22. Langsam sterben

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Die nächste Woche schien unendlich lang. Taehyung und ich beschlossen, dass es am besten wäre, wenn er eine Zeitlang im Studentenwohnheim wohnte. Yoongi fügte sich wiederstrebend. Jimin versäumte Geschichte an allen drei Tagen und aß nicht in der Cafeteria. Ich versuchte, ihn nach ein paar seiner anderen Lehrveranstaltungen abzufangen, aber entweder war er dort auch nicht hingegangen oder hatte sie vorzeitig wieder verlassen.
Ans Handy ging er auch nicht.

Yoongi versicherte mir, er sei okay und ihm sei nichts zugestoßen. So quälend es auch war zu wissen, dass ich nur wenige Schritte von Jimin entfernt war - als noch schlimmer hätte ich es empfunden, total von ihm abgeschnitten zu sein und nicht zu wissen, ob er tot oder lebendig war. Obwohl er offenbar nichts mehr mit mir zu tun haben wollte, konnte ich doch nicht aufhören zu hoffen, er würde mir irgendwann vergeben oder anfangen, mich so zu vermissen, wie ich ihn, und wieder in der Wohnung auftauchen. Mir vorzustellen, dass ich ihn nie mehr wiedersähe, tat zu weh, also beschloss ich, weiter zu warten.

Am Freitag klopfte Yoongi an meine Zimmertür.
»Komm rein«, sagte ich vom Bett aus, wo ich lag und an die Decke starrte.
»Gehst du heute aus, Kumpel?«
»Nein.«
»Vielleicht solltest du Kai anrufen. Geh und gönn dir ein paar Drinks und lenk dich ein bisschen ab.«
»Nein.«
Yoongi seufzte. »Hör zu, Taehyung kommt her, aber... und ich hasse es, dir sagen zu müssen... aber du kannst ihn nicht wegen Jimin löchern. Ich konnte ihn kaum überreden herzukommen. Er will sowieso nur in meinem Zimmer sein. Okay?«
»Ja.«
»Ruf Kai an. Und du musst was essen und dich duschen. Du siehst scheiße aus.«

Danach machte Yoongi die Tür wieder zu. Sie schloss nicht mehr richtig, seit ich sie aus den Angeln gerissen hatte. Jedes Mal, wenn jemand sie zumacht, fiel sie wieder ein, wie ich die Wohnung verwüstet hatte, weil Jimin gegangen war, und wie er bald danach zurückgekehrt war und wir unser erstes Mal erlebt hatten.

Ich schloss die Augen, aber wie an jedem anderen Abend der Woche konnte ich nicht schlafen. Das Leute wie Yoongi diese Qualen mehrmals wegen verschiedenen Personen ausgestanden hatten, war der Wahnsinn. Selbst wenn ich nach Jimin jemanden kennenlernen sollte und selbst falls der Kerl es irgendwie mit Jimin aufnehmen konnte, war es für mich unvorstellbar, mein Herz noch mal herzugeben. Einfach damit ich das hier nicht wieder erleben müsste. Das ist wie langsam sterben. Wie es aussieht, hatte ich von Anfang an recht.

Zwanzig Minuten später hörte ich Taehuyngs Stimme aus dem Wohnzimmer. Sie sprachen leise ind versteckten sich vor mir in Yoongis Zimmer, aber trotzdem hallte es wie ein Echo durch die ganze Wohnung.
Selbst Taehyung Stimme war mir unerträglich. Zu wissen, dass er wahrscheinlich kurz vorher Jimin gesprochen hatte, war quälend.

Ich zwang mich, aufzustehen und ins Bad zu gehen, um mich zu duschen und ein paar grundlegende hygienische Rituale zu erledigen, die ich in den vergangenen Wochen vernachlässigt hatte.
Das Rauschen des Wassers übertönte Taehyungs Stimme, aber sobald ich es abdrehte, konnte ich ihn wieder hören.

Ich zog mich an und schnappte mir meine Motorradschlüssel, um zu einer langen Tour aufzubrechen. Wahrscheinlich würde ich am Ende bei Dad landen, um ihm die Neuigkeit mitzuteilen.

Gerade als ich an Yoongis Tür vorbeiging, klingelte Taehyungs Handy. Und zwar mit dem Klingelton, den er für Jimin zugeordnet hatte. Mir wurde flau.
»Ich kann dich abholen kommen und irgendwo mit dir zum Abendessen gehen«, hörte ich Taehyung sagen.
Jimin war wahrscheinlich hingrig. Vielleicht ging er in die Cafeteria.
Ich rannte hinaus zu meiner Harley, raste vom Parkplatz und, alle roten Ampeln und Stoppschilder ignorierend, zum Campus.

Als ich bei der Cafeteria ankam , war Jimin nicht dort. Ich wartete noch ein paar Minuten, aber er tauchte nicht auf. Mit hängenden Schultern trottete ich zurück zum Parkplatz. Es war ein stiller Abend. Kalt. Das Gegenteil des Abends, an dem ich Jimin nach der gewonnenen Wette zum Wohnheim begleitet hatte. Das erinnert mich wieder daran, wie einsam ich mich fühlte, weil er nicht bei mir war.

Loving Disaster | JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt