18 | Unerwarteter Besuch

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Fassungslos und zugleich schockiert starrte ich ins Leere und glitt schließlich frustriert an der Tür herab Richtung Boden. Ich zog meine Knie an, bettete meinen Kopf darauf und fing hemmungslos an zu weinen. Ich konnte es nicht fassen, dass er das wirklich getan hatte! Mir kamen auf einmal riesige Zweifel.

Hatte ich mich wirklich so sehr in ihm getäuscht? Was, wenn ich nur ein kleiner Zeitvertreib für ihn war und er mich nur benutzt hatte? Aber das passte einfach nicht zu dem Mann, den ich bisher kennenlernen durfte. Er hätte sich doch sonst auch nicht mir gegenüber so weit geöffnet, oder? Ich dachte in dem Moment, in dem wir uns küssten wirklich, dass er mehr für mich fühlte. Dass ich ihm etwas bedeutete. Etwas, das über normale Freundschaft hinausging. Doch da hatte ich mich wohl geirrt.

Ich fühlte mich so, als würde geradewegs in ein tiefes, endloses Loch fallen. Irgendwie schaffte ich es letztendlich in mein Bett und fixierte nun die weiße Decke über mir. Das Leben war ungerecht. Wieso wurde ausgerechnet ich immer wieder von anderen Männern enttäuscht oder verarscht? Musste das mit mir und Raphael schon enden, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte? Weiterhin rannen mir heiße Tränen über die Wangen. Ich dachte lange nach. Über Raphael, den Kuss, mein Leben, einfach alles. Vor Erschöpfung schlief ich irgendwann ein.

Am nächsten Morgen schreckte ich hoch, als mein Wecker klingelte. Stöhnend hielt ich mir den schmerzenden Kopf und tastete auf meinem Nachttisch umher, damit ich das lärmende Ding ausschalten konnte. Schließlich stand ich auf und ging ins Badezimmer. Ich warf einen Blick in den Spiegel und musste zu meinem Leidwesen feststellen, dass ich in etwa so aussah, wie ein mehrmals überfahrener Pandabär auf Drogen. Also genauso beschissen, wie ich mich auch fühlte.

Meine Augen waren vom vielen Weinen gerötet, auf meinen Wangen zeichneten sich hektische rote Flecken ab und mein Haar stand wirr in alle Richtungen ab. Die Wimperntusche, welche ich gestern sorgfältig aufgetragen hatte, war über mein ganzes Gesicht verteilt. Zu allem Überfluss musste ich in eineinhalb Stunden frisch und gut gelaunt auf der Arbeit erscheinen und danach standen noch Vorlesungen sowie Seminare in der Uni an.

Ich spielte kurz mit dem Gedanken mich einfach krankzumelden und den Tag im Bett zu verbringen, aber ich brauchte nun mal dringend das Geld, um meine Miete bezahlen zu können. Auf die Uni könnte ich da schon eher verzichten. Kurzerhand sprang ich unter die Dusche, wusch alles gründlich ab und fühlte mich danach tatsächlich ein Stückchen besser. Ich checkte meine verpassten Nachrichten und schmierte mir nebenbei ein Brot. Raphael hatte sich wie zu erwarten nicht gemeldet.

Ich war mir aber auch gar nicht sicher, ob ich das wirklich wollte. Vielleicht wäre es besser, wenn ich das mit uns einfach vergessen würde. Ob ich das schaffen würde, war eine andere Sache. Trotzdem warf ich noch einen letzten Blick auf Instagram und in seine Story, die lediglich ein Bild aus einem Flugzeugfenster heraus zeigte. Vermutlich hatte er sogar meinen Rat befolgt und war tatsächlich auf dem Weg zu seinem Opa. Eigentlich könnte es mir egal sein. Aber das war es nicht.

Irgendwie hatte ich den Tag schließlich mit arbeiten, Eis essen und dabei eine Serie schauen auch herumgekriegt. Tagsüber war ich halbwegs abgelenkt, aber sobald ich abends in Ruhe im Bett lag, kamen wieder die Gedanken an Raphael auf. Leider.

Zuvor hatte ich ein langes Telefonat mit Alex geführt und ihm von mir und Raphael erzählt. Er war mein bester Freund und von daher war mir seine Meinung sehr wichtig. Alex war schockiert, als ich ihm berichtete, wie Raphael mich einfach stehen gelassen hatte. Gleichzeitig versicherte er mir aber, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass Raphael mich nur verarschen würde, weil er mich sonst von Anfang an ganz anders behandelt hätte. Dafür kannte Alex ihn lange genug. Es musste also einen anderen Grund geben.

In den darauffolgenden Tagen stürzte ich mich regelrecht in die Arbeit und das Lernen, sodass ich kaum noch Zeit hatte, an Raphael zu denken, was mir sehr gelegen kam. Ablenkung hatte mir schon immer gut geholfen.
Nach knapp einer Woche bekam ich plötzlich mehrere Nachrichten von Raphael: »Sarah, mir tut es leid, was ich getan habe.« »Lass uns bitte reden.« »Gib mir noch eine Chance.« Dazu kamen zwei Anrufe. Ich las die Nachrichten zwar alle, antwortete jedoch nicht darauf. Ich hatte weder Zeit noch Interesse daran, mich weiter herumzuärgern und von seinen angeblichen Erklärungen wollte ich lieber nichts wissen. Er hatte mich wirklich zutiefst verletzt.

In meiner Wolke | 1raf7Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt