Prolog

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»Kannst du das für Eomma tun? Wirst du dir merken, was ich dir gleich sagen werde?« Ich nickte und sie hob eine Hand an meine Wange. Ihre Haut fühlte sich nicht besonders warm an, und sie konnte ihre Hand nur ein paar Sekunden heben, bevor sie zu zittern begann und wieder aufs Bett fiel.
»Erstens ist es okay, traurig zu sein. Es ist okay, so zu fühlen. Vergiss das nicht. Zweitens, sei, solange es geht, ein Kind. Spiel, Jungkook. Sei albern« - ihre Augen schwammen in Tränen -, »und du und deine Brüder, passt ihr aufeinander auf und auch auf euren Vater. Selbst wenn ihr einmal groß seid und auszieht, ist es wichtig, immer wieder nach Hause zurückzukommen. Okay?«

Ich nickte heftig, verzweifelt, um ihr den Gefallen zu tun.
»Eines Tages wirst du dich verlieben, mein Sohn. Gib dich nicht mir irgendjemanden zufrieden. Such dir jemanden aus, der nicht leicht zu haben ist, sondern um das du kämpfen musst, und dann hör niemals auf zu kämpfen. Niemals« - sie holte tief Luft - »darfst du aufhören, um das zu kämpfen, was du dir wünscht. Und niemals« - sie runzelte die Stirn - »darfst du vergessen, dass Eomma dich lieb hat. Selbst wenn du mich nicht mehr sehen kannst.«
Eine Träne rollte über ihre Wange.
»Ich werde dich immer, immer lieben.«

Sie rang keuchend nach Atem, dann hustete sie.
»Okay«, sagte die Krankenschwester und steckte sich irgendwas Komisches in die Ohren. Das andere Ende davon drückte sie auf Eommas Brust.
»Zeit, sich auszuruhen.«

»Mir bleibt keine Zeit mehr«, flüsterte Eomma.
Die Krankenschwester sah meinen Vater an.
»Es geht zu Ende, Mr. Jeon. Sie sollten jetzt besser die anderen Jungs holen, damit sie sich verabschieden.

Mein Vater presste die Lippen aufeinander und schüttelte den Kopf.
»Ich bin noch nicht bereit.«
»Sie werden nie bereit sein, ihre Frau zu verlieren. Aber Sie wollen sie doch nicht gehen lassen, ohne dass die Jungs sich verabschieden konnten.

Mein Vater überlegte kurz, dann wischte er sich mit dem Ärmel über die Nase und nickte. Er stampfte aus dem Zimmer, als sei er wütend.

Ich beobachtete Eomma, sah, wie sie versuchte, Luft zu holen, und wie die Krankenschwester die Zahlen an einem Gerät neben ihr kontrollierte.
Ich berührte Eommas Hand.
In dem Blick, den mir die Krankenschwester schenkte, konnte ich sehen, dass sie etwas wusste, das ich nicht wusste.
Mir wurde übel.

»Weißt du, Jungkook«, sagte sie und beugte sich zu mir hinunter, um mir in die Augen zu schauen, »Die Medizin, die ich deiner Eomma jetzt gebe, macht sie schläfrig, aber sie kann dich trotzdem hören. Du kannst ihr immer noch sagen, dass du sie lieb hast und vermissen wirst, und sie wird alles hören, was du sagst.«

Ich schaute Eomma an und schüttelte rasch den Kopf. »Ich will sie aber nicht vermissen.«
Die Krankenschwester legte ihre weiche, warme Hand auf meine Schulter, genau wie Eomma es inmer getan hatte, wenn sie traurig war.

»Deine Eomma möchte ja gerne hier bei dir sein. Das wünscht sie sich so sehr. Aber der liebe Gott möchte sie jetzt bei sich haben.«
Ich machte ein finsteres Gesicht.
»Ich brauche sie mehr.«
Die Krankenschwester lächelte, dann drückte sie einen Kuss auf meine Haare.

Appa klopfte an die Tür und kam herein. Meine Brüder rängten sich auf dem Flur um ihn. Die Krankenschwester nahm mich bei der Hand und führte mich zu ihnen.
Kai ließ Eommas Bett keine Sekunde aus den Augen. Baekhyun und Chanyeol schauten überall hin, nur nicht auf das Bett.
Irgendwie gab es mir ein besseeres Gefühl, dass sie alle genau so verärgert aussahen, wie ich mich fühlte.

Namjoon stand direkt neben mir, nur ein bisschen weiter vorn, als beschützte er mich, so wie an dem Tag, als wir im Garten vor dem Haus spielten und die Nachbarsjungen versuchten, eine Rauferei mit Chanyeol anzufangen.
»Sie sieht nicht gut aus.«, sagte Namjoon.

Appa räusperte sich. »Eomma ist schon lange sehr schwer krank, Jungs, und jetzt ist es Zeit für sie... es ist an der Zeit, dass sie...« Seine Stimme erstarb.

Die Krankenschwester schenkte uns ein schwaches, mitfühlendes Lächeln.
»Eure Eomma hat nichts mehr gegessen und getrunken. Ihr Körper lässt sie im Stich. Das wird jetzt schwer werden, aber es ist der richtige Moment, um eurer Eomma zu sagen, wie lieb ihr sie habt und dass ihr sie vermissen werdet und dass es in Ordnung ist, wenn sie euch verlässt. Sie muss wissen, dass das okay ist.«

Meine Brüder nickten alle gleichzeitig. Alle außer mir. Es war nicht okay. Ich wollte nicht, dass sie uns verlässt.
Sie war meine Eomma. Gott konnte doch eine alte Eomma nehmen. Eine, die keine kleinen Jungs hatte, um die sie sich kümmern musste.

Ich versuchte, mir alles ins Gedächnis zu rufen, was sie mir gesagt hatte. Ich versuchte, es innen in meinem Kopf festzukleben: Spielen, Appa besuchen. Um jemanden kämpfen, denn ich liebte. Diese letzte Sache machte mir Kopfzerbrecheb. Ich liebte meine Eomma, aber ich wusste nicht, wie ich um sie kämpfen sollte.

Die Krankenschwester beugte sich zu meinem Vater und flüsterte ihm etwas zu. Er schüttelte den Kopf, schließlich nickte er meinen Brüdern zu.
»Okay, Jungs. Wir wollen uns verabschieden, und dann musst du deine Brüder ins Bett bringen, Namjoon.
Bei dem, was noch kommt, brauchen sie nicht dabei sein.«
»Ja, Sir«, gab Namjoon zurück. Ich wusste, dass seine tapfere Miene nur gespielt war. Sein Blick war genauso traurig wie meiner.

Namjoon sagte als Erster etwas zu ihr, nach ihm flüsterten Baekhyun und Chaneol ihr gleichzeitig jeder etwas in ein Ohr. Kai weinte und umarmte sie am längsten. Alle versicherten ihr, es sei okay, wenn sie uns jetzt verlassen würde. Alle außer mir.
Eomma antwortete nicht mehr.

Namjoon zog an meiner Hand und führte mich aus ihrem Schlafzimmer.
Ich ging rückwärts, bis wir auf dem Flur standen. Ich versuchte mir einzureden, sie würde nur schlafen, aber in meinem Kopf drehte sich alles.
Namjoon nahm mich auf den Arm und trug mich die Treppe hinauf.
Als Appa so laut aufheulte, dass es durch das ganze Haus hallte, beschleunigte er seine Schritte.

»Was hat sie dir gesagt?«, fragte Namjoon und drehte den Hahn an der Badewanne auf.
Ich antwortete nicht. Ich hörte ihn fragen und ich erinnerte mich daran, was sie zu mir gesagt hatte, aber ich konnte nicht antworten und auch nicht weinen.

Namjoon zog mir das schmutzige T-Shirt über den Kopf, die kurze Hose aus und auch die Unterhose mit dem Mickey-Mouse- Aufdruck.
»Zeit für die Badewanne, Kleiner.« Er hob mich hoch und setzte mich ins warme Wasser, tauchte den Waschlappen ein und wrang ihn über meinen Kopf aus.
Ich blinzelte nicht. Ich machte nicht einmal Anstalten, mir das Wasser vom Gesicht zu wischen, obwohl ich das eigentlich hasste.

»Gestern hat Eomma mir aufgetragen, mich um dich und die Zwillinge zu kümmern und auch auf Appa aufzupassen.«
Namjoon stützte die Hände auf den Badewannenrand, legte sein Kinn darauf und sah mich an.
»Das werd ich also machen, Kookie, ja? Ich werde mich um dich kümmern. Mach dir darum keine Sorgen. Wir werden Eomma alle zusammen vermissen, aber hab keine Angst. Ich werde dafür sorgen, dass alles in Ordnung ist. Das verspreche ich dir.«

Ich wollte nicken oder ihn umarmen, aber nichts ging. Obwohl ich doch eigentlich um sie hätte kämpfen sollen, saß ich hier oben in der Badewanne und konnte mich überhaupt nicht rühren. Ich hatte sie schon im Stich gelassen. In Gedanken versprach ich ihr, all das zu machen, worum sie mich gebeten hatte, sobald mein Körper wieder funktionierte. Sobald die Traurigkeit nachließ, würde ich immer spielen. Und kämpfen. So gut ich konnte.

•••

Eine neue Fanfiction, ein neues Glück 🙌🏻
Und wieder Jikook für alle Jikook-Shiper
Es werden relativ lange Kapiteln und ich werde sie immer auf Teil 1 und 2 aufteilen und jede Woche eines posten.
Es ist eine Fanfiction zu einem Buch was ich mal Jahre vorher gelesen hatte.
Viel Spaß 🌝
Danke nochmal jikkMiRae für das tolle Cover 💋

Loving Disaster | JikookWo Geschichten leben. Entdecke jetzt