Nero wählt das geringere Übel (3)

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Er hatte Great Falls schon immer als ein wenig depressiv empfunden, mit seinen flachen Dächern, kleinen Häusern, brutalistischen Innenstadt-Klötzen und allgegenwärtigen Industriespuren, und die kahlen Bäume des fortschreitenden Herbstes machten es keineswegs hübscher. Im Gegenteil. Andererseits war es auch kein Ort, an dem man aufgrund der aufregenden Innenstadt-Aussicht wohnte.

Der Wind trieb welke Blätter an seinen Füßen vorbei, und der Himmel versprach nahenden Regen, während er die 6th Avenue herabwanderte. Er registrierte Passanten, sah Augen und Mienen und flüchtige Gesten und Straßenschilder und Shopbeschriftungen, alles auf einmal, während sein Gehirn es fein säuberlich sortierte und nebeneinander vorführte, damit Nero auch ja kein Aspekt seines nichtigen Daseins entging. Inzwischen fühlte er sich müde bis tief drinnen, und wünschte, er hätte das Handy einfach ruhen lassen, statt zu einem Punkt zu kommen, an dem er sich um die Probleme anderer Leute kümmerte.

Vor weißer Hausfassade in einer Reihenhaussiedlung blieb er stehen. Kurz drückte er auf den Klingelknopf, an dem er Elis Name erkannte, und legte sich im Kopf Satzanfänge zurecht. Soweit Tanner ihm erzählt hatte, war er kein regulärer ‚harter' Dealer. Seine Laufkundschaft waren überwiegend Studenten und Feierwütige, die sich ein wenig Cannabis fürs Wochenende holen wollten oder MDMA und Speed für ihre Partynächte suchten, ohne zu wissen, was Elijah sonst noch vertickte. Das Heroin ging in erster Linie über Onlinehandel raus, und nur, wer fragte, wusste, dass man von ihm auch Schorre beziehen konnte.

Ganz leise meinte er das summende Geräusch irgendwo über sich zu vernehmen, vielleicht aus einem angeklappten Fenster, aber eine Reaktion blieb aus. Gewohnheitsmäßig klingelte Nero ein zweites Mal, lauschte allen ausbleibenden Rückmeldungen und drückte schließlich sachte gegen die Haustür. Sie schwang auf. Er hob die Brauen, beinahe beeindruckt von der Fahrlässigkeit, und trat ins Innere. Wenn er Pech hatte, dann war Eli irgendwo unterwegs und kam erst in ein, zwei Wochen zurück ... wenn er Glück hatte, dann noch diesen Abend. Nero schlenderte ins Innere des dämmrig beleuchteten Flurs, zückte sein Handy, prägte sich das Foto über dem YU.Space-Profil noch einmal ein und beschloss, seinen Einsatz zu wagen.


„Und du willst echt nicht mit hochkommen?" Eli versuchte sich an einem charmanten Lächeln, als könnte das irgendwie verbergen, dass es ihn sämtliche Selbstbeherrschung kostete, nicht jede wache Sekunde ins Gesicht des Mädchens zu blicken. Oder tiefer, wahlweise. Bei dieser Kleidung forderte sie es doch ohnehin heraus.

Jeanny gefiel sich wie immer darin, ihn mit Grinsen und Augenaufschlag hinzuhalten. Er verlagerte das Gewicht der Einkaufstüte, die über seiner Schulter hing, während sie ihn gegen den Arm stieß. „Also, nach allem, was ich gehört habe, was in diesem Zimmer passiert ist, will ich da gar keinen Fuß reinsetzen."

„Gar nichts ist da passiert!", beschwerte er sich lachend – es war ja nun nicht unbedingt seine Schuld, wenn seine Kumpels sich nicht unter Kontrolle halten, und da kein Teppich auf dem Boden lag, war es ja auch nicht allzu schwer, die Spuren zu beseitigen, wenn es doch mal einer übertrieb und ihm in die Wohnung reiherte.

„Ah ja? Da hat man mir anderes erzählt." Sie schien in ihrem Entschluss fest. Eli zerbrach sich den Kopf, mit welchem Argument er den Bogen zu seiner Haustür schlagen sollte, für ein erweitertes ‚Willst du wirklich, wirklich,wirklich nicht, ich hab auch guten Stoff da'- Angebot, aber jetzt standen sie schon vor Jeannys Wohnblock, und ihm fiel keine überzeugende Ausrede ein, mit der er sie dazu bringen konnte, auch nur noch einen Schritt zu gehen.

„Na dann..." Sie winkte schwach, mit verborgenem Lächeln auf den Lippen, hob ihre Einkaufstasche höher und seufzte, als sie nachdem Schlüssel zu kramen begann.
„Oha, krieg ich nichtmal nen Abschiedskuss?", beschwerte er sich im Mut der Verzweiflung, und Jeanny lachte, während ihr der blonde Pferdeschwanz auf dem Rücken wippte. Es klang entweder herausfordernd oder aber peinlich berührt, und Eli entschied, dass es Ersteres war. Himmel, seit er ihren Paycontent online gefunden hatte, wusste er, dass das so süße und unscheinbare kleine Ding doch nur darauf wartete, dass er sich nahm, was -

The Games We Play (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt