte - der Raum war auch noch nicht mal zur Hälfte gefüllt - suchte ich mir einen zentral gelegenen Platz. Ich packte meine Schreibutensilien aus und trank ein paar Schlucke von meinem Kakao. Dann drehte ich mich um und ließ meinen Blick in Richtung Eingangstür wandern, da ich noch auf Emilia wartete und sie nicht verpassen wollte.

Nach und nach füllte sich der Hörsaal und irgendwann tauchte auch Emilia auf. Ich winkte und sie steuerte direkt auf mich zu. Aus dem Augenwinkel konnte ich eine weitere, mir allzu bekannte Person erblicken. Was zur Hölle machte er hier? Warum war er nicht in Hamburg? Ich kniff mir kurz in den Arm, um zu überprüfen, dass ich nicht träumte und zischte leise auf. Leider war es Realität. Er war tatsächlich hier und hatte mich auch schon entdeckt.

Luca hatte sich optisch nur ein kleines bisschen verändert, seitdem ich ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er war insgesamt immer noch schmächtig, hatte aber seine Arme wieder mehr trainiert. Seine hellbraun gelockten Haare hatte er an den Seiten kurz rasieren lassen, was sein schmales Gesicht noch mehr betonte. Dem Kleidungsstil, den er früher schon hatte, war er treu geblieben.

Er trug irgendein helles Markenhemd zu einer dunklen Stoffhose und einen langen Mantel. Durchaus elegant, aber für sein Alter zu spießig und auch nicht für die Uni angemessen; es gab hier Leute, die aussahen, als wären sie im Pyjama gekommen. Nur der farbenfrohe Louis Vuitton Rucksack - der sicher irgendein billiger Fake aus der Türkei war, wo er gerne seinen Sommerurlaub verbracht hatte - sah absolut lächerlich aus. Er wirkte hier deplatziert.

Ich schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass er mich in Ruhe ließ und sich nicht zu mir setzte. Leider wurde ich nur teilweise erhört, denn Luca ließ sich auf einen Platz eine Reihe hinter mir fallen. Ich versuchte, ihn so gut wie möglich zu ignorieren, was mir auch gelang, da der Professor in diesen Minuten den Hörsaal betrat und mit der Vorlesung begann.

Zwei Stunden später war der Vortrag zu Ende. Ich war schrecklich müde und hatte Schwierigkeiten gehabt, mich zu konzentrieren. Zu allem Überfluss wurde ich nun von hinten an der Schulter angetippt und ahnte Schlimmes. »Hi! Schön, dich wieder zu sehen. Wie geht es dir?« Das hatte mir gerade noch gefehlt. »Hey«, erwiderte ich und schenkte ihm einen kurzen Blick. »Bis zu dem Moment, in dem du hierherkamst, ging es mir gut«, hätte ich gerne hinzugefügt, hielt aber die Klappe.

»Ich habe ziemlich kurzfristig die Uni gewechselt. Wollte einfach mal raus aus Hamburg und was anderes sehen. Da hatte ich Glück, dass noch ein paar Plätze frei waren. Ich habe mich direkt beworben und wurde genommen. Ich wusste ja gar nicht, dass du in Berlin bist. Seit wann lebst du hier?«, plapperte Luca fröhlich weiter und überging die Tatsache, dass ich die Augen verdrehte. Mir war es ehrlich gesagt scheißegal, was er hier machte. Schlimm genug, dass Luca wieder hier war und ich ungewollt mit der Vergangenheit konfrontiert wurde.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt