21 | John

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Sarahs Sicht

Sobald ich aus dem Zug ausgestiegen war, lief ich auf Alex zu, der mich vom Bahnhof abholen kam und begrüßte ihn. Wie hatte ich ihn vermisst. Wie hatte ich Hamburg vermisst. Ich fühlte mich endlich wieder zuhause. Auf dem Weg zum Auto und während der Fahrt brachten wir uns gegenseitig auf den neuesten Stand der Dinge. Alex war natürlich besonders daran interessiert, was zwischen mir und Raphael lief und so versuchte er, jedes Detail aus mir herauszuquetschen. Einiges behielt ich aber für mich.

»Wohin fahren wir eigentlich?«, fragte ich Alex nach einer Weile und sah ihn von der Seite an. »Ich würde sagen, wir gehen wie in alten Zeiten 'nen Döner auf dem Kiez essen und danach zu mir«, schlug er vor. »Perfekt!« Da ich in Hamburg keine eigene Wohnung mehr hatte und die Hotelpreise gerade in der Weihnachtszeit relativ hoch waren, durfte ich bei Alex übernachten.

Während wir beim Essen in unserer Lieblingsdönerbude saßen, in der wir seit Jahren Stammgäste waren, bekam Alex einen Anruf. »Hi, was geht?«, meldete er sich. Ich bekam nur vereinzelte Gesprächsfetzen mit, verstand aber gerade so viel, dass er mit einem seiner 187er Jungs sprach.

Als er aufgelegt hatte, wandte er sich an mich. »Sarah?« »Was ist denn?« Erwartungsvoll sah ich ihn an. »Tut mir leid, aber ich muss noch mal ins Studio fahren. John braucht mich. Hast du Lust mitzukommen?« »Ja okay, ich bin dabei.« Wir verbrachten einen sehr unterhaltsamen Nachmittag im Studio. Dabei lernte ich John etwas näher kennen, der mir mit seiner lustigen, fröhlichen Art eigentlich auch recht sympathisch erschien. Ich konnte auf jeden Fall nachvollziehen, weshalb sich Raphael und Alex so gut mit ihm verstanden.

Für den nächsten Tag hatte ich geplant in die Stadt zu fahren, um Weihnachtsgeschenke zu kaufen. Alex war mal wieder irgendwo draußen unterwegs und hatte mir lediglich einen Zettel hinterlassen, auf dem stand, dass er erst abends zurückkommen würde. Nachdem ich meine nötigsten Utensilien zusammengepackt hatte, öffnete ich die Wohnungstür und prallte plötzlich gegen etwas Hartes. Ich taumelte einen Schritt zurück, stolperte und wurde Sekunden später von zwei starken Armen davor bewahrt, auf dem Fußboden zu landen. Ich wollte gerade ansetzen zu fluchen, als ich aufsah und realisierte, gegen wen ich gelaufen war.

»Moin! Ich bin es ja gewohnt, dass die Weiber mich alle toll finden und begeistert sind, mich zu sehen, aber du musst doch nicht gleich umkippen«, grinste mich John breit an. »Blödmann«, gab ich zurück und streckte ihm die Zunge raus. »Na, nicht gleich frech werden.« Er hob drohend den Zeigefinger. »Was machst du überhaupt hier?«, fragte ich, um von meiner peinlichen Kollision mit ihm abzulenken. »Wonach sieht es denn aus? Ich wollte Alex besuchen.« Er zuckte mit den Schultern. »Der ist nicht hier und er kommt auch erst heute Abend zurück«, informierte ich ihn.

»Achso schade. Und was hast du Schönes vor?« »In die Stadt fahren und Weihnachtsgeschenke kaufen.« »Für wen?«, hakte er nach. »Neugierig bist du gar nicht, oder? Aber wenn du es unbedingt wissen willst: für meine Familie, meine beste Freundin Amina und für Alex.« Raphael und ich hatten vorerst beschlossen, uns nichts zu schenken. »Und ich bekomme keins?«, fragte er gespielt entsetzt. »Mal sehen. Vielleicht, wenn ich auch eins von dir kriege.«

»Na dann komm. Du brauchst doch bestimmt jemanden, der für dich Taxi spielt und deine Einkaufstaschen trägt.« Eigentlich sprach nichts dagegen, mal etwas mit John zu unternehmen. Es kam mir sogar gelegen. »Taxi? Soweit ich weiß, hast du doch gar keinen Führerschein, geschweige denn einen Personenbeförderungsschein«, stellte ich fest und musste schmunzeln.

»Sei nicht so spießig. Das ist alles nur unnötiger Papierkram. Ich kann trotzdem Auto fahren. Bonez MC braucht keinen Führerschein«, ließ er bestimmt verlauten. Ganz wohl war mir bei der Sache nicht. Warum war ich eigentlich andauernd nur von Verrückten umgeben? Erst Max in Berlin, der mich gegen meinen Willen zu Raphael verschleppte und jetzt auch noch John, der, so wie ich ihn einschätzte, mit viel zu hohem Tempo mit mir über Hamburgs Straßen heizen und dabei laut seine eigene Musik pumpen würde. Und das Ganze auch noch ohne Fahrerlaubnis.

Es musste zugegebenermaßen ziemlich merkwürdig aussehen, wie ich wenig später neben John in dessen getunten Smart Brabus saß. Ich fragte mich, wie dieser Riese überhaupt in solch ein kleines Auto reinpasste. Mit seinem Sitz war John so weit wie möglich nach hinten gerutscht. Er stieß schon fast mit dem Kopf an die Decke. »Digga, ich bin froh, wenn endlich wieder Sommer ist. Dann kann ich hier das Dach aufmachen und oben drüber rausschauen«, feixte er. Ich stellte mir die Situation gerade bildlich vor und konnte mich kaum noch einkriegen vor Lachen.

Es kam übrigens wie von mir prophezeit. John düste mit 72 km/h durch die 50er-Zone und rappte nebenbei lauthals zu seinen eigenen Texten, sowie denen der anderen 187 Mitglieder, die aus dem Subwoofer dröhnten. Natürlich zog er so auch die Aufmerksamkeit einiger Passanten auf sich, was er sehr zu genießen schien.

Nach einigen Stunden hatten wie mehrere Einkaufspassagen abgeklappert und kleine Zwischenstopps bei Starbucks sowie bei Happy Waffel eingelegt. John hatte gefühlt 100 Bilder mit Fans gemacht und fleißig seine Instagram Stories mit Videos gefüttert, in denen ich Gott sei Dank nicht zu erkennen war. Zudem konnte ich ihn ein wenig über Raphael ausfragen, schließlich kannten sich die beiden schon lange.

John hatte tatsächlich sein Versprechen gehalten und neben seinen eigenen Tüten auch die von mir getragen. Zum Glück war ich für meine Verhältnisse schnell fündig geworden und hatte für alle Personen ein Geschenk ergattern können. Auf dem Rückweg bat John mich darum, selbst zu fahren, da er in Ruhe eine rauchen wollte. Wie hätte ich auch denken können, dass John wie andere normale Menschen einfach eine Zigarette rauchen würde? Stattdessen nahm er sich einen vorgedrehten Joint aus der Mittelkonsole und zündete ihn an.

Wenigstens war er so vernünftig nicht high Auto zu fahren, allerdings glich der Smart nun einer Hotbox. Die Fenster hatte er aufgrund der Kälte nur für höchstens eine Minute aufgemacht. Bei Alex' Wohnung angekommen begleitete er mich nach oben, um mir wieder beim Tragen zu helfen, auch wenn ich meinte, dass ich das alleine schaffen würde.

Alex war inzwischen wieder da und empfing mich im Wohnzimmer. »Sag mal, bist du in eine Marihuana-Plantage gefallen oder warum riecht es hier so intensiv nach Gras?«, wollte er belustigt wissen. »Frag den da«, deutete ich auf John, der unschuldig die Hände hob. »Er musste ja unbedingt bei geschlossenen Fenstern im Auto kiffen. Ich fühle mich immer noch total benebelt«, erklärte ich schließlich. Dafür kassierte John einen strafenden Blick und einen leichten Schlag von Alex. Er wusste genau, dass ich mit Drogen nichts zu tun haben wollte und normalerweise ziemlich empfindlich bei so etwas war.

Da er nichts weiter vorhatte, lud sich John kurzerhand selbst zu uns ein und wir verbrachten den Abend zu dritt. So kam es, dass ich nach dem Essen tatsächlich mit zwei Gangsterrappern am Tisch saß und stundenlang Monopoly spielte. Es war übrigens Johns Idee gewesen und im Großen und Ganzen hatten wir alle unseren Spaß. Nachdem Alex zum 5. Mal hintereinander im Gefängnis gelandet war, stand er kurz davor die Bank zu überfallen. Am Ende gewann John mit viel Glück, jedoch nicht ganz unverdient. Er war eben immer wieder für Überraschungen gut.

Na, wer von euch würde auch gerne mal so einen Tag mit John zusammen verbringen? Ich würde es mir auf jeden Fall sehr lustig vorstellen.😄

In meiner Wolke | 1raf7Where stories live. Discover now