Prügelei im Diner

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Immer wieder schlage ich so doll ich kann auf den Boxsack ein. „Woah, ganz ruhig, Kleine.", lacht Cooper auf. Das ist meine erste Stunde in dem Boxstudio, dass ich mir vor kurzem ausgesucht habe. „Was ist dir denn über die Leber gelaufen?", fragt er und hält den schwankenden Boxsack an. „Mein Bruder.", keuche ich. „Jünger oder älter?", fragt er. „Älter." Er nickt, sagt aber nichts. Stattdessen gibt er den Boxsack wieder frei. „Noch fünf Minuten, dann solltest du aufhören deinen älteren Bruder zu verprügeln."

„Wie wäre es noch mit ein paar Intervallen?", fragt er am Ende meiner Stunde. Ich nicke und nachdem er mir drei Übungen genannt hat, verabschiedet er sich. Ich gehe in eine andere Ecke des Studios und beginne mit den Intervallen. Ich habe das Gefühl, einfach nicht aufhören zu können. Immer wieder sehe ich das Bild meiner weinenden Mutter und den zerrissenen Fotos vor mir. Als ich dann fertig bin, lege ich mich auf den Boden und atme tief durch. Ich werde morgen den Muskelkater meines Lebens haben.

Ich schaue im Liegen auf mein Handy. Keine neue Nachricht von Mat. Ich beschließe, ihm ein Foto vom dem Boxstudio zu schicken und schreibe drunter, dass ich wieder angefangen habe.

Als ich aus der Dusche komme, habe ich eine neue Nachricht von Mat. >Komm lieber her und trainiere bei mir< Ich muss schmunzeln. >Sag mir wann und ich werde da sein.< Dann ziehe ich mich an und schnappe mir meine Tasche. Meine Glückshormone sind durch den Sport und seine Nachricht ins unermessliche gestiegen. >Werde ich, aber erstmal sehen wir uns morgen im Diner<

Wir haben den ganzen Abend so weiter geschrieben. Ich habe ihn gefragt, wie sein Tag war und er meinte, er wäre nicht anders als sonst: stressig. Ich will gerade fragen, was genau stressig war, als eine weitere Nachricht von ihm eingeht. >Ich vermisse dein Zimmer.< >Nur mein Zimmer?<, antwortete ich, denn so langsam werde ich mutig. >Nein, und das Frühstück.< Was für ein Mistkerl! Ich sitze den ganzen Abend auf meinem Sessel und grinse mein Handy an, doch irgendwann antwortet er nicht mehr und ich lege es enttäuscht beiseite.

Freitagabend

"Naa, wie war es in der Schule?", fragt Bruno, als ich meine Schicht antrete. "Frag nicht. Wir haben einen Test geschrieben, den ich total vergessen habe. Ich habe nur >Sorry< draufgeschrieben und ihn leer wieder abgegeben.", sage ich frustriert. Bruno lacht. "Na wenigstens hast du dich entschuldigt." "Heute ist noch mehr los als sonst.", stellt er fest, als er sich umsieht. Ich bin wirklich froh, dass Bruno mir meinen Abgang nach dem Kino verziehen hat. Es wäre schrecklich, auf der Arbeit nicht mehr mit ihm reden zu können. Er wollte keine Erklärung haben, sondern hat mich lediglich gefragt, ob ich alles klären konnte und es mir gut geht. Bruno ist zu gut für diese Welt, das steht fest.

"Das Problem ist bloß, dass sich die drei da hinten an den Tisch der Blinders gesetzt haben.", sagt Bruno und schaut angestrengt zu dem besagten Tisch. "Verdammt, was machen wir?", frage ich entsetzt. So etwas ist noch nie passiert, eigentlich weiß jeder, dass man sich nicht an diesen Tisch setzt. "Also entweder, du bietest deinen Freunden später einen anderen Tisch an oder wir beten, dass sie schnell genug fertig sind und die Blinders es gar nicht mitbekommen. Ein anderer Tisch ist nämlich auch nicht frei und Sabine würde uns umbringen, wenn wir drei Kunden vergraulen." Ich nicke geistesabwesend. Mat würde das niemals auf sich sitzen lassen, egal, ob ich dazu etwas sage oder nicht.

"Hey Leute, tut mir Leid, wenn ich störe, aber... der Tisch ist eigentlich reserviert.", sage ich so freundlich wie möglich. Die drei Typen schauen mich finster an. Einer von ihnen hat ein Tattoo im Gesicht mit einem chinesischen Zeichen oder so. "Na und?", fragt er. "Seid ihr bis 21 Uhr fertig, damit ich den Tisch für die Reservierung vorbereiten kann?", frage ich wieder so freundlich wie möglich. "Vielleicht, vielleicht aber auch nicht." Langsam platzt mir der Kragen, was für ein arrogantes Arschloch! Ich drehe mich um, denn ich habe all mein Pulver verschossen. Wie kann man nur so unkooperativ sein? "Und?", fragt Bruno. "Fehlgeschlagen.", antworte ich. "Dann könnte es hier heute spannend werden.", sagt er.

Punkt 21 Uhr stehen die Blinders auf der Matte, allen voran Mat, der heute zur Abwechslung mal dunkelblau statt schwarz trägt. Sie wollen gerade an ihren Tisch gehen, da bemerken sie die drei und bleiben stehen. Mat macht eine Kopfbewegung, die anscheinend Vince zu verstehen gibt, nach vorne zu gehen. Er geht an den Tisch und sagt etwas zu den Typen, die ihn gelangweilt ansehen. Er beugt sich vor und lehnt sich auf den Tisch, doch die Typen beeindruckt das nicht. Dann folgt Jason und Emre und plötzlich stehen alle davor. "Fuck.", flüstere ich und will mich gerade in Bewegung setzen, als der erste Schrei ertönt. Mat hat einem von ihnen voll ins Gesicht geschlagen. Die anderen springen auf und stürzen sich auf Vince. "Hey.", schreie ich, doch ich höre mich noch nicht einmal selbst, so laut ist es geworden. Ich nähere mich vorsichtig und bleibe seitlich dieser Gruppe stehen. "Es reicht.", rufe ich. "Hört sofort auf oder ich muss die Polizei rufen." Da drehen sich sofort mehrere Augenpaare in meine Richtung. Mat sieht mich wütend an, der mit dem Tattoo im Gesicht ebenfalls. "Guckt mich nicht so blöd an. In diesem Diner gibt es keine Schlägereien. Ich habe euch gesagt, ihr sollt bis 21 Uhr verschwunden sein." Ein bisschen stolz über meine Ansage verschränke ich demonstrativ meine Arme ineinander. Mat bricht seine Bewegung ab und senkt seinen Arm wieder. Die anderen drei laufen gefährlich nah an ihnen vorbei, klatschen mir Geld auf einen Tisch und verschwinden.

Nachdem ich den Tisch abgeräumt habe, wende ich mich an Mat. "Das war sowas von unnötig.", sage ich trocken und gehe wieder. Es macht mich sauer, dass er einfach so auf jemanden einschlägt, obwohl er weiß, dass ich hier arbeite. Als ich das nächste Mal mit den Getränken an den Tisch komme, antwortet er mir auf meinen Kommentar von eben. "Rede nie wieder so mit mir." Seine Stimme ist eiskalt. Sind wir wirklich wieder an dem Punkt angekommen? Ich verdrehe meine Augen und will gerade gehen, da höre ich seine Stimme. "Was habe ich dir dazu gesagt?"

Ich wische gerade einen benachbarten Tisch ab, als ich meinen Namen höre. Ich gehe davon aus, dass die sechs zahlen wollen und hole schon meinen Block heraus. "Können wir kurz reden?", fragt Mat. Die anderen sehen zwischen uns hin und her. "Ungestört?" Ich nicke und er folgt mir in den Aufenthaltsraum. Dort lehnt er sich gegen die Tür, damit auch niemand reinkommen kann. "Was war das gerade?", fragt er und betrachtet seine Schuhe. "Wie, was war das gerade?", frage ich ungläubig. "Pass mal auf, wenn du dich wirklich mit mir treffen willst, dann solltest du mehr Respekt vor mir haben. Sowas geht nicht, besonders nicht vor meinen Jungs." Was für eine klischeehafte Ansprache! "Du verhältst dich ja wohl eher mir gegenüber Respektlos. Du weißt genau, dass ich hier arbeite und trotzdem zettelst du eine Prügelei an." "Ja, du arbeitest hier in diesem kleinen Diner, ich regiere dieses verdammte Viertel." Höre ich da ein klein wenig Größenwahn heraus? "Gut, tut mir Leid, mein König.", sage ich und will den Raum verlassen. Natürlich gibt er die Tür nicht frei. "Versetz dich nur einmal in meine Lage.", zischt er und tritt einen Schritt zur Seite.

Matthew - My Guardian and Guilt / Abgeschlossen.Where stories live. Discover now