8. Ein Fenster zur Freiheit

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Meine süße Isla,

dieser Brief soll dir sagen, warum ich tat was ich tun musste, wer du bist und welche Gefahren auf dich warten. Du bist meine Tochter, Isla Henotello, mein fünftes und letztes Kind.
Dir mein Schatz, will ich die Freiheit schenken, zum Preis meines Lebens.

Niemals sollst du die Qualen deiner Geschwister teilen, niemals sollst du eine Waffe sein, niemals wird Lothar dich besitzen, niemals, niemals, niemals. Ich gebe dich fort, hoffe wer immer dich großzieht möge dich mit derselben Inbrunst lieben wie ich es bis an mein Lebensende tat. Du sollst eine Chance auf Liebe und Frieden haben.

Jedoch, liebste Tochter, muss ich dich hiermit warnen. Du trägst die Gabe der Henotello in deinem Herzen und es ist möglich, dass du oder eines deiner Kinder dieser Gabe Ausdruck verleihen könnte.

Verstecke sie und lass nie zu dass jemand erfährt wer du bist. Mit diesem Brief, mit dieser Tat unterschreibe ich meinen Tod. Einen Tod, den ich verdient habe. Zu viel Schmerz brachte ich auf diese Welt. Verzeih mir, Isla, bitte verzeih mir.

In ewiger Liebe Mutter, Briana Henotello


"Aufwachen.", Kens harsche Stimme ließ Kyrie sofort die Augen aufmachen.
Zu nah!, schrien ihre Sinne und blinzelnd suchte sie nach Ken. Drohend wie ein Berg ragte er über ihrem Krankenbett auf. In seiner Hand befand sich die Fernbedienung zu dem Folterinstrument Anzug, den sie leider immer noch tragen musste. Er war zwar gewaschen worden, doch die schlechten Erinnerungen ließen ihn dennoch in Kyries Augen stinken. Es war später Nachmittag zwei Tage nach der Trainingshalle. Kyrie konnte sich gar nicht erinnern, was sie in diesen zwei Tagen getan hatte, hauptsächlich schlafen schätzte sie.

"Steh auf. Ich muss dich zu deinem letzten Test bringen.", hörte sie Kens Anweisungen. Ihre Gedanken fühlten sich träge an, wie in Watte gepackt.

"Wo ist Zeus, er bringt mich doch normalerweise?", fragte sie verschlafen. Kens Gesicht nahm einen fragenden Ausdruck an. Die Augenbrauen verwirrt zusammengezogen fragte er:

"Wer ist Zeus?" Erschrocken bemerkte sie ihren Fehler.

Sie hielt es für das beste, nichts zu sagen und einfach Verwirrtheit zu spielen. Als sie ihm nichts antwortete, aber auch nicht aufstand, zog Ken sie aus dem Bett auf die Füße. Wütend riss Kyrie sich los und trat einen Schritt von ihm weg. Ken versuchte nicht noch einmal nach ihr zu greifen.

"Wir müssen los. Zieh deine Schlapfen an und komm mit."

Drängend verlieh er seiner tiefen Stimme Nachdruck. Seufzend verdrehte Kyrie die Augen. Schnell waren die Schlapfen angezogen und mit verschränkten Armen folgte sie Ken auf dem Weg zu einer weiteren höllischen Erfahrung. Beleidigt stellte sie fest, dass sie sich auf Zeus gefreut hatte. Irgendwie hatte es etwas Beruhigendes ihn vor den Test zu sehen.

Ken ging schnell die verwinkelten Gänge des vollkommen grauen Gebäudes entlang. Selbst nach all den Rundgängen mit Zeus blieb das Gebäude ein Labyrinth für sie. Es gab hunderte Türen und enge Gänge. Kryptische Zeichen und Raumbezeichnungen waren offensichtlich angebracht worden um Ordnung in das Chaos zu bringen. Vergebens. Die wenigen Fenster zeigten Kyrie andere graue Gebäude und den umliegenden herbstlichen Wald. Sehnsüchtig verlangsamte sie ihre Schritte sobald ein Fenster näher kam.

"Na los. Ich hab nicht ewig Zeit. Dr. Bart braucht mich.", ließ sich Kens ungeduldige Stimme vernehmen.

Es scherte Kyrie nicht, was er wollte oder brauchte, sollte er ruhig diese bescheuerte Fernbedienung aktivieren. Alles was sie jetzt wollte, war aus dem Fenster in die vermeintliche Freiheit zu sehen.

"Wenn du dich jetzt nicht sofort bewegst, werde ich.."

"Das wird nicht nötig sein, Ken. Ich bring sie den Rest des Weges. Geh ruhig wieder zum Doktor."

Ken sah Zeus zweifelnd an. Dieser war still und heimlich neben ihn getreten. "Ich weiß nicht. Ich habe meine Befehle." Zeus lächelte ihn zuversichtlich an.

"Und was wird passieren, wenn Dr. Bart nach dir ruft und du nicht da bist? Ich kenn die kleine, hab sie hergebracht, sie wird auf mich hören. Nun geh schon, Mann."

Ken nickte dankbar und mit einem letzten bösen Blick auf sie, verließ er die beiden durch einen Gang zu ihrer linken. Zeus trat seufzend neben sie, folgte ihrem starren Blick in die Ferne.

"Hab mich schon gewundert, wo du warst.", meinte Kyrie leise.

"Hatte zu tun." Bei seinen entschuldigenden Worten, blickte sie in sein Gesicht. Das blaue Auge verblasste langsam, der wütende Blick in ihnen blieb. Kyrie senkte den Kopf und starrte auf ihre Hände.

Kleine Risse und Verbrennungen von Seilen waren an ihnen zu sehen. Sie taten immer noch weh, würden aber verblassen. Narben würden ihren Platz einnehmen. Die ersten von vielen, da war sie sich sicher. Sanft nahm Zeus eine ihrer Hände und hielt sie fest in seinen. Wärme durchströmte ihren vor Furcht kalten Körper. Zittrig atmete sie ein.

"Also, was wird der nächste Test?" Traurig schüttelte Zeus den Kopf.

"Du weißt ich kann es dir nicht sagen. Jede andere Antwort könnte ich dir vielleicht geben."

Kyrie akzeptierte seine Befehle und ließ sich von ihm wegführen, fort von dem Fenster, fort von dem letzten Gedanken an Freiheit.

"Kennst du Ken?", fragte sie stattdessen. Zeus nickte.

"Er war schon hier als ich ankam." Angewidert verzog sie das Gesicht.

"Er steht loyal zu diesem Ort. Ich hab ihn gestern gefragt, ob er für mich lügen würde, aber er hat mir gedroht. Er ist bereit diese blöde Fernbedienung zu benutzen."

"Natürlich. Ken wurde hier aufgezogen. Er kennt nichts anderes, könnte sich nicht mal was anderes vorstellen. Ich hab viele freie Nachmittage mit ihm verbracht. Er ist kein schlechter Kerl, nur würde er nie die Regeln brechen, sie nicht einmal biegen. So ist er einfach nicht."

Hoffungsvoll sah sie ihn an.

"Aber du würdest die Regeln biegen, nicht wahr?" Zeus schenkte ihr ein schiefes Lächeln.

"Ich tue es schon die ganze Zeit. Musste ein bisschen Lügen um die Botengänge mit dir zu übernehmen, auch die Besuche auf der Krankenstation waren eigentlich nicht erlaubt."

Kyrie erwiderte sein ehrliches Lächeln und strich sich das lange Haar aus dem Gesicht.
"Und das alles für mich. Ich fühle mich geehrt."

Zeus wurde langsamer als sie einer blauen Tür näher kamen. Ihre Gedanken wanderten wieder zu dem Ziel dieses Spaziergangs und furchtsam schlang sie die Arme um ihren Oberkörper. Zeus schien zu spüren was in ihr Vorging, denn sanft legte sich ein Arm um ihre Schultern.

"Es tut mir leid."

"Kannst du mir irgendwelche Tipps geben?", fragte sie verzweifelt.

In Zeus schienen ein Konflikt ausgetragen zu werden, jedoch gewann sein Mitgefühl für sie die Oberhand.

"Na schön. Da drin wartet eine Psychologin oder ein Psychologe, manchmal auch beide. Sie werden unter deine Rübe schaun, werden alles wissen wollen."
"Das klingt nicht so schlimm." Zeus schüttelte den Kopf.

"Warte ab. Sei auf der Hut, rebellisches Naturell wird nicht gerne gesehen. Warum glaubst du hat Ken so lange überlebt. Er besitzt rein gar keines. Wenn sie dir was zu trinken anbieten, versuch nichts zu trinken, es auszuspucken oder so wenig wie möglich zu schlucken. Ich hab schon gesehen wie sie Drogen dazu gemischt haben."

Dankbar nickte Kyrie. Mit jedem seiner Worte fühlte sie sich stärker und sicherer. Zeus ließ sie los und trat einen Schritt weg. Kyrie konnte in seinen Gedanken, Sorge um sie erkennen. Ehrliche Sorge. Wieder dachte sie an ihre positiven Gefühle und ließ zu, dass sie für einen Moment die Angst und Hilflosigkeit vertrieben.

Danach rief sie sich zur Ordnung, verbannte Zeus aus ihren Gedanken. Ruhig drehte sie sich zur blauen Tür. Diese Monster sollten nicht wissen, wer ihr an diesem düsteren Ort Sicherheit gab. Entschlossen öffnete sie die Tür und trat hindurch.
Zeus wartete draußen auf seinen Einsatz.


So das nächste Kapitel gibts in 4 Tagen.  Schreibt bitte in die Kommentare was ihr von der Geschichte bis  jetzt denkt. Bis  in 4 Tagen und habt eine schöne Woche. 

Liebe Grüße LM

Kyrie- Nebel des KriegesWhere stories live. Discover now