16. Zuchtvieh

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Liebes Tagebuch
heute habe ich etwas Beunruhigendes gefunden. Einen Brief von jemanden der sich meine Mutter nennt. Ich habe Mama und Papa davon noch nichts gesagt, ich wollte mir erst sicher sein, dass ich die Antwort wirklich wissen will.
Wenn es stimmt, was in diesem Brief steht, ist meine wirkliche Mutter Briana Henotello und ich gehöre zu den Henotellos.
Die Verräterin Nelenia würde meine älteste Schwester sein.
Die Königin Sandrine wäre meine zweitälteste Schwester.
Den Kommandant John könnte ich dann meinen Bruder nennen.
Angeblich hatte ich sogar noch eine große Schwester namens Claudette, aber sie starb vor meiner Geburt. Wenn der Brief, der Wahrheit entspricht habe ich Geschwister. Bis jetzt war ich ein Einzelkind, das immer Bruder und Schwester wollte.
Nur bin ich mir nicht sicher ob ich wirklich Teil dieser Familie sein will. Briana hat mich nicht umsonst in ihrem Brief gewarnt, sie hat nicht umsonst ihr Leben für meine Freiheit von diesem verfluchten Namen gegeben.
Ich will Nelenia, Sandrine, John und deren Kinder kennenlernen, doch ich fürchte, ich werde es niemals. Ich glaube, der Brief ist echt und ich will das Opfer meiner Mutter nicht für nichtig erklären in dem ich mich freiwillig Bärenstein ergebe.
Ich werde tun, was Mutter geraten hat und den Brief verbrennen, ich werde meinen Namen niemals gebrauchen und vor aller Augen in der Masse versteckt sein. Niemals soll jemand wissen, dass es eine Isla Henotello gegeben hat.

Seit Tagen kämpfte Kyrie mit ihren Gefühlen. Seit dem Moment in dem Magenta ihr die Neuigkeiten über ihre Familie gebracht hatte.
Einen Tag später war sie noch einmal gekommen um ihr vom Tod ihrer Mutter und Schwester zu berichten. Nun war Kyrie vollkommen alleine auf der Welt. Sie hatte keinen Appetit mehr, schlief kaum noch und sprach nicht mehr.
Die Tage verschwammen vor ihren Augen, verblassten zu schmerzhaften Momenten. Immer wieder überkam sie ein heftiges Gefühl der Wut, ließ sie rot sehen, zittern und um sich schlagen.
In diesen Momenten fürchtete Kyrie anderen unabsichtlich wehzutun. Besonders in der Nacht während sie versuchte zu schlafen, überkamen sie häufig Alpträume, diese ließen sie die Kontrolle über ihre Gaben verlieren.
Ihr Kopfpolster war kohleschwarz verbrannt, ihr Nachtkasterl und die Spinde der anderen verbogen. Als sie eines Nachts auf die Toilette ging und sich beim vorbeigehen in den Spiegel sah, erkannte sie ihre Gesicht umrahmt von schwarzen Haaren kaum. Mit sechzehn erhielt sie diese nutzlose Gabe.
Auf Kommando konnte sie ihre Haare färben, in jede Farbe die es gab. Kyrie hatte sich nie wirklich für diese Gabe interessiert, doch nun wurde sie zur Gefahr. Aus diesem Grund stand sie seit dieser Nacht immer als erste auf, um sicher zu gehen, dass die grausigen Bilder in ihrem Kopf, ihr Äußeres nicht verändert hatten.
Kasimir, Masako, Viktor und selbst Sergei hatten versucht mit ihr zu sprechen, ihr zu helfen. Doch jeder Versuch wurde von ihr abgeblockt.

Da war einfach nichts das ihre Freunde tun konnten um ihren Schmerz zu lindern, allein die Rache konnte das. Und auf diese arbeitete sie hin, versuchte sich ihren unstabilen mentalen Zustand gegenüber Magenta und Conrad nicht ansehen zu lassen, wurde gefühlskalt und unbarmherzig in Trainingskämpfen. Während der Drilleinheiten wanderten ihre Gedanken dennoch zu Zeus.

Sie wusste, er könnte ihren Schmerz verstehen, sie vielleicht sogar trösten. Die Erinnerung an ihre gemeinsame Nacht ließ sie zumindest für Sekunden die dunklen Wolken über sich vergessen.

Nächsten Donnerstag würde sie ihn wiedersehen können, hätte die Möglichkeit ihren Kummer für ein paar Stunden zu vergessen. Aber eine Woche konnte lange sein, besonders in der Akademie. Besonders wenn der Befehl zur Reproduktion jeden Moment kommen könnte und sie durch ihre fehlende emotionale Ausgeglichenheit ihre Kräfte kaum noch kontrollieren konnte.

"Nava, wir müssen wirklich reden.", flüsterte Kasimir eines Nachmittags nach dem Mittagessen. Sie waren gerade auf dem Weg zu ihrem Schlafsaal um sich für die Nachmittagsdrills im Schwimmbad umzuziehen. Von jedem Rekruten wurde erwartet, ein einigermaßen guter Schwimmer zu sein. Noch eine Sportart, die Kyrie liebte, noch eine in der sie zeigen konnte wie gut sie war.

Kyrie- Nebel des KriegesWhere stories live. Discover now