Artgenossen oder: Die Einladung

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Eine ganze Weile schon hatten meine Augen das lodernde Kaminfeuer fixiert. Eigentlich war es nicht notwendig. Keinem von uns war hier jemals kalt, aber die Leute, die vielleicht jetzt im Winter vorbei liefen, würden sich vielleicht wundern, wenn hier Tag um Tag kein Rauch aus dem Kamin kommen würde – oder denken wir würden immerzu in Daunenjacken durch das Haus laufen. Aber lieber starrte ich das beruhigende warme falsche Feuer an und zerbrach mir darüber den Kopf, als meinem Gegenüber in die Augen zu sehen, das mich seit einer gefühlten Ewigkeit mit seinen dunklen Augen beobachtete, oder darüber nachzudenken, was er just im Moment dachte. Und doch erwischte ich mich dabei, wie ich ihm immer wieder einen flüchtigen Blick zuwarf. Mein Gesicht sah weg, doch meine Augen huschten herüber. Für ihn musste das nun entweder schüchtern oder arrogant wirken. Mir war beides egal.

Er saß da auf unserem weißen Sofa und hielt die ebenfalls schneeweiße Kaffeetasse in der Hand, wie ein gewöhnlicher Gast, der mal eben zu Besuch da war. In der einen Handfläche, den Teller, auf der die Tasse stand, die Finger der anderen hatten sich um den Griff geschlossen. Doch wir alle wussten, dass er kein gewöhnlicher Gast war. Ganz besonders mein Freund, der nun neben mir saß. Er hatte seinen Arm um mich gelegt, während die andere Hand an meinem Bauch lag. Es war fast wie ein überdimensionales blickendes Schild mit der treffenden kurzen und knappen Aufschrift: „Meins“.

Trotzdem hatte ich den Vorfall vor der Terrasse nicht vergessen und war immer noch sauer auf ihn. Meine Hände lagen entweder auf dem Sofa oder auf meinem Bauch, jedoch nicht an Jake.
So einfach würde ich nicht vergessen, dass er immer wieder ausflippte wegen Kleinigkeiten, Neid oder Eifersucht.

„Es tut mir Leid, dass ich mein Kommen nicht angekündigt hatte“, sagte unser Gast mit einem leichten Akzent. „Mir blieb leider nicht allzu viel Zeit.“

„Das ist schon in Ordnung, Nahuel“, antwortete Carlisle wie immer in ruhigem freundlichen Ton. „Viel wichtiger ist doch: warum bist du hier?“

Nahuel sah kurz auf seine Tasse, dann wanderte sein Blick zu mir und anschließend auf den Tisch, wo er nun sein Getränk abstellte, ehe er endlich sprach.

„Nun ... nachdem wir vor acht Jahren nach Hause zurückgekehrt waren und die Volturi nun von meiner und der Existenz meiner Schwestern wussten, suchten sie uns auf. Sie wollten Informationen ... über den Aufenthaltsort meiner Schwestern ... und meines Vaters. Sie wollten gegen ihn und seine Experimente vorgehen. Ich erzählte ihnen was ich wusste, mit der Bitte meine Schwestern zu verschonen. Um jedoch sicher zu gehen, dass sie meiner Bitte auch nach kamen, entschloss ich mich sie zu begleiten.“

An dieser Stelle hielt Nahuel inne und sah auf den schwarzen Kaffee der nun keine kleinen Wellen mehr schlug. Offenbar fiel es ihm schwer, das Geschehene nochmal Revue passieren zu lassen. Er schluckte kurz, dann fuhr er schließlich fort.

„Wir fanden sie. Sie waren noch immer in Südamerika gewesen. Meinen Vater brachten sie sofort um.“

Ich hatte keine Zweifel, dass dies kein großer Verlust für Nahuel gewesen war, so wie er das Wort „Vater“ aussprach. Mein Blick fiel auf meinen Vater, der die Arme verschränkt an den Sessel lehnte, in dem meine Mutter saß. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es war seine Eltern nicht zu lieben und ihren Verlust nicht zu beklagen, aber ich war natürlich auch anders aufgewachsen als er.

„Was ist mit deinen Schwestern?“, wollte Carlisle nun wissen.

„Sie ... sie leben. Sie sind bei den Volturi. Sie tragen keine Schuld an seinen Verbrechen, trotzdem sind sie zu lange unter seinem Einfluss gewesen. Die Volturi wollten kein Risiko eingehen. Und ich auch nicht. Ich blieb bei ihnen. Ich konnte es mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, dass sie sie umbrachten, sobald ich ihnen den Rücken zukehrte, also blieb ich.“

Rising Sun - Biss das Licht der Sonne erstrahlt (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt