11 | Erstes Date II

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Nach einem kurzen Blick in die Getränkekarte beschlossen wir, uns eine große Wasserflasche zu teilen. Wir bestellten uns beide jeweils ein Glas Wein dazu. Während jeder weiter in seiner Speisekarte blätterte, griff ich geistesabwesend zur Flasche, die uns gerade gebracht wurde.

Raphael hatte wohl die gleiche Idee, denn seine Hand befand sich bereits an der Flasche. Für wenige Sekunden berührten sich unsere Hände. Ich schaute auf und zog sie, wie von einem Stromschlag getroffen, reflexartig zurück. »Ähm sorry, mach du zuerst«, sagte ich verlegen. Er verzog seine Lippen zu einem Lächeln und schenkte schließlich erst mir und danach sich selbst Wasser ein.

Wir hatten uns schnell für unser Essen entschieden. Ich nahm eine Pizza Speciale und Raphael Spaghetti all Arrabbiata. Sein Lieblingsgericht, wie er mir verriet. »Hast du dich schon ein bisschen in Berlin eingelebt?«, sprach Raphael mich nach einer Weile an. Er schob die Ärmel seiner Trainingsjacke zurück und gab somit ein Stück weit den Blick auf seine Tattoos an den Armen frei. »Ja einigermaßen. Allerdings kenne ich noch fast niemanden, außer meine Arbeitskollegen und zwei Leute aus der Uni.« Kurz darauf kam der Kellner und brachte uns das Essen an den Tisch.

»Was bedeutet eigentlich dieses ›1150‹ auf deiner Hand?«, fragte ich neugierig und deutete auf sein rechtes Handgelenk. »1150 ist die Postleitzahl von Rudolfsheim-Fünfhaus, dem 15. Bezirk in Wien. Dort bin ich aufgewachsen. Ich verbinde sehr viel aus meinem Leben damit«, sagte er. »Du kommst aus Wien?«, hakte ich nach.

»Ich wurde in Vevey, im französischsprachigen Teil der Schweiz geboren. Meine Muttersprache ist also Französisch. Mein Vater ist Österreicher, meine Mutter Italienerin. Als ich sechs Jahre alt war, bin ich mit meiner Familie nach Wien gezogen und in Fünfhaus mit vielen Menschen vom Balkan aufgewachsen, die wegen des Bürgerkriegs dort hin geflohen sind. Mit 15 habe ich ein Jahr auf der Straße gelebt. Das war eine verdammt schwierige Zeit. Zu dem Zeitpunkt habe ich übrigens meine erste Rap-Crew namens ›Rapatoi‹ gegründet. Seit 2007 wohne ich hier in Berlin, weil man dort im Vergleich zu Österreich als Musiker viel bessere Chancen hat und ernst genommen wird«, berichtete er.

Wow! Er schien bisher ein sehr interessantes, aber auch echt hartes Leben gehabt zu haben. Besonders die Tatsache, dass er ein Jahr auf der Straße gelebt hat, berührte mich. Ich würde gerne mehr darüber erfahren, traute mich aber zum jetzigen Zeitpunkt nicht nachzufragen. Dazu kannten wir uns noch nicht gut genug, wahrscheinlich würde er es mir nicht anvertrauen.

Was mir eben erneut aufgefallen ist, war seine unglaublich tiefe, dunkle Stimme, die so angenehm klang, dass ich ihm problemlos noch mehrere Stunden zuhören könnte - egal was er erzählen würde. Vielleicht sollte ich mir bei Gelegenheit wirklich mal mehr von seiner Musik anhören.

Ich berichtete Raphael im Gegenzug von meinem bisher eher unspektakulären Leben in Hamburg, meinem Studium, wie ich Alex kennengelernt hatte und dass sich meine Eltern getrennt hatten, als ich 12 Jahre alt war. Einige Details ließ ich dabei jedoch bewusst aus.

»Glaub mir, ich weiß, wie sich das anfühlt. Meine Eltern haben sich leider auch recht früh getrennt und ich hatte kein besonders gutes Verhältnis zu meinem Vater. Ich und meine Schwester mussten immer ihre Streitereien ertragen. Sie war aber noch sehr klein und hat zum Glück nicht so viel davon mitbekommen«, meinte er und wurde gegen Ende immer leiser. Raphael war angespannt und fixierte gedankenverloren die weiße Wand hinter mir.

Um die aufkommende bedrückende Stimmung abzuwenden, wechselten wir das Thema. Schließlich wollten wir beide einen schönen Abend miteinander verbringen und nicht ausschließlich in unangenehmen Erinnerungen an unsere Vergangenheit schwelgen. Raphael begann, mir von seiner Musik zu erzählen und wie immer bei diesem Thema, leuchteten seine Augen förmlich. Ich merkte, wie er dafür brannte und mit Leib und Seele dabei war.

Raphael schaute mir für einen kurzen Moment tief in die Augen und zog mich sofort in seinen Bann. Sein Blick war so intensiv, dass mein Bauch anfing, leicht zu kribbeln und sich eine leichte Gänsehaut an meinen Armen bildete. Unsicher wandte ich mein Gesicht dem letzten Rest Pizza auf meinem Teller zu. Ich war es nicht gewohnt, dass mein Körper so auf die Blicke einer anderen Person reagierte.

Raphael hatte darauf bestanden zu zahlen. Als wir fertig waren, zog ich meine Jacke an und wir verließen das Restaurant. »Wollen wir noch ein bisschen spazieren gehen?«, schlug der Riese neben mir plötzlich vor. »Ja gerne.« Ich hatte nichts dagegen einzuwenden, noch etwas Zeit mit ihm zu verbringen. Auch wenn wir uns erst seit Kurzem kannten, fühlte ich mich in seiner Gegenwart sehr wohl.

Wir drehten ein paar Runden in einem Park nahe der Pizzeria. Irgendwann liefen wir nur noch schweigend nebeneinander her. Es war aber keine unangenehme Stille, im Gegenteil. Das war ebenfalls eine Eigenschaft, die ich an Raphael mochte. Man musste nicht durchgehend miteinander reden, sondern konnte genauso gut zusammen schweigen, ohne dass es einen von uns störte. Das Glück hatte ich bisher bei nicht vielen Personen.

Langsam wurde ich müde und begann automatisch zu gähnen. Raphael schien dies bemerkt zu haben. »Du bist müde«, stellte er sachlich fest. »Soll ich dich nach Hause bringen?« »Vielen Dank für das Angebot, aber das ist echt nicht nötig. Ich komme schon zurecht. Mach dir keine Umstände«, lehnte ich freundlich ab.

»Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich dich alleine nach Hause laufen lasse? Das ist für so eine hübsche Frau in der Dunkelheit gefährlich und außerdem kennst du dich hier nicht so gut aus. Für mich sind das keine Umstände, sondern eine Selbstverständlichkeit. Ich will, dass du jetzt und auch bei unseren nächsten Treffen sicher zuhause ankommst.« Aha, er rechnete also damit, dass wir uns in Zukunft weiterhin verabreden würden. Darüber freute ich mich natürlich. Ich war nämlich ebenso daran interessiert, ihn wiederzusehen und besser kennenzulernen.

»Warum fragst du mich überhaupt, wenn ich sowieso keine andere Wahl habe, als mit dir mitzukommen?«, fragte ich grinsend. »Nur so aus Anstand. Und jetzt komm!« »Aber wir können doch jetzt nicht mit deinem Auto fahren. Raphael, wir haben vorhin beide Alkohol getrunken. Wäre ziemlich verantwortungslos«, gab ich zu bedenken und beäugte ihn kritisch.

»Du hast recht. Dann lass ich mein Auto eben stehen, hole es morgen ab und wir gehen zu Fuß zu dir«, beschloss er. Nachdem ich ihn sowieso nicht davon abbringen konnte und es irgendwie auch ganz süß fand, dass er sich so um mich sorgte, stimmte ich zu. Er legte seinen Arm um mich und zog mich ein Stückchen näher zu sich heran. Es fühlte sich gut an und gab mir ein Gefühl von Sicherheit. So verließen wir gemeinsam den Park.

Einige Zeit später standen wir vor dem Häuserblock, in dem ich wohnte. Raphael fragte nach meiner Nummer, damit wir in Kontakt bleiben konnten. Ich tippte sie in sein Handy ein, welches er mir entgegenhielt. Als ich fertig war, gab ich es ihm mit den Worten »schreib mir bitte, wenn du gut zuhause angekommen bist«, zurück. »Mach ich. Danke für den schönen Abend.« »Ich muss dir danken. Für die Einladung, dass du mich nach Hause gebracht hast, für alles«, antwortete ich und lächelte ihn an.

Wir umarmten uns zur Verabschiedung, wobei Raphael mich ein kleines bisschen länger als nötig festhielt. Er hob seine Hand zum Abschied, drehte sich um und verschwand in der Dunkelheit.

Mich würde mal sehr interessieren, wie ihr die Geschichte so insgesamt bisher findet, auch das Äußere. Also damit meine ich z.B. wie findet ihr meinen Schreibstil, das Cover, die Kapitellänge etc. und sind euch die Personen bisher sympathisch? Würde mich sehr über ein bisschen Feedback/Kritik/Verbesserungsvorschläge etc. freuen🥰

In meiner Wolke | 1raf7Nơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ