Was ist Liebe?

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Der Wind blies durch meine bronzenen gelockten Haaren, als ich auf Jacobs Rücken durch den Wald getragen wurde. Er war schneller, als ich es zu Fuß je hätte sein können, ja sogar schneller als mein Vater konnte er auf seinen vier Pfoten rennen. Die Bäume flogen an uns vorbei, selbst für meine Sinne waren sie schwer auszumachen. Rotes Sonnenlicht drang an einigen Stellen durch das dichte Blätterdach des Waldes und schien auf den mit grünem Moos und dunkler Erde bedeckten Waldboden. Auch das braune Laub des letzten Herbstes lag dort. 
New Hampshire, der Bundesstaat in dem wir lebten, war prozentual gesehen, der am zweitmeisten bewaldete der 50. Bundesstaaten. Dies war mitunter einer der Gründe, weswegen wir hierher gezogen waren. In den weiten großen Wäldern konnten wir großflächig Jagen und fielen dabei nicht so sehr auf, wie wenn wir in einem kleineren Wald alle drei Kilometer ein Tier erlegen mussten oder gar auf einer Lichtung mehrere auf einmal herumlagen. Wir waren stets bedacht darauf gewesen nicht aufzufallen und mussten bei der Jagd besondere Sorgfalt walten lassen. Gelegentlich war es vorgekommen, dass ich mich im Eifer der Jagd zu weit von meiner Familie entfernt hatte und dabei fast auf Wanderer gestoßen war. Insbesondere in Forks. Hier war dies seltener der Fall. Dennoch hatten wir schon die ein oder anderen Probleme bekommen. Allerdings nicht genau wir, sondern eher Jacob. Es war unvermeidlich, dass er mal Spuren hinterließ, besonders wenn es erst geregnet hatte oder wenn Schnee lag. Und selbstverständlich hatte man die Beute der gesamten Familie ihm angerechnet, selbst wenn die Tiere über mehrere Kilometer verstreut lagen. Einmal war sogar der Förster zu unserem Anwesen gekommen um uns vor dem „unbekannten überdurchschnittlich großen Tier“ zu warnen, da wir sehr nahe am Waldrand wohnten. Das Interessanteste daran war immer noch gewesen, das Jacob ihm die Tür geöffnet hatte. Bei dem Gedanken musste ich Grinsen, obwohl man mir immer wieder gesagt hatte, wie gefährlich es für uns alle war, wenn wir entdeckt würden. Trotzdem konnten wir Jake ja schlecht einsperren, genauso wenig konnten wir aufhören Tiere zu jagen. Und Jake fand das Ganze übrigens auch sehr amüsant, er war zwar immer bedacht darauf, nicht gesehen zu werden, von Augen die es nicht durften, doch er war gewiss niemand, der sich deswegen den Kopf zerbrach. Das hatte ich ja in der Schule und in der Sache mit David vor der Schulkantine festgestellt.

Als Jake indes langsamer wurde und schließlich stehen blieb, wurde ich aus meinen Gedanken zurück in die Wirklichkeit gerissen. Kurz tastete ich mit meinen Sinnen die Umgebung ab und stellte rasch fest, was Jakes Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Einige Meter vor uns, hinter dichtem Gestrüpp befand sich ein einzelner Hirsch. Nun wanderten meine Augen wieder langsam zu Jake, der neben mir eine leicht kauernde Haltung eingenommen hatte. Ja, dies war der Beginn eines kleinen Wettstreits, einen den ich schon in meiner frühen Kindheit mit Jake bestritten hatte. Wer die Beute als Erstes fing, hatte gewonnen und durfte natürlich auch seinen Hunger an ihr stillen.

Früher hatte ich immer gewonnen. Ich konnte nicht sagen ob er sich nun verstellt hatte und mich stets gewinnen ließ oder ob ich wirklich mit der Zeit besser im Jagen geworden war. So oder so machte mir die diese Art der Jagd immer einen Heidenspaß und so begab auch ich mich in die Angriffshaltung. Doch ehe wir los spurteten, tat ich noch etwas, dass ich mit den Jahren immer seltener getan hatte: ich legte eine meiner Hände sanft an Jakes Körper und ließ ihn an meinen Gedanken und Empfindungen teilhaben. In diesen Sekunden durchströmte ihn das Bild meines Sieges. Ich wie ich das Tier aus sog, dass noch ahnungslos im Wald stand. Er brummte nur einmal kurz und leise. Ich konnte diesen Laut als „das werden wir ja sehen“ deuten. Ich antwortete nicht, sondern grinste ihn noch einmal kurz verstohlen an, dann spurteten wir gleichzeitig los. Niemand zählte uns ab, niemand gab ein Startsignal und doch wussten wir beide, wann wir zu laufen hatten. Als wir dann beide mit einem Mal durch das Gebüsch auf den Hirsch sprangen, hechtete das Tier geschwind zur Seite. In Sekundenbruchteilen hatten auch Jake und ich die Laufrichtung gewechselt. Natürlich hatte das Tier keine Chance und wenn wir wirklich wollten, dann wäre es wahrscheinlich schon bei unserem ersten Sprung verendet, doch wollten wir beide unser Spiel nicht so schnell enden lassen. So schnell seine langen Beine es trugen spurtete der Hirsch, welchen ich dank der weißen Unterseite seines kurzen Schwanzes nun als Weißwedelhirsch identifizierte, zwischen zwei engen Bäumen davon. Jake rannte an ihnen links vorbei, ich spurtete hindurch und hatte damit nun einen kleinen Vorsprung. Als ich ihn fast eingeholt hatte, schlug meine Beute mit einem mal kurz vor einem Baum einen Haken und rannte nun rechts davon. Ich machte mir nicht die Mühe jetzt groß zu wenden, sondern spurtete schnurstracks auf den Baum zu, sprang an den dicken Stamm und presste mich mit den Füßen von ihm ab, so dass ich nun wie eine Rakete zielsicher an den Bäumen vorbei durch den Wald flog. Erst als ein Baum direkt in meine Flugbahn kam, war ich gezwungen zu halten. Ich klammerte mich am Stamm fest und wartete die nächsten wenigen Sekunden auf meine Beute, die so schnell gar nicht reagierte und immer noch auf mich zulief. Mit einem weiteren Sprung hatte ich den Weißwedelhirsch dann gepackt und zu Boden gedrückt. Ich biss ihm mit meinen messerscharfen Vampirzähnen in den Hals. Warmes, frisches Blut durchströmte meine Kehle, das Tier erschlaffte und ich stillte meinen Hunger. Noch während ich trank, huschte Jacob zügig an mir vorbei und verschwand tiefer im Wald. Er musste sich eine neue Beute suchen, denn ich hatte unseren Wettstreit gewonnen.

Rising Sun - Biss das Licht der Sonne erstrahlt (Fanfiction)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt