1. Das Schicksal ihrer Töchter

3.6K 173 24
                                    

England 1783

Briana Henotello sah in den schmutzigen Spiegel in ihrem kleinen, dreckigen Zimmer im Freudenhaus. Ihre müden Augen konnten die blauen Flecke und das schmuddelige, alte Kleid, ihr einziges Kleid, nicht ignorieren.

Beim Anblick ihrer vom Leben als Hure zerstörten Gestalt wurde sie furchtbar traurig. Seufzend dachte sie an ihre Kindheit, sogar Jugend. Damals schien alles so einfach und schön. Eltern, die zwar streng aber liebevoll zu ihr waren. Ein älterer Bruder, der den Familiennamen weitertragen konnte. Es war ein gewöhnliches Leben, aber friedvoll.

Niemals hätte sie gedacht, dass sie in einem Freudenhaus in einer kleinen unbedeutenden Stadt enden würde. Einer Stadt, die ihr niemals gnädig war und es auch nie sein würde. Sie war wertlos für die Dorfbewohner, nur ein weiteres gefallenes Mädchen. Grausamkeit und Verachtung war alles was Briana von ihnen kannte.

Kein Licht drang durch die Fenster, die Stadt lag in tiefer Nacht, doch im Freudenhaus hatte die Arbeit gerade erst begonnen. Es roch nach Schweiß, nach abgestandener Luft doch am meisten nach dem billigen Wein, der im Schankbereich ausgegeben wurde. Brianas Gast war gerade gegangen und angewidert von sich selbst und dem Leben das ihr aufgedrängt worden war, blickte sie auf das zerwühlte Bett.

Mit einer leichten Handbewegung richtete sich die Bettdecke von selbst und das Weinglas vom Tisch davor flog ihr zu. Gekonnt fing sie es auf und nahm einen großzügigen Schluck. Niemals würde Briana ihre Fähigkeiten in der Gegenwart anderer Menschen verwenden, nur einmal hatte sie dies in ihrer Jugend getan und einen furchtbaren Preis dafür gezahlt. Ihre Eltern hatten die besondere Gabe Brianas dem Teufel zugeschrieben und sie dem Dorfvorsteher gemeldet. Brianas Befragung war kurz und einfach gewesen. Auf die Frage, ob sie eine Hexe sei, hatte Briana immer wieder nein geantwortet.

Unzureichend für den Dorfvorsteher und den Priester.

Vertrieben, gebrandmarkt und verlassen war der damals sechzehnjährigen kein anderer Beruf als der einer Hure möglich. Aber solange sie alleine war, verspürte sie keinen Grund nicht einzusetzen was Gott ihr gegeben hatte, selbst wenn andere den Teufel als ihren Schöpfer bezeichneten.
"Mama, dürfen wir rauskommen?", fragte eine zittrige Mädchenstimme vom Schrank neben der Tür. Sofort sprang Briana auf und lief durchs Zimmer um die Eingangstüre ihres Arbeitsplatzes zu verriegeln. Als dies getan war, öffnete Briana die Schranktüren und zwei kleine Mädchen fielen ihr entgegen.

Ihre Töchter Nelenia und Sandrine klammerten sich an ihren dicker werdenden Bauch. Briana erwartete ein weiteres Kind und konnte sich deshalb nur schwerlich ihrer Töchter erfreuen.

Mit jedem Kind wurde es schwieriger, sie zu ernähren. Briana war keineswegs gut in ihrem Beruf, doch niemals würde sie ihren Töchtern ihr Schicksal aufhalsen.

Sie sollten einer ehrlichen Tätigkeit nachgehen, nicht in die Fußstapfen ihrer Mutter treten müssen. Nelenia, die ältere sah sie mit großen blauen Augen an und lächelte als sie in das Gesicht ihrer Mutter blickte. Liebevoll strich Briana diesem sanften Mädchen mit denselben braunem Haar wie sie selbst über den Kopf. Ihr ältestes Mädchen war ein so gutmütiges, verständnisvolles Kind. Niemals würde ein böses Wort über die Lippen ihrer Tochter kommen und für ihre kleine Schwester war sie eine Beschützerin.

Ein lauter Knall und eine aufgetretene Tür ließ die Frau und ihre Töchter erschrocken zum Eingang blicken. Ein Mann mit einem langen Holzstock in der Hand starrte sie wütend nieder. Seine Wange zierte eine lange Narbe und die muskulösen Oberarme ließen keinen Zweifel an seiner Stärke.
Sein Name war Brock, er war der Eigentümer des Hurenhauses und somit auch Brianas Eigentümer. Mit einem zornigen Grunzen und schwingendem Stock schrie er sie an.
"Was hab ich dir gesagt, Brie? Du hast Kundschaft! Geh und bedien die Männer in meinem Haus! Bevor du zu fett wirst und dich niemand mehr will! Und ich will diese Bälger nicht noch mal in deinem Zimmer finden, hast du verstanden?" Briana nickte ängstlich, "Es tut mir leid, Brock, aber im Weinkeller, wo sie normalerweise warten ist es zu kalt. Sie würden sich da unten den Tod holen." Eine Ausrede, eine derer sich beide bewusst waren. Seit Nelenia zehn geworden war, versuchte Brock für sie im Gasthaus Werbung zu machen und den Höchstbietenden ihre Unschuld zu verkaufen.
Dies würde nicht funktionierten, wenn Briana sie die ganze Zeit in ihrem Zimmer versteckte.

Kyrie- Nebel des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt