5. Test 1

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Liebste Mutter, liebe Sandrine, lieber John

ich habe deine Briefe erhalten, Mutter, allerdings können sie mir kein Trost sein. Meine Hände sind rot vom Blut unschuldiger, aber egal wie oft ich sie mir wasche, die Schuld bleibt, das rot bleibt. Seit Jahren leben ich von Schlacht zu Schlacht und ich weiß, dass dieser Brief dich niemals erreichen wird, aber irgendwo muss ich meine Gefühle aufschreiben. Irgendwo muss ich fühlen. Dieser Körper ist übersät von Narben, innerlich wie Äußerlich.
An manchen Tagen fühle ich mich wie ein Flickenteppich aus Wut und Schmerz. Da ist nichts von der Liebe die du mir immer versprochen hast. Ich kann mich nicht wehren aus Angst Bärenstein wird dir und meinen Geschwistern wehtun, denn ich liebe euch immer noch. Nach all dieser Zeit, nach Qualen und Angst, seid ihr es an die ich denke, wenn ein Messer in meinem Bauch meine Gedanken beherrscht, wenn der Sprung von einer Klippe wie Erlösu
ng scheint.
Ich höre die Schreie unschuldiger Menschen, höre ihren Protest gegen einen grausamen Eroberer und ich möchte ihnen zurufen: Flieht! Flieht ihr Narren! Bärenstein hat ein Monster und das bin ich.

Die Zeit verging, zumindest das wusste Kyrie mit Sicherheit. Alles andere zerfloss in dem grauen Raum wie Eis im Sommer.
Immer wieder änderte sie ihre Position im Raum, verbrachte einige Stunden in dieser Ecke, dann in einer anderen, legte sich aufs Bett, unters Bett, am Boden oder ging im Raum kreise.
Der harte Betonboden ließ sie zumindest etwas fühlen, ansonsten verbarg das schwache Dämmerlicht die meisten Details ihres Gefängnisses.

Vor einiger Zeit hatte sie versucht mit der Kamera zu reden, hatte versucht zu argumentieren und war dann zu schreien übergegangen. Nichts half, die Türe blieb verschlossen. Hartnäckig ermahnte sie sich nicht auf die psycho-Spielchen dieser Monster hereinzufallen, doch die Isolation, die Angst und der nagende Hunger machten es ihr schwer ruhig zu bleiben, machten es ihr schwer zu denken.

"So es reicht!", schrie sie sich selbst an. Wutschnaubend stand sie auf und trat vor die Tür. Mit telekinetischen Händen drückte sie gegen das harte Metall, legte ihre ganze Kraft hinein ohne zu merken wie ihre Gabe die anderen Gegenstände im Raum in Mitleidenschaft zog.

Das Waschbecken zerknitterte wie Papier unter Kyries Wut, ebenso das Bett, aber die Tür blieb wo sie war, einzig eine Beule in der Mitte zeugte von Kyries Kraftanstrengung. Blut tropfte aus ihrer Nase als ein heftiger Kopfschmerz sich einstellte. Desorientiert fasste Kyrie sich an die schmerzende Schläfe und bemerkte da erst das leuchtendrote Blut.

Dennoch ließ ihre Wut nicht zu, dass sie aufgab und schreiend machte sie weiter, bis ihr Körper den Dienst einstellte und sie bewusstlos am Boden aufschlug.
Als Kyrie die Augen wieder öffnete war sie an ein gerades Bett auf Rollen gebunden. Über ihr sah sie Zeus, er schob sie einen langen grauen Gang entlang. Sein Gesicht war emotionslos, sein Blick auf die Fahrtrichtung gehalten.

"Was...? Zeus? Wo bringst du mich hin?", es war nicht Zeus der ihr antwortete. Ein Mann in seinen Sechzigern mit einem langen weißen Bart und runzligem Gesicht tauchte in ihrem Blickfeld auf und lächelte sie freundlich an.

"Guten Tag, Kyrilla. Schön das du wach bist. Ich heiße Bartholomäus, aber du darfst mich Dr. Bart nennen. Wir werden heute einen Test durchführen. Der erste für dich. Das wird ein Spaß."

Kyrie bezweifelte, dass es ein Spaß für sie sein würde. Dr. Bart ging voran und erst da sah Kyrie, dass er keinen Doktorkittel wie etwa Pipione trug. Anstelle dessen trug er eine Schürze über einem weißen Shirt und weißen Hosen. Das weiße Shirt hing locker über seiner schlanken Gestalt. Kyries Herzschlag verdoppelte sich, ihr Atem war unregelmäßig, die Angst schnürte ihr die Kehle zu. Vor ihr tauchte eine braune Doppelschwingtür auf, Dr. Bart trat ein und überließ es Zeus sie hineinzuschieben.

Kyrie- Nebel des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt